DFG Kolleg-Forschergruppen - Beteiligung Humboldt-Universität zu Berlin
KFOR 1627: BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik
Die Forschungsgruppe nimmt eine der ältesten und elementarsten Fragen der Bildreflexion auf, nämlich die nach den Strukturen und Verfahren bildlicher Evidenzerzeugung. Sie geht von der Prämisse aus, dass bildliche Evidenzgenerierung als eine ästhetische Grundkategorie sowohl Verfahren der Repräsentation von Wirklichkeit einschließt als auch eine genuine visuelle Präsenz hervorbringt, die außerhalb der Bilder nicht zu finden ist. Die zweifache Bestimmung des Bildes - als Repräsentation und Präsenz - ist grundlegend, denn nur in der dialektischen Vermittlung dieser beiden Modalitäten kann die zentrale Bedeutung und Funktion von Bildern angemessen beschrieben werden. Ziel ist es, die verschiedenen historischen und systematischen Formen dieser Vermittlung zu erforschen.
Ein derartiges Unterfangen wirkt gegenwärtig ebenso herausfordernd wie dringlich, denn es trifft auf eine Situation der Kultur- und Bildwissenschaften, in der die Bedeutung der Bilder durch scheinbar antagonistische Positionen aufgerieben wird. Einerseits herrscht eine umfassende Skepsis an der bildlichen Evidenz von Natur und Gesellschaft, von Politik und Geschichte, indem Bilder als der Sprache analoge und lesbare Zeichensysteme betrachtet werden, die über keinen spezifischen Eigensinn verfügen und gleichsam verbraucht sind, sobald ihre Botschaft entziffert ist.
Andererseits wird der Anspruch der Bilder auf eine autonome und rein selbstbezügliche Sinnproduktion reklamiert, die sich abgekoppelt von der außerbildlichen Wirklichkeit vollziehe und vermeintlich erst durch diese Alleinstellung ihre ästhetische Wirksamkeit entfalte. Im Rahmen der geplanten Neupositionierung bildlicher Evidenzerzeugung wird aber gerade auch der Wirklichkeitsbezug der Bilder noch einmal neu zu denken sein.
Dass Bilder theoriehaltig sind und in diesem Sinne eine eigene Diskursivität verkörpern, ist zentral für die Frage, wie sie Evidenz erzeugen. Denn es eröffnet sich hieraus die Möglichkeit, aus den Bildern selbst verbindliche Kriterien ihrer ästhetischen Form zu gewinnen, die ihrerseits wieder eine Geschichte haben.
So eröffnet das Unterfangen, der Kategorie der Evidenz ihre historische Tiefe zurückzugewinnen, zugleich einen gangbaren Weg, zwischen historischer Betrachtung und ästhetischem Zugang, zwischen Begriff und Anschauung und mithin zwischen dem Wirklichkeitsbezug des Bildes und seiner Eigenwirklichkeit zu vermitteln. Nur durch einen solchen dynamischen Begriff von Bild und Evidenz kann auch die virulente Tendenz zur polemischen Gegenüberstellung von Bild und Schrift, visueller und textueller Kompetenz, überwunden werden, um das Forschungsfeld einer transdisziplinären Perspektive neu zu erschließen.
Sprecherhochschule:
Freie Universität Berlin
Sprecher*in:
Prof. Dr. Klaus Krüger
Beteiligte Fakultät/Beteiligtes Institut der Humboldt-Universität zu Berlin: Philosophische Fakultät, Institut für Philosophie
Laufzeit: 2011-
KFOR 1927: Medienkulturen der Computersimulation (MECS)
Die Kolleg-Forschungsgruppe »Medienkulturen der Computersimulation« (MECS) geht davon aus, dass Computersimulationen (CS) seit einem halben Jahrhundert das Wissen und die Praxis von Wissenschaft und Gesellschaft fundamental verändert haben. Diese Veränderungen im Gefüge des wissenschaftlichen Wissens sowie im Wissenschaftsverständnis haben allerdings so gut wie keine geisteswissenschaftliche »Kritik« (im Sinne der Reflexion ihrer theoretischen, materiellen, historischen und epistemologischen Möglichkeitsbedingungen) erfahren. Mit seiner Arbeit will das Kolleg daher nicht nur einen grundlegenden Beitrag zum Verständnis des epistemotechnischen Umbruchs der CS leisten, sondern deren Erforschung zugleich als ein neues geisteswissenschaftliches Forschungsfeld etablieren. In der ersten Förderphase hat die Kollegforschungsgruppe daher CS im benannten Sinn als geisteswissenschaftlichen Forschungsgegenstand konturiert. Als inhärent transdisziplinäres und aus geisteswissenschaftlicher Perspektive weitgehend unerforschtes Feld stellen CS vor die Herausforderung, neue Begriffe und Methoden, Formen der Argumentation und Gesten des Denkens wirksam werden zu lassen, mit deren Hilfe eine Epistemologie digitaler Wissenschaften erarbeitet werden kann, um dadurch nicht zuletzt die gesellschaftspolitische Relevanz der Medien- und Kulturwissenschaften mitzugestalten. Die aus Physik und Informatik sowie den Medien- und Geisteswissenschaften kommenden Antragsteller haben daher mithilfe eines interdisziplinären Teams von Mitarbeiter/innen sowie einem internationalen Fellowprogramm entlang ausgewählter Gegenstände, durch Austauschformate und durch erste Publikationen an der Erstellung von Fallstudien zur vergleichenden Erforschung und Systematisierung von CS in unterschiedlichen Wissens- und Wissenschaftsdomänen gearbeitet.Nach der Erschließung des Feldes und dem Au4au eines Netzwerks von Forscher/innen dient die zweite Förderphase dem Vergleich, der Vertiefung und der Systematisierung der gewonnenen Erkenntnisse, sowie ihrer Rückbindung an andere geisteswissenschaftliche Diskussionen. Ziel ist die methodische und begriffliche Erarbeitung der Grundlinien einer technisch informierten Kulturtheorie der CS. Dazu dienen die Leitbegriffe »Politiken«, »Zeitlichkeiten« und »Materialitäten«. Die Forschung wird an deren Schnittfeldern und Interdependenzen stattfinden und in einer doppelten Wendung eine Kulturtheorie der CS entwickeln, indem sie die Möglichkeitsbedingungen aktueller kulturwissenschaftlicher Theoriebildung zugleich am Gegenstand CS problematisiert. Ziel ist damit die nachhaltige Etablierung des Themas in der geisteswissenschaftlichen Forschungslandschaft im Rahmen einer kulturtheoretischen Grundlagenreflexion.
Sprecherhochschule:
Leuphana Universität Lüneburg
Sprecher*in:
Prof. Dr. Claus Pias
Beteiligte Fakultät/Beteiligtes Institut der Humboldt-Universität zu Berlin:
Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakultät, Institut für Kulturwissenschaft
Laufzeit: 2012-
KFOR 2235: The International Rule of Law - Rise or Decline? Zur Rolle des Völkerrechts im globalen Wandel
Die beantragte Kolleg-Forschergruppe fragt nach der Rolle des Völkerrechts unter den gegenwärtigen Bedingungen des globalen Wandels. Lässt sich unter diesen Bedingungen weiterhin eine wertorientierte Verrechtlichung der internationalen Beziehungen wahrnehmen oder wird diese Entwicklung durch Reformalisierungs- oder gar Entrechtlichungsprozesse abgelöst? Bietet sich ein Rückgriff auf klassische Elemente des Völkerrechts an, um auf einen sich abzeichnenden Strukturwandel hin zu einer polyzentrischenWeltordnung zu reagieren? Oder beobachten wir heute bloße Verzögerungen eines langfristigen wertorientierten Verrechtlichungsprozesses? Zusammenhang.
Sprecherhochschule:
Freie Universität Berlin
Sprecher*in:
Prof. Dr. Heike Krieger
Beteiligte Fakultät/Beteiligtes Institut der Humboldt-Universität zu Berlin:
Juristische Fakultät
Laufzeit: 2015-
KFOR 2770: Jenseits des Kanons: Heterotopien religiöser Autorität im spätantiken Christentum
Der Kanon biblischer Schriften des Alten und Neuen Testaments gilt im Christentum als grundlegende Autorität. Auch nach seinem Abschluss und seiner weitgehenden Anerkennung (im 4. Jh.) existieren und entstehen freilich weiterhin Traditionen, die jenseits des Kanons, teils sogar gegen darin festgehaltene Texte gerichtet, teils aus ihnen auswählend und sie fortschreibend, Autorität beanspruchen. In kreativer Aufnahme des Foucault’schen Begriffes können diese gemeinhin als „apokryph“ bezeichneten Traditionen sowie deren Ausdrucksgestalt und Kommunikationszusammenhänge als Heterotopien, d.h. als „wirksame Orte“ in der Funktion von „Widerlagern“, im spätantiken Christentum verstanden werden. Diesen Überlieferungen und ihren Funktionen in verschiedensten Kontexten religiösen Lebens widmet sich die geplante Kolleg-Forschergruppe. Konkret richtet sie den Blick auf literarische Traditionen jenseits des biblischen Kanons, auf deren vielfältige, oft materiale Ausdrucksformen und Ansatzpunkte in der „gelebten“ und in der „popularen“ Religion sowie auf ihre unterschätzte Bedeutung im rituellen Leben der Kirchen. Dabei wird das Konzept des „Denkraums Spätantike“ im Sinne eines auch Dinge und Praktiken umfassenden Diskursraums erweitert. Dieser Zugang verspricht nicht nur Einsichten in die eher impliziten Mechanismen religiöser Kommunikation und theologischer Erkenntnisbildung; der disziplinenübergreifende Ansatz vermag auch einen innovativen Beitrag zu übergeordneten Fragen kanonischer Prozesse und alternativer Autoritäten zu leisten, wie sie auch in anderen Kultur- und Geisteswissenschaften diskutiert werden.
Sprecherhochschule:
Universität Regensburg
Sprecher*in:
Prof. Dr. Tobias Nicklas
Beteiligte Fakultät/Beteiligtes Institut der Humboldt-Universität zu Berlin:
Theologische Fakultät
Laufzeit: 2018-
KFOR 2932: Polyzentrik und Pluralität vormoderner Christentümer
Die Kolleg-Forschungsgruppe (KFG) will mit der Polyzentrik und Pluralität vormoderner Christentümer ein Phänomen ergründen, das für die Geschichte vom 7. - 18. Jahrhundert im globalen Maßstab von Bedeutung ist. Dieses Vorhaben reicht weit über den religiös-kirchlichen Rahmen hinaus: Die vormodernen Christentümer brachten als Institution die Kirchen hervor, die grundlegende Vorstellungen zur Ordnung der Welt entwickelten und Prozesse der Institutionenbildung prägten. Durch Transfer- und Austauschprozesse trugen sie maßgeblich dazu bei, die verschiedenen Regionen Europas und der Welt miteinander zu vernetzen. Die Christentümer sind zugleich in ihrer Genese nicht ohne die institutionellen und dogmatischen Abgrenzungen sowohl intern als auch von anderen, konkurrierenden Traditionen zu denken. Die historische Analyse vormoderner Christentümer erfordert daher deren umfassende Kontextualisierung ebenso wie den Blick auf interreligiöses Entanglement. Zugleich eröffnet die Frage nach den vielfältigen, sich verschiebenden, immer neue Konstellationen ausbildenden Christentümern einen Zugang zur Geschichte der globalen Verflechtung.Die empirischen historischen Kenntisse zur Geschichte der Christen wurden in den letzten Jahrzehnten durch zahlreiche Einzelstudien geradezu revolutioniert. Doch noch fehlen Ansätze, die die Pluralität, die Polyzentrik und die Perspektivenabhängigkeit von Zugehörigkeiten und Ordnungen systematisch erfassen und in ihrer historischen Komplexität abbilden. Dies soll in der KFG gelingen. Voraussetzung hierfür ist die Abkehr von essentialistischen Kategorien, denen die Behauptung dogmatischer Wahrheit, die Kirchenorganisation oder gar die Grenzziehungen moderner Staaten zu Grunde liegen. Stattdessen verstehen wir Christentümer als Interaktionsgemeinschaften, die sich auf Jesus Christus beziehen und durch Interaktion innere Kohärenz sowie äußere Grenzen erzeugen. Wo sich Interaktion verdichtet, bilden sich Zentren, wo sie ausdünnt, entstehen Grenzen. Was jeweils mit dem Begriff Christentümer gefasst wird, ist daher fluide und perspektivenabhängig.So streben wir eine dreifache Dezentrierung der Forschung an: Methodisch wollen wir die Perspektive der AkteurInnen den teleologischen Narrativen in der Geschichte der Christentümer entgegensetzen. In geographischer Hinsicht gilt es, die eurozentrische Perspektive zu überwinden. Inhaltlich soll die für HistorikerInnen unbrauchbare Übernahme dogmatischer Bewertungen, die nicht-europäische oder nichtlateinische Kirchenorganisationen und theologische Traditionen als „Abspaltung“ betrachtet, aufgebrochen werden.Um diesen Zugriff konzeptionell und empirisch zu verwirklichen, müssen disziplinäre Trennungen überwunden und Begriffe überprüft werden. Hierfür gilt es, Forschungsstand und -ansätze zur mittelalterlichen lateinischen Kirchen- und Christengeschichte, zur Geschichte von Reformation und Papsttum sowie zu den orthodoxen und altorientalischen Kirchenfamilien der Vormoderne zusammenzuführen.
Sprecherhochschule:
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Sprecher*in:
Prof. Dr. Birgit Emich
Beteiligte Fakultät/Beteiligtes Institut der Humboldt-Universität zu Berlin:
Philosophische Fakultät/ Institut für Geschichte
Laufzeit: 2020-