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Humboldt-Universität zu Berlin | Presseportal | 250 Jahre Georg Wilhelm Friedrich Hegel | „Hegel hat die Kunst von der Pflicht befreit, stets die Wahrheit zu verkörpern.“

„Hegel hat die Kunst von der Pflicht befreit, stets die Wahrheit zu verkörpern.“

Im August jährt sich der Geburtstag Georg Friedrich Wilhelm Hegels zum 250. Mal. Schon zu Lebzeiten war der Philosoph ebenso verehrt wie umstritten – unter anderem, weil er „das Ende der Kunst“ konstatierte. Im Gespräch erläutert die Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Eva Geulen, warum uns Hegels Thesen über Ästhetik und Schönheit bis heute prägen.

Frau Geulen, Georg Wilhelm Friedrich Hegel gilt als der letzte Philosoph, der den Anspruch hatte, jeden Aspekt unserer Wirklichkeit erklären zu können. Wie wichtig waren ihm Ästhetik und Schönheit?

In seinem Hauptwerk, der „Phänomenologie des Geistes“ von 1807, spielt die Kunst eine wichtige Rolle. Zwischen 1826 und 1829 hat Hegel außerdem an der Berliner Universität wiederholt die „Vorlesung zur Ästhetik“ gehalten, die allerdings nur in Mitschriften seiner Studenten überliefert ist. Obwohl uns also eine verbindliche Originalpublikation zur Ästhetik fehlt, wie wir sie beispielsweise für die Logik haben, wird in diesen Schriften deutlich, dass die Kunst für Hegel eine entscheidende Rolle im Weltverlauf spielte. Er definiert sie als sinnliches Erscheinen der Idee, des Absoluten, der Wahrheit. Das ist einerseits sehr viel. Andererseits ist es eben nur das sinnliche Erscheinen, das an einem bestimmten historischen Punkt vom Geist überwunden werden muss. Wie in einem Staffellauf übergibt die Kunst den Stab ab an die reflektierende Wissenschaft und die Philosophie.

Denkt Hegel ausschließlich an Kunst, wenn er von Ästhetik und Schönheit spricht? Ästhetisch ist für Hegel nur die Kunst, nie das Naturschöne. Er war der erste, der die Ästhetik nur für die Kunst als reines Geistesprodukt reservierte. Deswegen betont er auch, dass sie nicht daran gemessen werden dürfe, wie gut sie die Natur nachahmt.

Woran misst er die Kunst?

An ihrem Verhältnis von geistigem Inhalt und sinnlicher Form. Idealerweise vermittelt Kunst zwischen Innen und Außen. Für Hegel war die antike Klassik jene Phase, in der die Kunst den Zeitgenossen sogar noch mehr Wahrheit vermittelte als die Philosophie. Doch dieser historische Moment ist unwiderruflich vorbei. Die klassische Kunst kann uns nicht mehr sein oder sagen, was sie der Antike war und sagte. Was mich immer fasziniert hat: Hegel erklärte in der Universität, dass die Kunst an ihr Ende gekommen und nicht mehr relevant sei. Und gleichzeitig wurden nebenan auf der Museumsinsel die großen klassizistischen Bauten für die antike Kunst geplant.

Heute werden auf der Museumsinsel und bald auch im Humboldt-Forum klassische Werke der Kunst aus anderen Epochen oder von anderen Kontinenten gegenübergestellt. Was würde Hegel dazu sagen?

Für ihn waren Werke aus früheren Zeiten und außereuropäische Kunst lediglich symbolische „Vor-Kunst“ und alles seit dem Mittelalter „Nach-Kunst“, in der Form und Inhalt teilweise so weit auseinanderklaffen, dass es hässlich wird. Dafür kann man ihn natürlich kritisieren, für diesen Klassizismus, diesen Eurozentrismus. Andererseits thematisiert Hegel diese Kunst immerhin – im Gegensatz zu anderen Denkern seiner Zeit. In seinen Vorlesungen behandelte er auch nicht nur den klassischen Kanon. Einige Mitschriften legen nahe, dass er ein Faible für Operetten hatte und für Schauspieler und Stücke, die nicht unbedingt „Hochkultur“ waren.

Sie haben ein Buch über Hegels These vom „Ende der Kunst“ geschrieben. Und gezeigt, dass sich Denker und Künstler davon eher angetrieben als entmutigt fühlten.

Es hat natürlich immer wieder Sturmläufe gegen Hegel gegeben. Mit der Aussage, es sei mit der Kunst vorbei, wird ja die Kunstwissenschaft um ihren Gegenstand und wir alle um die Moderne gebracht. Aber Hegels Denkstrukturen stecken uns tief in den Knochen. Wer beispielsweise Kunst gerade dann interessant findet, wenn Inhalt und Form auseinanderklaffen, bezieht sich mittelbar immer noch auf Hegel. Wer Marcel Duchamps Urinal oder Andy Warhols Suppendosen als das Ende der Kunst bezeichnet, bezieht sich ebenso auf Hegel. Sein Denken ist Teil unserer intellektuellen Hardware. Statt zu versuchen, davon loszukommen, sollten wir zu seinen Texten zurückkehren und schauen, was davon heute noch brauchbar ist – ohne uns gleich das ganze System einzukaufen.

Wie könnte das aussehen?

Zum Beispiel könnte man Hegels These vom Ende der Kunst positiv wenden und sagen: Endlich ist die Kunst nicht mehr in die Fron der Philosophie gesperrt. Sie muss nicht mehr das Allerhöchste repräsentieren und immer die Wahrheit sagen. Vielleicht kann es jetzt um Imagination gehen, um Kreativität, um Ausdrucksformen. Hegel hat die Kunst also auch von einer Last befreit.

Das Gespräch führte Stefanie Hardick.

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250 Jahre Hegel