Humboldt-Universität zu Berlin

Fritz Haber

Chemiker – Kriegsverbrecher und Nobelpreisträger – Wissenschaftsorganisator und deutscher Patriot

 

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Fritz Haber
Fritz Haber, Foto: UB der HU zu Berlin

Fritz Haber, ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Chemie für das Jahr 1918, ist eine ambivalente Wissenschaftlerfigur, wie sie wohl nur das „Zeitalter der Extreme“ (E. Hobsbawm) in seiner ersten Hälfte hervorbringen konnte. Hervorragender Chemiker und bedeutender Wissenschaftsorganisator, war er zugleich in die deutschen Kriegsverbrechen des Ersten Weltkriegs verstrickt. Ein deutscher Patriot – der nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Deutschland verlassen musste und keine neue Heimat mehr fand. Haber entstammte einer wohlhabenden jüdischen Unternehmerfamilie. In Breslau wuchs er – nach dem frühen Tod seiner Mutter – nach erneuter Heirat seines Vaters mit seinen drei Halbschwestern auf.

1886 nahm er sein Studium der Chemie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität auf, wo er es, unterbrochen durch den einjährigen Militärdienst und nach einem Studienaufenthalt in Heidelberg bei Robert Wilhelm Bunsen, 1891 mit der Promotion abschloss.

Seine Dissertation in organischer Chemie („Über einige Derivate des Piperonals“) hätte eine Karriere in der blühenden chemischen Industrie nahegelegt, doch zog es Haber nach einigen Jahren der Tätigkeit auf diesem Gebiet und als Volontär im Farbengeschäft seines Vaters zurück in die Wissenschaft.

 

Verfahren zur Synthese von Ammoniak

1894 konnte er eine Assistentenstelle an der Technischen Hochschule Karlsruhe antreten, wo er sich zwei Jahre später habilitierte. In den folgenden gut anderthalb Jahrzehnten gelang ihm in Karlsruhe der Aufstieg zum Ordinarius (1906), vor allem aber konnte er sich im neuen Feld der physikalischen Chemie rasch einen Namen machen. In Anbetracht zurückgehender natürlicher Salpetervorkommen in Chile stellte sich um die Jahrhundertwende die Stickstoffgewinnung als vordringliche Aufgabe für die angewandte Chemie. Haber gelang es 1907 ein Verfahren zur Synthese von Ammoniak zu entwickeln, das in Zusammenarbeit mit der BASF binnen kurzem auch großtechnisch umgesetzt werden konnte („Haber-Bosch-Verfahren“).

Die Herstellung von Ammoniak aus Stickstoff und Sauerstoff ermöglichte die Produktion von Düngemitteln in großem Maßstab („Brot aus Luft“), konnte aber auch für die Produktion von Sprengstoffen eingesetzt werden. Damit hatte sich Haber in der ersten Reihe der deutschen Chemiker etabliert. Für die Besetzung des Direktorenpostens am 1911 neu gegründeten Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem war er der ideale Kandidat. Gleichzeitig berief ihn die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität zum Honorarprofessor.

Massenproduktion von Salpeter für den 1. Weltkrieg

Nach dem Kriegsausbruch im Sommer 1914 widmete sich Haber umgehend der Aufgabe, die deutsche Kriegsführung zu unterstützen. Er engagierte sich für die Massenproduktion von Salpeter, eines wichtigen Grundstoffs bei der Munitionsherstellung; gleichzeitig entwickelte er Kampfstoffe für den Gaskrieg. In großem Stil organisierte er den Einsatz „seines“ KWI, unter dessen Dach sich die enge Kooperation von Naturwissenschaftlern mehrerer Disziplinen zur „Großforschung“ entwickelte. Habers Biographin Margit Szöllösi-Janze hat darin wie auch in der Verbindung der Wissenschaft mit Staat, Militär und chemischer Industrie eine Vorwegnahme des US-amerikanischen Manhattan-(Atombomben-)Projekts im Zweiten Weltkrieg gesehen. In Habers Spezialtruppe für den Gaskrieg arbeiteten u.a. auch die späteren Nobelpreisträger Otto Hahn und James Franck mit.

Der Einsatz von Giftgas widersprach den Regeln der Haager Landkriegsordnung, und so wurde Haber nach Ende des Ersten Weltkriegs von den Alliierten auf die Liste der Kriegsverbrecher gesetzt. Einem Verfahren entzog er sich zunächst durch die Flucht durch die Schweiz, später verschleppte die Reichsregierung die Ahndung. Auch in seinem Privatleben hinterließ der Krieg Spuren: Seine Ehefrau Clara Immerwahr nahm sich 1915 das Leben. Ihren Suizid als letzten Protest gegen den Gaskrieg zu deuten, lässt sich aus den Quellen nicht zuverlässig stützen. Habers zweite Ehe, 1917 geschlossen, wurde 1927 geschieden.

Nobelpreis für Chemie

Protest aus dem Ausland wurde laut, als die Stockholmer Akademie der Wissenschaften 1919 entschied, Haber als Auszeichnung für seine Arbeiten zur Ammoniaksynthese den Nobelpreis für Chemie für das Jahr 1918 zu verleihen. Wollte die schwedische Akademie damit lediglich ihre Unabhängigkeit unter Beweis stellen, so deutete die deutsche Öffentlichkeit die Entscheidung als großen Erfolg, nahmen doch zeitgleich mit Haber auch Max Planck und Johannes Stark (und somit gleich drei deutsche Wissenschaftler) ihre Nobelpreise 1919 entgegen.

Nach dem Krieg setzte Haber seine Tätigkeiten als Wissenschaftler, vor allem aber als Wissenschaftsorganisator fort. Als erfolglos erwiesen sich seine – geradezu phantastisch anmutenden – Bemühungen, aus dem Meerwasser das dort gelöste Gold zu gewinnen, um auf diese Weise die deutschen Reparationsverpflichtungen erfüllen zu können. Deutlich positiver fiel für Haber die Bilanz auf anderen Gebieten aus: Er war – neben Friedrich Schmidt-Ott – der treibende Kopf hinter der Errichtung der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, der Vorläuferorganisation der heutigen Deutschen Forschungsgemeinschaft. Unter seiner Ägide ging 1920 die Chemisch-Technische Reichsanstalt aus dem vormaligen preußischen Heeresversuchsamt hervor. Seine im Krieg gewonnenen Kenntnisse setzte Haber nun in der Erforschung von Mitteln zur Schädlingsbekämpfung ein; wobei hier die Übergänge zur – durch den Versailler Vertrag verbotenen und daher geheimen – weiteren Erforschung von Kampfstoffen fließend waren. Auf Habers Vermittlung hin errichtete die Reichswehr eine Giftgasfabrik in der Sowjetunion. Als ganz besonders bittere historische Ironie sei am Rande erwähnt, dass im Kontext der Schädlingsbekämpfung unter Habers Leitung auch das Blausäureprodukt Zyklon B entwickelt wurde, das später in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern eingesetzt werden sollte.

Haber im NS-Regime

Die Machtübernahme der NSDAP markierte einen tiefen Einschnitt in Habers Leben. Zunächst noch als „Frontkämpfer“ von den Folgen des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ nicht unmittelbar betroffen, folgte er den Anweisungen, seine jüdischen Mitarbeiter im KWI zu entlassen. Für sich selbst ersuchte er um seine Versetzung in den Ruhestand zum 30. September 1933. Ende September freilich hatte er Deutschland bereits verlassen, er starb wenige Monate später an den Folgen eines Herzinfarkts bei der Durchreise in einem Baseler Hotel.

In Habers wissenschaftlicher Vita zeichnen sich die Strukturveränderungen der naturwissenschaftlichen Forschung in der ersten Jahrhunderthälfte deutlich ab. Die Spitzenforschung wurde zunehmend aus der Universität hinausverlagert in außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (vor allem in die Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft), Großforschung als Organisationsform begann sich zu etablieren, und die Rollen von Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisatoren gingen ineinander über. Der Erste Weltkrieg als „Krieg der Chemiker“ bildete den Auftakt für den gezielten Einsatz wissenschaftlicher Forschung für Massenvernichtungswaffen. Auch dafür steht Fritz Haber, der sich seiner Verantwortung für diese Konsequenzen seiner Arbeit als Wissenschaftler nicht gestellt hat.

Nachlass Fritz Haber

Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin 

Schriften (in Auswahl)

  • Grundriß der technischen Elektrochemie auf theoretischer Grundlage, München 1898.
  • Thermodynamik technischer Gasreaktionen. Sieben Vorlesungen, München 1905.
  • (mit R. Le Rossignol) Über die technische Darstellung von Ammoniak aus den Elementen, in: Zeitschrift für Elektrochemie 19 (1913), S. 53-72.
  • Untersuchungen über Ammoniak. Sieben Mitteilungen, in: Zeitschrift für Elektrochemie 20 (1914), S. 597-604; 21 (1915), 89-106, 128-130, 191-206, 206-228, 228-241, 241-245.
  • Fünf Vorträge aus den Jahren 1920-1923, Berlin 1924.
  • Aus Leben und Beruf. Aufsätze, Reden, Vorträge, Berlin 1927.

Literatur (in Auswahl)

  • Leitner, Gerit: Der Fall Clara Immerwahr. Leben für eine humane Wissenschaft, München 1993.
  • Stoltzenberg, Dietrich: Fritz Haber. Chemiker, Nobelpreisträger, Deutscher, Jude, Weinheim 1999.
  • Szöllösi-Janze, Margit: Fritz Haber 1864-1934. Eine Biographie, München 1998.

 

Fritz Haber: 9. Dezember 1868 (Breslau) – 29. Januar 1934 (Basel)

 


 

Fritz Haber

9th December 1868 (Breslau/today Wrocław) – 29th January 1934 (Basel)

 

Chemist – War criminal and Nobel laureate – Science organiser and German patriot

 

Fritz Haber
Fritz Haber, Foto: UB der HU zu Berlin

Fritz Haber, awarded the Nobel Prize in Chemistry for 1918, is an ambivalent scientific figure, of the kind that probably only the “Age of Extremes” (E. Hobsbawm), during its first half, could give rise to. An outstanding chemist and an important organiser of science and research, he was also involved in the German war crimes of the First World War. He was a German patriot – who had to leave Germany after the National Socialists took power, never to find a new homeland.

Haber came from a wealthy Jewish family of entrepreneurs. After the early death of his mother, he grew up in Breslau, modern Wrocław, with his three half-sisters after his father had remarried.

In 1886, he began studying chemistry at the Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, where he then completed his doctorate in 1891 after an interruption for a year of military service and following a period in Heidelberg to study under Robert Wilhelm Bunsen.

His doctoral thesis in organic chemistry (“Über einige Derivate des Piperonals” [On some derivatives of piperonal]) would have prompted a career in the flourishing chemical industry, but, after several years of working in this field, and as a volunteer in his father’s paint business, Haber returned to academia.

 

Process for the synthesis of ammonia

In 1894, he was able to secure an appointment as an assistant at the Technische Hochschule Karlsruhe, where he completed his postdoctoral thesis two years later to qualify as a professor. Over the good decade and a half that followed, he succeeded in ascending to the rank of full professor in Karlsruhe (1906), but he quickly made a name for himself, above all, in the new field of physical chemistry. In view of the declining natural sodium nitrate deposits in Chile, the extraction of nitrogen became an urgent task for applied chemistry at the turn of the century. In 1907, Haber succeeded in developing a process for the synthesis of ammonia, which, in collaboration with BASF, was soon also able to be implemented on an industrial scale (the “Haber-Bosch process”).

The production of ammonia from nitrogen and oxygen enabled the manufacture of fertilisers in large volumes (“bread from air”), but could also be used for the production of explosives. Haber had thereby established his place in the premier tier of German chemists. When the new Kaiser Wilhelm Institute for Physical Chemistry and Electrochemistry in Berlin-Dahlem was founded in 1911, he was the ideal candidate for filling the post of director. At the same time, the Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin appointed him as an honorary professor.

Mass production of saltpetre for the 1st World War 

After the outbreak of war in the summer of 1914, Haber immediately devoted himself to the task of supporting the German war effort. He was involved in the mass production of saltpetre, an important raw material in the manufacture of ammunition; at the same time, he developed agents for gas warfare. He organised the large-scale deployment of “his” Kaiser Wilhelm Institute, under whose umbrella a close collaboration of scientists from several disciplines developed into “big science”. Haber’s biographer, Margit Szöllösi-Janze, saw this, as well as the coalition of scholarship with the state, the military and the chemical industry, as an anticipation of the US Manhattan (atomic bomb) Project in the Second World War. Among others, the later Nobel Prize winners Otto Hahn and James Franck also worked in Haber’s special-purpose force for gas combat.

The use of poison gas ran afoul of the rules of the Hague Convention on land warfare, and so Haber was placed on the list of war criminals by the Allies after the end of the First World War. He initially escaped a trial by fleeing through Switzerland; the government of the Reich later stalled his punishment. The war also left its mark on his private life: his wife Clara Immerwahr took her own life in 1915. Interpreting her suicide as a final protest against gas warfare cannot be reliably supported by the sources. Haber’s second marriage, in 1917, ended in divorce in 1927.

Nobel Prize for Chemistry

When the Academy of Sciences in Stockholm decided in 1919 to award Haber the 1918 Nobel Prize in Chemistry to honour his work on ammonia synthesis, there were cries of protest from abroad. Even if the Swedish Academy merely wanted to prove its independence, the German public interpreted the decision as a great success; after all, Max Planck and Johannes Stark also accepted their Nobel Prizes in 1919 at the same time as Haber – thus bringing the tally of German scientists with an award to three.

After the war, Haber continued his activities as a scientist, but, first and foremost, as a coordinator and organiser of science and research. His – almost fantastical – efforts to extract dissolved gold from seawater, in order to thereby be able to fulfil the German reparation obligations, proved unsuccessful. Haber’s results in other areas were significantly more positive: alongside Friedrich Schmidt-Ott, he was the driving force behind the establishment of the Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, the predecessor organisation of today’s Deutsche Forschungsgemeinschaft (German Research Foundation).

It was under his aegis that the Chemisch-Technische Reichsanstalt (Imperial Institute for Chemical Technology) grew out of the former Prussian military research agency in 1920. Haber now used the knowledge he had gained during the war to research agents for pest control, although the crossovers here into the continued research of warfare agents – prohibited by the Treaty of Versailles, and therefore clandestine – were fluid. On the strength of Haber’s intervention, the Reichswehr built a poison gas factory in the Soviet Union. A particularly bitter historical irony to be mentioned in passing is that, in the context of the pest control led by Haber, Zyklon B was also developed, a product made from hydrogen cyanide, which was later to be used in the Nazi extermination camps.

Haber during the Nazi regime

The Nazi Party’s accession to power marked a profound turning point in Haber’s life. Initially not directly affected by the consequences of the “Law for the Restoration of the Professional Civil Service” as a “front-line fighter”, he followed instructions to dismiss his Jewish employees at the KWI. He requested that he himself be allowed to retire on 30th September 1933. However, at the end of September, he had already left Germany, and, a few months later, he died as a result of a heart attack while travelling through a Basel hotel.

Haber’s academic curriculum vitae clearly delineates the structural changes in scientific research in the first half of the century. Cutting-edge research was increasingly outsourced from the university to non-university research institutions (especially to the institutes of the Kaiser Wilhelm Society), big science began to establish itself as a form of organisation, and the roles of scientists and science organisers merged. The First World War, as the “war of chemists”, was the prelude to the targeted use of scientific research for weapons of mass destruction. This, too, is something Fritz Haber stands for, though he never faced his responsibility for these consequences of his work as a scientist.

Estate of Fritz Haber

Archive of the Max Planck Society, Berlin

Written works (selection)

  • Grundriß der technischen Elektrochemie auf theoretischer Grundlage (Outline of technical electrochemistry based on theoretical foundations), Munich 1898.
  • Thermodynamik technischer Gasreaktionen. Sieben Vorlesungen, Munich 1905 (English: Thermodynamics of Technical Gas-Reactions: Seven Lectures, London 1908)
  • (with R. Le Rossignol) Über die technische Darstellung von Ammoniak aus den Elementen (On the technical synthesis of ammonia from the elements), in: Zeitschrift für Elektrochemie 19 (1913), pp. 53–72.
  • Untersuchungen über Ammoniak. Sieben Mitteilungen (Investigations on ammonia. Seven communications), in: Zeitschrift für Elektrochemie 20 (1914), pp. 597–604; 21 (1915), 89–106, 128–130, 191–206, 206–228, 228–241, 241–245.
  • Fünf Vorträge aus den Jahren 1920–1923 (Five lectures from the years 1920–1923), Berlin 1924.
  • Aus Leben und Beruf. Aufsätze, Reden, Vorträge (From life and work. Essays, speeches, lectures), Berlin 1927.

References (selection)

  • Leitner, Gerit: Der Fall Clara Immerwahr. Leben für eine humane Wissenschaft, München 1993.
  • Stoltzenberg, Dietrich: Fritz Haber. Chemiker, Nobelpreisträger, Deutscher, Jude, Weinheim 1999.
  • Szöllösi-Janze, Margit: Fritz Haber 1864-1934. Eine Biographie, München 1998.

 

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