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Spirituelle Affen oder Ockhams Rasiermesser?

Ein internationales Forschungsteam, zu dem auch die HU-Doktorandin und Artenschützerin Laura Kehoe gehört, hat bei Schimpansen in Guinea ein rätselhaftes Verhalten beobachtet, das womöglich eine Art spirituelles Ritual darstellt. Sollte dies zutreffen, würden viele Fragen der Menschheitsgeschichte neu aufgeworfen. Das mediale Echo ist groß.

Chimpanzee accumulative stone throwing. Hjalmar S. Kühl et al (2016),
Scientific Reports http://dx.doi.org/10.1038/srep22219

In einem Forschungsprojekt in den Urwäldern Guineas machten Laura Kehoe und ihr Team eine aufsehenerregende Entdeckung: Nachdem sie merkwürdige Spuren an Baumstämmen bemerkten, stellten die Wissenschaftler Kamerafallen auf. Diese fingen ein, wie Schimpansen Steine gegen Baumstämme warfen und sie in den Hohlräumen der Bäume stapelten – ein bis dahin völlig unbekanntes Phänomen, das Kehoe als „akkumulierendes Steinewerfen“ bezeichnet. Mehr als 60 solcher Stämme fanden die Forscher insgesamt. „Wenn man eine Kamera aufstellt, hofft man immer auf etwas Unvorhergesehenes. Als wir die Affen und ihr ungewöhnliches Benehmen sahen, wussten wir sofort, dass wir einen Volltreffer gelandet hatten!“, sagt Kehoe, die am Geographischen Institut der HU promoviert.

Akkumulierendes Steinewerfen könnte auf Ritual hindeuten

Für das neu entdeckte Verhalten fanden die Wissenschaftler mehrere mögliche Erklärungen, von denen eine besonders interessant ist: Kehoe und ihr Team halten es für denkbar, dass es sich beim akkumulierenden Steinewerfen um ein Ritual handeln könnte, das frühe Züge von Spiritualität aufweist. „Was für diese Annahme spricht, ist, dass das Steinewerfen keinen praktischen Zweck zu erfüllen scheint wie beispielsweise der Einsatz von Werkzeugen zur Nahrungsbeschaffung“, so Laura Kehoe. „Zudem ähneln die Steinsäulen stark denen, die wir aus der prähistorischen Menschheitsgeschichte kennen. Sie dienten zur Reviermarkierung und wurden auch an Grabstätten und anderen wichtigen Plätzen gefunden.“ Sollte die Artenschützerin mit ihrer Annahme richtig liegen, würde dies völlig neue Erkenntnismöglichkeiten in Bezug auf die Menschheitsgeschichte eröffnen und viele Fragen neu aufwerfen: Welche evolutionäre Funktion hat Spiritualität? Was geschieht bei diesem Entwicklungsschritt im Gehirn? Wie viel unterscheidet uns tatsächlich von unseren nächsten lebenden Verwandten?

Breites internationales Medienecho

Laura Kehoe

Laura Kehoe
Abbildung: privat

„The Guardian“, „The Independent“ und andere namhafte Zeitungen haben das Thema bereits aufgegriffen. „Die Hypothese ist schnell zum medialen Selbstläufer geworden“, sagt Laura Kehoe heute. Anstoß hierfür gab ein Artikel des Forscherteams, den sie in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten. „Die Medien fanden die spirituellen Affen natürlich toll. Doch obwohl dies eine hochspannende Annahme ist, halte ich sie für die am unwahrscheinlichsten Zutreffende!“, betont die Nachwuchsforscherin. „Im ersten Moment könnte man sich wohl fragen, ob ich noch nie von Ockhams Rasiermesser gehört habe“, scherzt sie. Es handelt sich dabei um ein Sparsamkeitsprinzip, das bei mehreren möglichen Erklärungen stets die einfachste vorzieht. „Es könnte sich also beim ‚akkumulierenden Steinewerfen‘ ebenso um ein Spiel handeln oder – und das ist die am wahrscheinlichsten zutreffende Annahme – um eine Kommunikationsstrategie.“ 

Womöglich ist das Steinewerfen eine Weiterentwicklung

Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich Schimpansen über weite Distanzen durch eine Art Morsesignal erkennen und dieses auch Einfluss auf die Rangordnung unter den Männchen hat. „Normalerweise trommeln die Affen hierfür auf Baumwurzeln. Womöglich ist das Steinewerfen eine Weiterentwicklung. Wir denken, dass sich durch das Steinewerfen die Geräuschfrequenz so verändert, dass es besser durch den Dschungel zu hören ist.“ Möglich sei auch, dass in der Region einfach zu wenige Wurzeln vorhanden seien.

Verwerfen will Kehoe die Hypothese des spirituellen Rituals deshalb jedoch nicht. „Auch wenn diese Erklärung unwahrscheinlicher ist – von der Hand zu weisen ist sie keinesfalls!“, sagt sie. Bisher konnte die Wissenschaftlerin das Verhalten noch nicht entschlüsseln, es mangelte an Zeit und empirischen Daten. Eine weitere Erforschung schließt sie derzeit allerdings aus, weil sich die Affen dann an die Forscher gewöhnen und so leichter Wilderern zum Opfer fallen würden. „Viel wichtiger als ihr Verhalten zu verstehen, ist im Moment, die Schimpansen und die Region zu schützen. Denn durch großflächige Rodungen sterben sie direkt vor unseren Augen aus!“

"Wir sind nicht so besonders, wie wir das vielleicht gerne hätten“

Mit 400trees.org hat die Irin deshalb ein Projekt ins Leben gerufen, das dieser Entwicklung entgegenwirken soll. 400 Bäume fehlen pro Mensch auf der Erde. Nicht mal 40 Euro kostet es, „seine“ 400 fehlenden Bäume mithilfe der Initiative neu zu pflanzen.

Aktuell schreibt die 31-jährige an ihrer Dissertation zu nachhaltiger Landnutzung. Ihre Arbeit für das Projekt „The Cultural Chimpanzee“ und die damit verbundene Feldforschung haben sie diesbezüglich stark inspiriert. „Je mehr wir über unsere nächsten lebenden Verwandten wissen, umso deutlicher erkennen wir, dass wir nicht so besonders sind, wie wir das vielleicht gerne hätten.“

Autorin: Katja Riek

Weitere Informationen

Kontakt

Laura Kehoe, M.Sc.
Humboldt-Universität zu Berlin

Tel.: 030 2093-6847
laura.kehoe@hu-berlin.de