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Museen im Visier von Populisten: Offene Drohungen und schleichende Veränderungen

Das internationale Projekt „CHAPTER“ untersucht seit 2020, wie rechtspopulistische Kräfte in Polen, Großbritannien und Deutschland Museen beeinflussen. Ergebnisse stellen die Forschenden vom 7. bis 9. Oktober auf einer Tagung an der HU vor.
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Das Projekt „CHAPTER“ untersucht seit 2020, wie rechtspopulistische Kräfte
in Polen, Großbritannien und Deutschland Museen beeinflussen.
Foto: Challenging Populist Truth-Making in Europe (CHAPTER)

Die Leiterin eines kleinen Stadtmuseums in Deutschland bekam anonyme Anrufe, in denen ihr gedroht wurde. Die Reifen ihres Fahrrads wurden vor der Haustür aufgeschlitzt, diffamierende Kampagnen und Gerüchte über sie im sozialen Netz verbreitet. All dies erzählte sie Julia Leser im Interview nur unter Zusicherung der Anonymität. Die Politikwissenschaftlerin vom Institut für Europäische Ethnologie der HU hat die Geschichte der Museumsleiterin und die Erfahrungen zahlreicher anderer Mitarbeitender aus weiteren Einrichtungen für das Projekt „Challenging Populist Truth-Making in Europe: The Role of Museums in a Digital ‘Post-Truth’ European Society“ (CHAPTER) dokumentiert und ausgewertet.

Ausgangspunkt für das Projekt, an dem auch die Universität Tübingen, die Jagiellonian University in Krakau und das University College London beteiligt sind, war die Feststellung, dass rechtspopulistische Politik zunehmend Einfluss auf Kulturinstitutionen, insbesondere auf Museen, Kulturerbe- und Gedenkstätten – und damit auf die Wahrheitsbildung nimmt. Unter der Leitung von Sharon Macdonald, die an der HU das „Centre for anthropological research on museums and heritage“ gegründet hat und Christoph Bareither, Professor an der Uni Tübingen, sollte systematisch untersucht werden, wie und in welchen Institutionen Rechtspopulismus eingreift und wie die Mitarbeitenden bei der Arbeit und persönlich davon betroffen sind. Dabei waren sowohl die analogen Räume von Museen und Kulturerbe-Stätten als auch digitale Räume wie Social-Media-Plattformen von Interesse.

Für Julia Leser stand ein Ländervergleich im Mittelpunkt der vierjährigen Forschungen. 2021/22 befragte sie mit ihrem Team ausführlich rund 40 Menschen, die an Museen in Polen, Deutschland und Großbritannien tätig waren. „Das ist eher eine explorative Studie. Wir wollten eine Vielfalt an Erfahrungen mit populistischer Politik einfangen, herausfinden, welche Museen am stärksten betroffen sind und inwiefern sich das in den drei Ländern unterscheidet.“

Plötzlich fehlten Werke

Die Forschenden wandten sich an große und kleine Häuser, die sich in urbanen, aber auch ländlichen Räumen befinden, darunter Geschichts-, Kunst- und Freilichtmuseen, Gedenkstätten oder Ausstellungen über Migration etwa in Großbritannien. „Wir haben versucht, mit allen Ebenen zu sprechen – von der Leitung, über Kuratoren und Kuratorinnen bis hin zu festangestelltem und freiberuflichem Personal in der Vermittlungsarbeit“, so die Wissenschaftlerin. Um alle Erfahrungen einzufangen, bleiben die Namen nicht nur der Gesprächspartner, sondern auch der Häuser und Orte anonym.

Den Ausgangspunkt bildete Polen, hatte doch das Kulturministerium der rechtsgerichteten PiS-Regierung in mehreren Museen, darunter das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig, leitenden Mitarbeitenden gekündigt und diese Positionen neu besetzt, wie Julia Leser beschreibt: „Ziel dieser Politik war, die polnische kulturelle Identität und Geschichte nur auf eine bestimmte Art und Weise darzustellen.“

Die Veränderung in den befragten Museen sei still, schleichend und versteckt vor sich gegangen, so das Ergebnis. „Es gab im Kuratoren-Team keine großen Diskussionen. In den Kunstmuseen fehlten plötzlich Werke, die sich mit Feminismus, Migration oder Geschlechtervielfalt auseinandersetzen. Manche Dauerausstellungen hatten einen neuen Fokus.“ Teilweise sei das nicht auf Anordnung der Museumsleitung oder des Kulturministeriums geschehen, sagt die Politikwissenschaftlerin: „Die Museumsmitarbeiter hatten Angst. Sie haben antizipiert, dass Themen wie Feminismus zu Problemen führen und haben sie vermieden.“

Gestrichene Gelder, verunsichertes Personal

Die meisten Interviews habe sie selbst in Deutschland geführt. „Ich hatte erwartet, hier nicht viel zu finden, weil wir hier keine rechten Regierungen und eine andere Situation als in Polen haben.“ Tatsächlich fand sie jedoch in deutschen und britischen Museen ähnliche Versuche der politischen Einflussnahme wie in Polen, wo bis Ende 2023 die PiS regierte. „In Deutschland versucht die AfD, durch kleine Anfragen Einfluss zu nehmen.“ Sie richtet sie an jene Museen, die Rassismus oder geschlechtersensible Sprache thematisieren, stelle deren Finanzierung und – mit Verweis auf das Neutralitätsgebot öffentlicher Institutionen – die politische Haltung in Frage.

Es gibt auch extremere Fälle: Die eingangs erwähnte Leiterin des kleinen Stadtmuseums wurde bedroht, weil sie eine Veranstaltungsreihe zum Thema Rechtsextremismus in der Region organisiert hatte. Als nach der Kommunalwahl im Stadtparlament eine rechtspopulistische Partei in einer Minderheitenregierung das Sagen hatte, wurde sie stark unter Druck gesetzt, stärker die Lokalgeschichte zu thematisieren und ihr Haus in „Heimatmuseum“ umzubenennen. „Nach einigen Monaten strich der Stadtrat die Gelder für ihre Direktorinnen-Stelle und sie verlor ihren Job.“

Unterm Strich führe der Druck rechtspopulistischer Politikerinnen und Politiker dazu, dass ein Teil der Museumsmitarbeitenden verunsichert sei. „Manche fühlen sich durch die Konfrontation mit dieser lauten Minderheit nicht nur erschöpft, weil sie zum Beispiel kleine Anfragen beantworten müssen, statt sich ihrer normalen Arbeit zu widmen“, berichtet Leser. Sie seien zudem durch Shitstorms und Hassreden in den sozialen Medien sowie durch Drohungen am Telefon oder per Post eingeschüchtert.

Die Mehrheit steht für eine offene Gesellschaft

Dass Guides durch eine Gedenkstätte führen und sich dabei mit einer Gruppe von AfD-Politikern konfrontiert sehen – diese Erfahrung gibt es nach Aussage der Politikwissenschaftlerin schon lange. „Anfangs wussten viele nicht, wie sie damit umgehen sollten“, stellt Julia Leser fest. Mittlerweile sei das anders – und eines der positiven Ergebnisse ihrer Studie. „Viele am Museum tätige Menschen ordnen die Versuche von Einflussnahme und Einschüchterung einer Minderheit zu und sagen, die Mehrheit stünde für eine demokratische, offene Gesellschaft und hinter der Museumsarbeit.“

Mittlerweile vernetzten die Museen sich mit anderen Kulturinstitutionen wie Theatern, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und mit zivilgesellschaftlichen Initiativen. Sie schließen sich im internationalen Museumsverband zusammen, wo die Häuser als Ort definiert werden, der nicht neutral ist, sondern sich in gesellschaftspolitische Debatten einmischen darf – „auch wenn das rechtspopulistischer Politik eine Angriffsfläche bietet“, sagt Julia Leser.

Eine App zeigt, wie Populismus in Museen wirkt

Das öffentliche Interesse am Chapter-Projekt sei aufgrund der für die AfD erfolgreichen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sehr groß. Vom 7. bis 9. Oktober werden die Ergebnisse auf der Tagung „Heritage, Museums and Populism“ an der HU vorgestellt. Die dreitägige Konferenz umfasst außer einer Keynote und Panels, Podiums- und Roundtable-Diskussionen auch den Launch der Chapter-App. Diese lädt in zunächst drei Museen – darunter das Berliner Stadtmuseum im Humboldt-Forum, Schindlers Emaille-Fabrik im polnischen Krakau und das Museum of London – dazu ein, sich an konkreten Objekten mit dem Thema Populismus zu beschäftigen.

In der Ausstellung „Berlin Global“ etwa hängt eine alte Karte deutscher Kolonien. Die App mit der „Challenge Aneignung von Vergangenheit“ verbindet das Objekt mit den Aussagen rechtspopulistischer Parteien im sozialen Netz, die die koloniale Vergangenheit beschönigen. Die Besucher und Besucherinnen können, allein oder in Gruppen, mehr über die Hintergründe lernen. „Sie erfahren nicht nur, was Populismus mit Museen zu tun hat“, betont Leser, „sondern auch, warum der kulturelle Bereich für populistische Akteure so interessant ist.“

Challenging Populist Truth-Making in Europe: The Role of Museums in a Digital 'Post-Truth' European Society (CHAPTER), Projektlaufzeit 2020-2026, wird von der VolkswagenStiftung finanziert.

Autorin: Isabel Fannrich

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