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Körper und Seele im Einklang

Die wissenschaftliche HU-Mitarbeiterin Linn Burchert und die Kunstpädagogin Gabriele Fecher informieren per Webseite und E-Book über die Bauhaus-Lehrerin Gertrud Grunow

Gertrud Grunow
Porträt von Gertrud Grunow,
1936, Foto: Emma Bouché
(Photographin), Nachlass
Erich Parnitzke.

Dass Musik Gefühle abbilden, dass sie fröhlich, ernst oder melancholisch stimmen kann, ist bekannt. Was aber, wenn ein einzelner, isolierter Ton allein schon dieses Potential in sich trüge? Auf diesen Gedanken stieß die ausgebildete Sängerin und Gesangslehrerin Gertrud Grunow (1870-1944) in den zehner Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Sie hatte beobachtet, dass Sänger ihre Körperhaltung ändern, je nachdem, welchen Ton sie anstimmen. Grunow hat daraufhin zwölf verschiedene Haltungen gefunden und sie den zwölf Tönen der Tonleiter zugeordnet.

Ähnliches gelte auch für Farben, vermutete sie. Denn habe man eine bestimmte Farbe erst einmal ganz verinnerlicht, rufe auch diese eine ganz eigene Körperhaltung hervor. Weiß zum Beispiel: „Tiefste Kniebeuge. Füße: auf Halbspitze und stark nach außen gedreht. Arme: in Schulterhöhe nach vorn gehoben. Handflächen: nach oben gerichtet.“ Auch die Psyche schwinge sich ein, als ein „Gefühl der Unschuld“, als „volles Vertrauen, dem reinen Toren vergleichbar“. Gertrud Grunow erforschte die Zusammenhänge von Farben, Formen und Bewegungen und entwickelte so ihre Harmonisierungslehre. Mit ihr wollte sie Körper und Seele wieder in Einklang bringen. „Denn mit ihren Zeitgenossinnen und Zeitgenossen teilte sie die zivilisationskritische Ansicht, dass der Mensch aus dem Gleichgewicht geraten sei“, sagt Linn Burchert, seit April wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Sie hat Leben, Werk und Wirken Grunows erforscht, anlässlich des Jubiläums des Bauhauses im nächsten Jahr. Grunow lehrte dort zwischen 1919 und 1924, ab 1923 als Meisterin.

Informationen über Gertrud Grunow für ein breites Publikum

Alle Schüler besuchten ihren Harmonisierungsunterricht, der sie auf die künstlerische Praxis vorbereiten sollte. Grunows Interesse an Fragen der Harmonie hatte sie interessant für das Bauhaus gemacht. Aber anders als alle anderen Bauhauslehrer, die Weltruhm erlangten, ist Gertrud Grunow in Vergessenheit geraten. „Bislang existierte keine wissenschaftliche Aufarbeitung“, sagt Linn Burchert, „zumeist wird sie in nur ein, zwei Sätzen abgehandelt“. Gemeinsam mit der Kunstpädagogin Gabriele Fecher hat sie eine Webseite aufgesetzt und ein frei verfügbares E-Book über den Publikationsserver der HU veröffentlicht. Damit möchten sie den interdisziplinären wissenschaftlichen Austausch über Grunow anregen und zugleich ein breites Publikum ansprechen.

Linn Burcherts Forschungsschwerpunkte liegen auf den Verbindungen von Kunstgeschichte und anderen Wissensbereichen wie der Ökologie oder Heilkunden und auf einer breiteren Ideengeschichte – der Lebensreformbewegung seit 1900 etwa. „Mich interessieren nie bloß ästhetische und formale Aspekte oder aber eine klassisch-hermeneutische Interpretation von Kunstwerken, sondern die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge, in denen diese entstanden“, sagt Linn Burchert.

Kunstnahe Heilkunde

Auf Grunow ist die Kunsthistorikerin im Rahmen ihrer Dissertation zum Thema „Das Bild als Lebensraum. Ökologische Wirkungskonzepte in der abstrakten Kunst, 1910-1960“ gestoßen, die sich mit der Idee vieler Künstler beschäftigt, Farben und Rhythmen im Bild könnten eine heilsame Wirkung entfalten. „Sie bezogen sich dabei auf verschiedene esoterische Heilslehren, Naturheilkunde, aber auch wissenschaftliches, sogenanntes psychophysisches Wissen“, sagt Linn Burchert. „Als ich Grunows Praxis kennenlernte, wurde mir schnell klar, dass sie eine eigene Heilkunde entwickelt hat, die ganz kunstnah war und deshalb für die Bauhäusler und andere von großem Interesse war.“

Als die größte Schwierigkeit bei ihren Recherchen erwies sich das Fehlen authentischer Quellen. Linn Burchert kam von einer Forschungslücke zur nächsten. „Grunow war Praktikerin. Ihre Lehre zielte auf das seelische und körperliche Empfinden Bereiche also, die durch Sprache mithin schwer erschließbar sind. Dementsprechend rang sie um die richtigen Worte. Ihr Werk ist damit ein unsichtbares.“ Die Bauhausmeisterin hat nichts Greifbares hinterlassen, nicht gemalt oder gebaut, sondern Schüler für eine künftige künstlerische Arbeit sensibilisiert. Auch das Selbstmarketing anderer Bauhäusler war ihr fremd. „Sie inszenierte sich nicht öffentlichkeitswirksam als mystische Heilerin, Prophetin oder Guru und gründete keine Schule, wie es Künstler in der Moderne immer wieder taten“, erklärt Linn Burchert.

Mit der mangelhaften Forschungs- und Quellenlage konfrontiert, griff sie zum Telefonhörer. „Noch mehr als in anderen Projekten habe ich gelernt, auch in Detailfragen nicht im stillen Kämmerlein über die Probleme zu brüten, sondern den Kontakt zu anderen zu suchen.“ Sie rief Zeitzeuginnen und -zeugen an, Nachkommen, Künstlerinnen und Künstler und ausgewiesene Forschende und vereinbarte Treffen. „Ich habe außerdem gelernt, wie eine Veröffentlichung dazu dienen kann, neben Antworten vor allem Fragen zu stellen.“ Mit diesem Mut zur Lücke möchte sie die weitere Forschung anregen.

Autorin: Vera Görgen

Weitere Informationen

Webseite über Gertrud Grunow

E-Book Gertrud Grunow (1870-1944)

Pressemitteilung über Gertrud Grunow