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„Man muss es einfach mal gemacht haben, um den Effekt beurteilen zu können“

Der Sportpsychologe Darko Jekauc wird auf dem Tag der Gesundheit am 1. Juni 2016 in das Thema Achtsamkeit einführen und bietet Übungen an

Darko Jekauc ist Professor am Institut für Sportwissenschaft. Er erforscht unter anderem, wie sich Achtsamkeitstraining auf Leistungen im Sport, die Konzentration und das Erreichen des Flow-Zustands auswirkt. Er ist Sportler und wendet Achtsamkeitsübungen selbst an.

Herr Prof. Jekauc, zum Thema Achtsamkeit findet sich seit einigen Jahren viel in den Buchhandlungen, worum geht es dabei eigentlich genau?

Gesundheit Matthias Heyde
Achtsam sein heißt, auf den gegenwärtigen
Augenblick konzentriert zu sein.
Abbildung: Matthias Heyde

Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit, bei der wir uns auf den gegenwärtigen Augenblick konzentrieren und die Dinge ohne Wertung wahrnehmen. Wir erkunden, was wir wahrnehmen, denken oder fühlen. Achtsamkeit kann uns helfen, besser mit eigenen Emotionen und schwierigen Gedanken umzugehen. Ob im Sport oder am Arbeitsplatz –  der Alltag stellt uns immer wieder vor problematische Situationen. Mit Hilfe von Achtsamkeit können wir mit Frustrationen und Niederlagen besser umgehen, gelassener durch den Tag gehen, effizienter arbeiten und Gelegenheiten erkennen, die sonst an uns vorbeifliegen würden.

Warum verpassen wir Gelegenheiten?

Wir werden permanent von Gedanken und Gefühlen überrannt, sie erobern unser Bewusstsein, ohne dass wir es merken. Es kommt vielleicht Ärger auf oder ein quälender Gedanke wird zum x-ten Mal durchgekaut. Dabei bleiben wir in der Vergangenheit hängen oder blicken besorgt in die Zukunft – und verpassen dadurch, was hier und jetzt passiert. Wer achtsam ist, merkt, was in ihm vorgeht und kann bewusst entscheiden, ob er sich mit dem Thema auseinandersetzen möchte oder es gut sein lässt.

Der Arbeitsalltag wird ja bei vielen Beschäftigten auch immer stressiger.

Ja, die Arbeit wird immer schneller getaktet, wir fühlen uns wie in einer Maschinerie gefangen. Manchmal haben wir einen Haufen Dinge gleichzeitig im Kopf, die wir erledigen müssen. Kein Wunder, dass wir uns am Ende des Tages gestresst fühlen. Sie kennen das bestimmt: Jemand erzählt uns etwas aber wir sind so stark mit einem anderen Gedanken beschäftigt, dass wir den Inhalt kaum mitbekommen. Achtsamkeit bedeutet auch zuzuhören. Wer achtsam ist, sich auf eine einzige Aufgabe konzentriert und zunächst nur diese Sache zu Ende führt, wird seine Arbeit insgesamt besser erledigen und weniger gestresst sein.

Was aber, wenn die Gedanken immer wieder um ein Erlebnis kreisen und sich nicht abschalten lassen, beispielsweise wenn man wütend ist?

Emotionen sind nun mal Teil unseres Lebens. Wenn sie aufkommen, bestimmen sie unsere Gedankenwelt. Wichtig ist zu bemerken, dass sie da sind, ohne zu werten. Allein durch die Feststellung, dass Wut aufkommt, distanzieren wir uns schon ein wenig von der Emotion und sind nicht mehr so beherrscht von ihr. Wir treten innerlich einen Schritt zurück und nehmen einen tiefen Atemzug – so können wir der Wut Wind aus den Segeln nehmen. Die Emotion verliert an Fahrt und wird immer schwächer. Irgendwann löst sich das Ganze auf.

Nun die spannendste Frage: Wie werde ich achtsam?

Achtsamkeit ist etwas, das ähnlich wie körperliche Fitness regelmäßig trainiert werden muss. Ein Achtsamkeitstraining beginnt mit Übungen, bei denen wir lernen, die Konzentration auf eine bestimmte Sache zu richten ohne uns ablenken zu lassen. Atemübungen zum Beispiel: Wir richten unsere Aufmerksamkeit nur auf das Atmen. Wenn man das zum ersten Mal probiert, ist man spätestens nach zehn Sekunden raus. Ziel dabei ist, die abschweifenden Gedanken zu bemerken und die Konzentration wieder auf den Atem zu richten. Im fortgeschrittenen Stadium lernen wir auch, uns von einzelnen Gedanken zu lösen und sie entspannt zu beobachten – wie Wolken, die über den Himmel ziehen.

Was ist der Königsweg, um Achtsamkeit zu trainieren?

Regelmäßige Meditation ist sicherlich ein Weg, um schnell voranzukommen. Jeder muss aber seinen eigenen Stil finden. Wichtig ist, es regelmäßig zu tun. Der Besuch eines Kurses kann für den Einstieg hilfreich sein. Man erkennt schnell, ob einem das Thema liegt oder nicht. Man muss es einfach mal gemacht haben, um den Effekt beurteilen zu können.

Kann man die Technik auch automatisieren?

Es ist tatsächlich so, dass Achtsamkeit – nach einigem Training – automatisiert werden kann. Sie wird zum Bestandteil unseres Lebens. Wichtig dabei ist, dass wir uns sogenannte Achtsamkeitsanker erarbeiten. Das kann der Atem sein – oder auch Körperempfindungen: Wie fühlt sich der Untergrund an, auf dem ich sitze? Was machen die Füße? Ein kurzer Augenblick des Innehaltens kann schon helfen, etwas zur Ruhe zu kommen und gelassener durch den Alltag gehen.

Ist Achtsamkeitstraining gleich Meditation?

Meditationsübungen sind Werkzeuge, um Achtsamkeit zu fördern. Meditation kann aber auch andere Inhalte haben.

Und ist mittlerweile nicht nur religiöse Praxis, sondern auch Forschungsgegenstand.

Ja, Achtsamkeit und Meditation sind längst Thema psychologischer Forschung. Die Grundlagenforschung hat gezeigt, dass Meditation Spuren im Gehirn hinterlässt. Areale des Gehirns, die für die Konzentration oder bewusste Wahrnehmung zuständig sind, verändern sich – bei Yogis, aber auch bei ganz gewöhnlichen Menschen, die mehrere Monate lang Achtsamkeitstraining praktiziert haben. Wir erforschen unter anderem, wie Achtsamkeit die Konzentrationsleistung und Emotionsregulation verändert. Im Sport passiert alles schnell, es ist extrem wichtig, sehr konzentriert zu sein. Wer im entscheidenden Moment nicht „da“ ist, dem nutzt die beste Wettkampfvorbereitung nichts. Wenn man sich Biographien großer Sportler anschaut, sieht man, dass der Kopf eine wichtige Rolle spielt und auschlaggebend für den Erfolg ist.

Sie untersuchen auch, wie Sportler den Flow-Zustand fördern können, worum geht es dabei? 

Flow ist ein Zustand der optimalen Leistungsfähigkeit und höchster Konzentration. Wenn man in einer Aufgabe geradezu aufgeht und gar nicht merkt, wie die Zeit verfliegt, dann ist man im Flow. Es wird vermutet, dass sich dieser Zustand durch Achtsamkeitstraining fördern lässt. Erzwingen lässt er sich jedenfalls nicht. Denn sobald man anfängt darüber nachzudenken, ist man auch schon wieder draußen. Ziel ist es, darin zu verweilen. Genau das wird durch Achtsamkeitstraining gelernt.

Die Aufgabe muss einem aber grundsätzlich schon Spaß machen?

Das stimmt nicht immer. Achtsamkeit kann uns auch helfen, an ungeliebten Pflichtaufgaben interessante Aspekte zu entdecken, so dass sie anfangen, auch ein bisschen Spaß zu machen.

Gibt es Menschen, die Achtsamkeitsübungen nicht machen sollten?

Mir ist keine Gruppe bekannt, bei der Nebenwirkungen auftreten. Es gibt klinische Studien, die zeigen, dass Achtsamkeitstraining bei psychischen Störungen wie Angstzuständen oder Depressionen eingesetzt werden kann. Dadurch können psychische Symptome gelindert werden. Eigentlich haben wir eher das Problem, die Leute zu motivieren, am Ball zu bleiben. Die Übungen erfordern Zeit, die Erfolge kommen langsam und das führt zu Motivationsschwierigkeiten. Deshalb finde ich es sinnvoll, Achtsamkeitstraining in kleinen Häppchen in den Alltag zu integrieren.

Das Interview führte Ljiljana Nikolic

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Kontakt

Prof. Dr. Darko Jekauc
Leiter der Abteilung für Sportpsychologie
Humboldt-Universität zu Berlin

Tel.: 030 20934-6043
darko.jekauc@hu-berlin.de