Prof.
Dr. Dieter B. Herrmann ist Direktor der Archenhold-Sternwarte und des
Zeiss-Großplanetariums Berlin. Er studierte von 1957-63 Physik an
der Humboldt-Universität zu Berlin. Bekannt wurde er als Moderator
der Wissenschaftssendung "AHA" des DDR-Fernsehens. Herrmann
ist Autor von 29 Büchern, 150 wissenschaftlichen und 2000 populärwissenschaftliche
Publikationen. Wir sprachen mit ihm über seine Zeit als Student an
der Humboldt-Universität zu Berlin.
Herr Professor Herrmann, Sie sind seit 1976 als Direktor der Archenhold-Sternwarte
und seit 1987 als Gründungsdirektor des Zeiss-Großplanetariums
"Herr über den Himmel Berlins". Viele kennen Sie noch als
Moderator der Wissenschaftssendung "AHA" des DDR-Fernsehens.
Ihren ersten großen Erfolg hatten Sie jedoch als Hauptdarsteller
des "Entfesselten Wotan" in einer Inszenierung der Studentenbühne
der Humboldt-Universität unter Kurt Böwe. Waren Sie lieber Schauspieler
oder Naturwissenschaftler?
Es waren immer zwei Herzen, die in meiner Brust geschlagen haben. Schon
mit 13 Jahren habe ich im "Haus der Kinder" an der Parkaue in
Lichtenberg Theater gespielt. Mit mir standen damals Thomas Langhoff und
Helga Hahnemann auf der Bühne.
Gleichzeitig hat sich Ihre Begeisterung für die Astronomie
entwickelt?
Ich hatte zur gleichen Zeit das Buch "Der Mensch und die Sterne"
von Bruno H. Bürgel gelesen. So kam ich als Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft
zu dieser Sternwarte. Diese beiden Dinge haben mich nicht mehr losgelassen:
einerseits die künstlerischen Neigungen - später auch die Beschäftigung
mit Musik - und auf der anderen Seite die Naturwissenschaften.
Zeigte sich ein Drang, anderen davon etwas mitzuteilen?
Ja, ich suchte mir mein Publikum. Schon als Oberschüler hatte ich
jeden Dienstag bei mir in der Wohnung in Lichtenberg auf dem Korridor
einen Zuhörer, dem ich das per Vortrag erzählte, was ich am
Montagabend bei einem Vortrag in der Sternwarte gehört hatte.

Der Studentenausweis der Humboldt-Universität
von 1960
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Professor Dieter B. Herrmann im März 2003
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Fotos:
Heike Zappe |
Beiden Neigungen räumten Sie später einen gleichberechtigten
Platz während Ihrer Studienzeit ein?
Die Studentenbühne ist ein ganz wesentlicher Punkt während meines
Studiums, der mir fast zum totalen Verhängnis geworden wäre.
Ich studierte seit 1957 Physik an der Humboldt-Universität. Sehr
bald spielte ich auch im Kabarett "Die Massenpunkte" der Mathematischen-Naturwissenschaftlichen
Fakultät mit. Dort wurde die Studentenbühne auf mich aufmerksam.
Sie wollten den "Entfesselten Wotan" von Ernst Toller inszenieren
und glaubten, ich könne den Wotan spielen.
Gab es ein Casting?
Der damalige Leiter Kurt Böwe holte mich zu sich in das Theaterwissenschaftliche
Seminar der Humboldt-Universität, warf sich in einen Sessel und sagte
zu mir: "Rasieren, bitte!" - Nach dem "Vorspiel" stellte
er mir das Projekt vor: Ein Berufsregisseur vom Berliner Ensemble und
ein Berufskomponist sollten die Inszenierung professionell begleiten.
Begeisterungsfähig wie ich war, habe ich die Rolle übernommen.
War die Inszenierung erfolgreich?
Sie hatte ein Presseecho ersten Ranges. Sie führte auch dazu, dass
Kurt Böwe Schauspieler wurde anstatt seine Promotion auf dem Gebiet
der Theaterwissenschaft zu Ende zu führen. Ich war in ganz Berlin
berühmt. Allerdings beschäftigte ich mich auch kaum noch mit
dem Studium, besonders dann nicht, als die Premiere bevor stand und wir
jeden Abend bis Mitternacht probten und am nächsten Morgen die Prüfungen
zu absolvieren waren. Schließlich kam es zu dem großen Debakel,
dass ich zum Ende des zweiten Studienjahres zweimal eine der Prüfungen
verhauen habe und damit offiziell exmatrikuliert werden musste.
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Dieter B. Herrmann in der Inszenierung "Der entfesselte
Wotan" der Studentenbühne |
Welche Alternativen boten sich Ihnen?
Mir war unklar, was ich machen sollte. Man hatte mir angeboten, die Schauspielerlaufbahn
einzuschlagen und zum Berliner Ensemble zu kommen. Doch ich wusste, ich
wollte Physik studieren, auch wenn ich mit großer Intensität
einen anderen Weg gegangen war. Ich stellte den Antrag, ein Jahr später
diese verpatzte Prüfung noch einmal zu machen, um dann in mein Physikstudium
wieder einzusteigen. Da war dann doch zu viel Forscherdrang in mir.
Wie haben Sie die Zwischenzeit überbrückt?
Ich habe ein Jahr in einem physikalischen Labor im Berliner Glühlampenwerk
gearbeitet. Hier konnte man die Physik "von unten" kennen lernen.
Dann habe ich die Prüfung bestanden und mein Studium fortgesetzt.
Es gab seinerzeit an der Berliner Humboldt-Universität keine
Möglichkeit Astronomie zu studieren. Wie fanden Sie den Weg in diese
Spezialisierung?
Die Frage stelle sich nach dem dritten Studienjahr. Ich war in der Sternwarte
als freier Mitarbeiter, habe erste Publikationen herausgebracht auf dem
Gebiet der Astronomie, da wäre nun die Spezialisierung auf dem Gebiet
der Astronomie am Platze gewesen. Da dies nicht möglich war, habe
ich mich für Biophysik entschieden und lernte so den späteren
Leiter der staatlichen Zentrale für Strahlenschutz, Professor Sitzlack
kennen, der an der Universität Vorlesungen hielt und mich auch später
in sein Institut holte. Die Astronomie blieb einstweilen noch Liebhaberei.
Welche Dozenten waren für Sie prägend?
Eine außerordentlich beeindruckende Persönlichkeit war Walter
Friedrich, der damals schon emeritiert war, - ein Schüler von Wilhelm
Conrad Röntgen. Er lebte dieses alte Ethos des Wissenschaftlers:
Wenn ein wissenschaftliches Problem stand, dann konnte man nicht schlafen,
ehe man einen Ansatz für die Lösung dieses Problems hatte. Er
hat sich im Laufe der Diplomarbeit mehrmals mit uns getroffen und sich
über die Fortschritte berichten lassen. Ein Bonmot, das er damals
formulierte, lautet: "Bei Röntgen war'n wa drei Leute und wat
ham wa allet entdeckt. Heute hab ick Tausend Mitarbeiter, entdeckt wird
jar nischt."
Haben Sie den Eindruck, dass die studentische Effizienz nachgelassen
hat?
Ich habe sogar das Gefühl, dass die Effizienz der Wissenschaft selbst
nachgelassen hat. Dieses "Gefühl" ist sogar das Ergebnis
einer quantitativen Studie, die ich durchgeführt habe. Man kann nämlich
zeigen, dass die Anzahl der bedeutenden Entdeckungen in der Naturwissenschaft,
und zwar speziell auf meinem Gebiet, der Astronomie, nicht in dem selben
Maße gewachsen ist wie die Anzahl des wissenschaftlichen Outputs
in der Astronomie überhaupt. Das heißt, es erscheinen immer
mehr Arbeiten, aber der Anteil bedeutender Arbeiten bleibt anteilig zurück.
Mir ist auch bange um das gesamte mittlere Bildungsniveau der Bevölkerung.
So wie die Zukunft aussehen wird, ist es für die Lebensgestaltung
jedes einzelnen entscheidend, welches Bildungsniveau, welche Flexibilität
und welche Kunst des Lernens zum Lernen er erlernt hat.
Wie kann man die Kunst des Lernens erlernen?
Ich empfehle, nur dann die schwere Bürde eines Studiums auf sich
zu nehmen, wenn man die innere Begeisterung hat und die innere Überzeugung,
dass man auf dem richtigen Wege ist.
Wir haben in der DDR die Welt in vielem zu einfach gesehen. Die Dinge
waren eben nicht so monokausal und so simpel, wie sie oftmals dargestellt
wurden, sondern viel komplizierter. Und die Welt ist auch komplizierter
geworden. Ich wäre schon froh, wenn die Studenten von heute sich
überhaupt darum bemühen würden, Zusammenhänge zu sehen.
Und das heißt, bei einer Erscheinung, die ich wahrnehme, zu fragen,
warum ist diese Erscheinung so. Mit welchen anderen Erscheinungen hängt
sie möglicherweise zusammen? Und nicht, dass man nur eine bunte Welt
von Ideen entfaltet und wie die Scholastiker nächtelang über
alles diskutiert, ohne zu begreifen, dass in diesem Gesamtorganismus,
den die Gesellschaft auf diesem Planeten darstellt, fast alles miteinander
verzahnt ist.
Wen würden Sie noch als Ihre Lehrmeister bezeichnen?
Am meisten geprägt haben mich Professoren, die mit ihrem eigenen
Leben, sei es auf dem Gebiet der Wissenschaft oder über wissenschaftliche
Dinge hinaus prägnante Akzente gesetzt hatten. Friedrich Herneck
hielt an der Universität die Vorlesung "Philosophische Probleme
der Naturwissenschaften". Als überzeugter Anhänger des
Sozialismus äußerte er hier aber eine ganze Reihe von Ansichten,
die ihn in große politische Schwierigkeiten brachten. So widerlegte
er öffentlich die kolportierte These, nur auf der Grundlage des dialektischen
und historischen Materialismus könne ein Naturwissenschaftler zu
wirklich bahnbrechenden Erkenntnissen gelangen. Diese These, so Herneck,
sei schon durch das Wirken von Planck und Einstein ad absurdum geführt.
Er wurde des Revisionismus bezichtigt. Robert Havemann, damals noch in
hohem Ansehen bei der Partei, konnte es sich noch leisten, ihn zu verteidigen.
Herneck wurde schließlich in eine Hinterstube des Universitätsarchivs
verbannt und bereitete fortan die drei Bände zum 150. Jubiläum
der Universität vor. Dadurch ist er zum Historiker der Naturwissenschaften
geworden. Er hat mich beeindruckt, weil er aus seiner Überzeugung
heraus solche Konsequenzen auf sich genommen hat.
Sie haben bis heute mehr als 2000 Veröffentlichungen verfasst.
Welche ist Ihre wichtigste Entdeckung?
Mich interessierten solche Fragen: Wie entstehen wissenschaftliche Erkenntnisse,
welche persönlichen Voraussetzungen, welche Voraussetzungen des Umfeldes
gesellschaftlicher Art bestanden? Herneck drängte mich, eine Promotion
auf wissenschaftshistorischem Gebiet zu machen. Mein Amtsvorgänger
Diedrich Wattenberg meinte, wenn schon Geschichte, dann aber der Astronomie.
Auf wissenschaftlichem Gebiet halte ich diese Arbeiten für die wichtigsten,
etwa 150 wissenschaftliche Publikationen, die ich in diesen Jahrzehnten
geschrieben habe und die sich mit der Entwicklung der Astronomie und der
Physik beschäftigen. Einiges von dem wurde noch viel zu wenig aufgegriffen.
Nennen Sie ein Beispiel.
Wissenschaftsgeschichte ist überhaupt nicht mathematisiert bis heute.
Und sie sei, so sagen konservative Historiker, auch nicht mathematisierbar.
Das bestreite ich. Am Anfang meiner Laufbahn stand die kleine Entdeckung,
dass die Anzahl der Sternwarten als Produktionsstätten des astronomischen
Wissens während des 19. Jahrhunderts mit sehr großer Genauigkeit
einem exponentiellen Wachstumsgesetz gefolgt ist. Eine so strenge Gesetzmäßigkeit,
die wir beim radioaktiven Zerfall, aber auch in der belebten Natur finden,
könnte auch erfolgversprechend zum tieferen Eindringen in die Abläufe
der Wissenschaftsgeschichte verwendet werden.
Sie erwähnten bereits, dass Ihre Interessen weit über
das Fachliche hinaus gingen. Sie waren auch mit Hanns Eisler befreundet.
Ich habe noch während meines Studiums mit Hanns Eisler Live-Interviews
in der Humboldt-Universität durchgeführt. Wir spielten unveröffentlichte
Tonbänder vor. Das Eisler-Bild war einseitig geprägt in der
Öffentlichkeit. Es war nur diese Komponente Kampflieder bekannt.
Die kammermusikalischen und zwölftönigen Arbeiten, die er in
den USA geschrieben hatte, wurden lange unter dem Deckel gehalten in der
DDR.
Was macht den Charakter einer Universität aus?
Was ich für den Geist einer Universität halte, das ist die mehr
oder weniger genetische Kette der Leute, die diese Universität geprägt
haben. Wenn man eine Universität, wie die traditionsreiche Humboldt-Universität,
betritt, dann weht einem der Wind dieser großen Tradition entgegen.
Natürlich hat sich äußerlich vieles verändert, auch
die Studienformen haben sich verändert. Aber diese großen Namen
sind geblieben.
Fühlen Sie sich der Humboldt-Universität noch verbunden?
Nach wie vor. Und ich bin auch sehr stolz, auf dieser Universität
gewesen zu sein.
Nach der Habilitation sind Sie noch einmal an die Universität
zurückgekehrt.
Ich hatte 1986 eine Honorarprofessur für Geschichte der Astronomie
und Astrophysik an der Sektion Wissenschaftsgeschichte und -organisation.
Ich habe hier wissenschaftsgeschichtlich gearbeitet, wobei mir vorschwebte,
dass man etwas für die quantitative Betrachtungsweise wissenschaftshistorischer
Forschung tun könnte. Ehe wir das aufgebaut hatten, sind die Sektionen
nach der Wende aufgelöst worden.
Sie haben mit der Wissenschaftssendung AHA des DDR-Fernsehens mehr
als 14 Jahre lang die populäre Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse
befördert und tun es seit fast 30 Jahren als Direktor der Sternwarte.
Was motiviert Sie?
Ich bin der Überzeugung, dass es gut ist für die Verbreitung
der Vernunft und rationalem Denken unter den Menschen, wenn Sie sich wenigstens
mit den Grundfragen des heutigen naturwissenschaftlichen Weltbildes beschäftigen.
Diese Art zu wirken ist ja eine Mischung zwischen Wissenschaft und Kunst.
Ein Wissenschaftler, der ausschließlich in seinem Labor sitzt und
sich sonst für nichts interessiert, würde kein Planetariumsprogramm
schreiben können. Und ein Künstler, der von Wissenschaft nichts
versteht, könnte es auch nicht.
Sind Sie das Gegenmodell zum Elfenbeinturm?
Ganz sicher.
Sie haben das Medium Fernsehen genauso beherrscht wie den Hörfunk,
die Zeitung, Ihre schauspielerischen Aktivitäten nicht zu verschweigen.
Was konnten Sie mit dieser Popularität, mit der Autorität, die
Sie hatten, bewirken?
Die Fernsehauftritte liegen mittlerweile über zwölf Jahre zurück.
Noch heute erhalte ich Zuschauerpost. Es ist für mich das erstaunlichste,
dass die Leute sich mit dieser Intensität an die Sendungen erinnern
und mich immer wieder darauf ansprechen. Wir müssen ihnen also etwas
Bleibendes gegeben haben. Gerade diese Sendung hat eine ganze Reihe von
Problemen, die in der DDR-Gesellschaft tabu waren, zum ersten Mal angesprochen.
Ob das die Homosexuellen- oder die AIDS-Problematik war. Für mich
bot sich die Gelegenheit gemeinsam mit den engagierten Fernsehleuten,
immer wieder Wissenschaft vor eine breite Öffentlichkeit zu bringen
und das ist eine Sache, die mich persönlich sehr befriedigt hat und
die offensichtlich weitgehend auch ihren Sinn erfüllte.
Diese Mischung aus Wissenschaft und Kunst, die einen großen
Teil Ihres Wirkens bestimmt - würden Sie rückblickend gern etwas
ganz anderes gemacht haben?
Die Wissenschaft populär zu machen mit zwei großen Häusern,
die ich hier leiten durfte über so viele Jahrzehnte, mit dem Medium
des Fernsehens, des Rundfunks, der Presse und der Bücher, die ich
geschrieben habe - das zu tun verlangt erstens ein hohes Maß an
Begeisterung für die Sache, die man transportieren will, und es verlangt
ein hohes Maß an wissenschaftlichen Kenntnissen und wissenschaftlichem
Können. Aber auch eine gewisse Begabung, diese Dinge rüber zu
bringen. Und da war es doch eigentlich ganz gut, dass die Dinge so gelaufen
sind. Als ich wegen einer Theateraufführung gerade aus der Uni exmatrikuliert
worden war, da hätte ich Ihnen diese Frage natürlich völlig
anders beantwortet.
Das Gespräch führten Jörg Wagner und Heike Zappe
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