Humboldt-Universität zu Berlin

Henrik Steffens

Mineraloge – Naturphilosoph – „politischer“ Professor – Dichter
Alternativtext

Henrik Steffens
Foto: Wellcome Collection, gemeinfrei

Henrik (auch Henrich oder Heinrich) Steffens, im dänisch-norwegischen Stavanger geboren, seit 1797 in Preußen ansässig und 1845 gestorben, war eine Zentralgestalt der deutschen und (nord-) europäischen Romantik, aus der Geschichte der klassischen deutschen und romantischen Naturphilosophie und Naturforschung ist er nicht wegzudenken.

Seine privaten und wissenschaftlichen Wege führten ihn über Kopenhagen, Kiel, Jena, Halle und Breslau 1832 an die Berliner Universität, der heutigen Humboldt-Universität, an der er Professor für Religions- und Naturphilosophie und 1834/35 deren Rektor war. Abwechselnd trug er in diesen Jahren Anthropologie (die Karl Marx hörte), Religionsphilosophie, Psychologie und Naturphilosophie vor, wobei er letztere wegen zu geringer Zuhörerzahlen in den späteren Jahren einstellte. Søren Kierkegaard und durchreisende Skandinavier hörten ihn, auch Michael Bakunin war in dieser Zeit eingeschriebener Student in Berlin.

 

 

 

Vermittler zwischen den Natur- und Geisteswissenschaftlern 

Er war Naturforscher – in gewisser Weise der naturwissenschaftliche Zwilling zu seinem Freund Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, beide waren die Promotoren einer auf die Einheit von Natur und Geist abzielenden (Lebens-) Philosophie –; als Novellen-Dichter war er ungemein erfolgreich – in gewisser Weise markiert er mit seinen 16 Novellenbänden den Beginn des deutschen Norwegen-Hypes –, war willkommener Gast in bürgerlichen Salons, begnadeter Universitätslehrer und -reformer, romantischer Rebell, Soldat und Teilnehmer am Befreiungskrieg 1813, rabiater Diskutant im preußischen Kirchenstreit. Als Naturforscher war er vernetzt mit den Kollegen in Dänemark, Norwegen, Schweden, Frankreich und England. Über seine dänische Mutter war er mit vielen dänischen Kulturgrößen verwandt; sein Vater kam aus dem holsteinischen Rendsburg.

Als skandinavischer Gelehrter nahm Steffens eine besondere Vermittlerrolle zwischen den Natur- und Geisteswissenschaftlern seiner Zeit ein, trotz rhetorischer (und gerühmter) Begabung und großer Beliebtheit blieb die Zahl seiner Schüler überschaubar, und so ist er nach seinem Tod auch bald in Vergessenheit geraten. Einzig als Überbringer der Romantik nach Dänemark hat er in den Annalen der Wissenschaften überlebt: Seine legendären philosophischen Vorlesungen 1802/03 in Kopenhagen begründeten den Mythos, dass er das romantische Denken nach Dänemark/Skandinavien brachte und dort zum Erfolg führte. Allbekannt wurde er als Volkstribun während der Befreiungskriege und zog auch selbst 1813/14 die preußische Uniform an, um in der Landwehr unter Marschall Blücher in die erfolgreichen Schlachten gegen Napoleon zu ziehen. Politisch wurde der norwegische Däne in preußischen (Universitäts-) Diensten; in und nach den Napoleonischen Kriegen wurde er ein deutscher Patriot. Im derzeitigen Diskurs über Umweltethik, Nachhaltigkeit und die Position des Menschen in der Natur gewinnt Steffens mit seinen Überlegungen zur Erd- und Menschheitsgeschichte an Aktualität.

Kontakt zu den Großen der Zeit

Mit einem dänischen Stipendium unternahm er 1797 eine Forschungsreise u.a. nach Freiberg, schließlich auch nach Jena, wo der zwei Jahre jüngere Schelling seine Antrittsvorlesung über die Philosophie der Natur hielt; auch Johann Gottlieb Fichte lehrte zu der Zeit in Jena. Nicht nur mit diesen beiden begann eine fruchtbare, z.T. lebenslange Beziehung, ja Freundschaft – seiner Autobiografie folgend gab es kaum einen der Großen der Zeit, mit dem er nicht in Kontakt war: Goethe, Schiller, Tieck, Novalis, Schleiermacher, Schlegel, Herder, die Humboldts, die Grimms… Während seiner Zeit in Halle (1804–11) arbeitete und lebte er zusammen mit Wilhelm Grimm und Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher; die romantische Jugend traf sich im (Garten-) Salon seines Schwiegervaters, des Kapellmeisters, Musikers, Komponisten und Salinendirektors Johann Friedrich Reichhardt in der „Herberge der Romantik“ in Giebichenstein. Philipp Otto Runge schätzte er als Maler sehr, mit ihm verband ihn Freundschaft und eine Seelenverwandtschaft.

In der Bergakademie Freiberg, wo er wissenschaftliche Förderung durch den Mineralogen Abraham Gottlob Werner erhielt, entstanden die „Beyträge zur innern Naturgeschichte der Erde“; seine geognostisch-geologischen Aufsätze bereitete er vor, die er später in seinem Handbuch der Oryktognosie weiter ausführte. Steffens’ geologische Schriften entstanden, als Naturwissenschaftler die erdgeschichtliche Tiefenzeit entdeckten, und sie aktualisieren Einsichten in unterschiedliche Temporalitäten – Erdgeschichte und Humangeschichte – und in die Geologisierung des Anthropos. Wenig bekannt ist, dass Steffens als Naturforscher zunächst und ganz vorromantisch in der Tradition der Aufklärung stand, etwa mit seiner Übersetzung des systematisch-klassifikatorischen Botanik-Lehrbuchs Carl Ludwig Willdenows. Steffens’ Begeisterung für die frühromantische Naturphilosophie lässt sich mit dem theoretischen und empirischen Mangel der Aufklärung verstehen. Das Beschreiben, Systematisieren und Klassifizieren war für ihn zunehmend unbefriedigend, um den Zusammenhang der Natur zu verstehen. Diese erschloss sich ihm durch die Naturphilosophie Schellings, die die Natur geschichtlich-dynamisch denkt und die es erlaubt, die Geschichte der Natur mit einer Geschichte des Menschen zu verbinden. Besonders die Mineralogie war für ihn kein theoretisches Lehrfach, sondern musste praktisch erfahren werden, wie er 1808 in seinem Entwurf zu einer Bergakademie an der Universität Halle erklärte.

Steffens‘ Rolle für die „Hodegetik“ nicht zu unterschätzen 

Mit seinem Ziel einer universellen Bildung, der Verbindung von Wissenschaft und Religion, ohne Einmischung des Staates, ist er in eine Reihe mit Schelling, Fichte, Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt zu stellen; ihre Schriften waren die logische Konsequenz des reformerischen Denkens der deutschen Bildungselite, welche die Universitäten nicht länger ausschließlich als Orte der Wissensvermittlung ansah, sondern auch als Orte der Wissenserforschung und Bildung. Auch wenn wenig bekannt, ist Steffens‘ Rolle für die „Hodegetik“ nicht zu unterschätzen, jene studienbegleitende Lehre, die darauf abhebt,  die Studenten in den sinnvollen und „würdigen“ Gebrauch der akademischen Freiheit einzuweisen, also eine wesentliche Einführung in die Methoden des Universitätsstudiums und ein wesentlicher Bestandteil der akademischen Selbstbestimmung in Fortsetzung der Schleiermacher’schen Gedanken.

In der Breslauer Turnfehde setzte er sich literarisch mit dem politisch-motivierten Turnen von Friedrich Ludwig Jahn auseinander, dem er vorwarf, die Jugend im Sinne eines fanatischen Patriotismus für einen weiteren Krieg gegen Frankreich zu erziehen. Die Verbindung von Turnern und Burschenschaftern sah Steffens als Gefahr für die Freiheit der Universitäten. Im politisch-literarischen Streit um August von Kotzebue mischte Steffens sich nach dessen Ermordung mit der Schrift „Ueber Kotzebue’s Ermordung“ ein und warnte eindrücklich vor Einschränkung von Meinungs- und Publikationsfreiheit sowie der (mit den Karlsbader Beschlüssen verabschiedeten) Überwachung der Universitäten.

Schriften (in Auswahl)

 

  • Über Mineralogie und das mineralogische Studium. Altona 1797.
  • Beyträge zur innern Naturgeschichte der Erde. Freiberg 1801.
  • Ueber die Idee der Universitäten, Vorlesungen. Berlin 1809.
  • Geognostisch-geologische Aufsätze, als Vorbereitung zu einer innern Naturgeschichte der Erde. Hamburg 1810.
  • Vollständiges Handbuch der Oryktognosie. 4 Bde. Halle 1811–1824.
  • Die gegenwärtige Zeit und wie sie geworden, mit besonderer Rücksicht auf Deutschland. Berlin 1817.
  • Anthropologie. 2 Bände. Breslau 1824.
  • Novellen. Gesammt-Ausgabe, 16 Bände. Breslau 1837–1838.
  • Indledning til philosophiske Forelæsninger. Hg. Johnny Kondrup. Kopenhagen 1996.
  • Einleitung in die philosophischen Vorlesungen. Hgg.: Henningsen, Bernd, Jan Seeger: Freiburg/München 2016.
  • Was ich erlebte. Aus der Erinnerung niedergeschrieben. Hg. Henningsen, Bernd. 10 Bde. Berlin 2014ff.

Literatur (in Auswahl)

 

  • Bergner, Marit: Henrich Steffens. Ein Politischer Professor in Umbruchzeiten 1806–1819. Frankfurt am Main 2016.
  • Henningsen, Bernd: Henrik Steffens: Ein norwegisch-dänisch-deutscher Gelehrter, ein europäischer Intellektueller, ein politischer Professor. In: Henningsen, Bernd, Jan Seeger (Hgg.): Henrik Steffens: Einleitung in die philosophischen Vorlesungen. Freiburg/München 2016, S. 159–199.
  • Henningsen, Bernd/Otto Lorenz (Hgg.): Henrik Steffens. Vermittler zwischen Natur und Geist. Berlin 1999.
  • Paul, Fritz: Henrich Steffens. Naturphilosophie und Universalromantik. München 1973.

 

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