Kontroverse als Chance
Welche Intention steckt hinter der Benennung eines Gebäudes nach einer berühmten Persönlichkeit? Welche Botschaften werden damit transportiert, und in welchem Fall sollte der Name geändert werden? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe „HU im Dialog“ am 5. Februar, auf der über den Namensgeber des Erwin-Schrödinger-Zentrums gesprochen wurde. Studierende, Mitarbeiter*innen und Lehrpersonal diskutierten mit wissenschaftlichen Expert*innen darüber, ob das zentrale Gebäude auf dem Campus Adlershof angesichts der Missbrauchsvorwürfe gegen Schrödinger umbenannt werden sollte.

Blick ins Publikum, Foto: Stefan Klenke
Im gut gefüllten Gerthsen-Hörsaal und im Foyer des Lise-Meitner-Hauses auf dem Campus Adlershof fand dazu ein Diskussionsformat nach dem Prinzip des World-Cafés statt. In diesem Format wird die Perspektive von Expert*innen durch die Meinungen und Argumente der Teilnehmenden ergänzt. Nach einem Grußwort der Präsidentin der Humboldt-Universität, Prof. Dr. Julia von Blumenthal, wurden dazu zunächst kurze Fach-Inputs aus unterschiedlichen Disziplinen vorgetragen: Prof. Dr. Oliver Benson vom Institut für Physik der HU fasste die wissenschaftlichen Errungenschaften Schrödingers zusammen. Prof. Dr. Beate Ceranski vom Historischen Institut der Universität Stuttgart befasste sich in ihrem Impulsvortrag mit den genauen Vorwürfen gegen Schrödinger und ihren Quellen. Prof. Dr. Ute Frevert vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung beleuchtete die Frage der Umbenennung aus historischer Sicht; Prof. Dr. Rasha Abdel Rahman vom Institut für Psychologie der HU aus psychologischer Sicht. Amr El Miniawy, Masterstudent der Physik an der HU, hielt einen Impulsvortrag aus studentischer Perspektive.
Auf dieser Grundlage fanden anschließend vertiefende Diskussionen an drei Tischen statt, die den Fokus auf die Perspektiven Universität, Campus und Gesellschaft setzten. In angeregten Diskussionen kamen dort die persönlichen Ansichten derer zusammen, die jeden Tag im Erwin-Schrödinger-Zentrum arbeiten oder lernen, sowie die Meinungen derer, die das Thema vor allem aus wissenschaftlicher oder feministischer Sicht betrachten.
Unsichere Fakten und ein belasteter Name
Viele Teilnehmende bemängelten die unsichere Faktenlage und wünschten sich stichhaltigere Quellen als die Biographie des US-amerikanischen Chemikers Walter Moore, auf der die Missbrauchsvorwürfe hauptsächlich basieren. Die Tagebücher von Schrödinger, die über wichtige Fragen Aufschluss geben könnten, werden aber von seiner Familie bis auf Weiteres unter Verschluss gehalten.
Viele der anwesenden Studierenden sprachen sich für eine Umbenennung des Gebäudes aus. Sie argumentierten, dass es für viele persönlich schwierig sei, in einem Gebäude ein- und auszugehen, das diesen „befleckten“ Namen trage – insbesondere für Menschen, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Es sollte darüber nachgedacht werden, welche Botschaft an junge Studentinnen und Wissenschaftlerinnen mit diesem Gebäudenamen vermittelt würde. Eine Umbenennung böte dementsprechend die Chance, ein Statement als diskriminierungsfreie Universität zu setzen, die diverse Menschen motivieren möchte, dort zu studieren. Die Studierenden stellten ebenfalls den dahinterstehenden Personenkult infrage und merkten an, dass große wissenschaftliche Leistungen in der Realität oft auf Teamleistungen beruhen.
Wunsch nach einem klaren Statement der Humboldt-Universität

Teilnehmende der Veranstaltung, Foto: Stefan Klenke
Andere Beteiligte argumentierten, dass Schrödinger durch seinen Lehrstuhl für Physik von 1927–1933 Teil der Geschichte der Humboldt-Universität sei, die man nicht einfach „entsorgen“ könne. Sie warnten davor, ein heutiges moralisches Urteil auf die damalige Zeit anzuwenden. Jüngere Generationen hätten eine viel größere Sensibilisierung für diese Thematik. Viel diskutiert wurde deswegen über die Grenze, ab der eine Person als Namensgeber*in tragbar oder nicht mehr tragbar sei.
Gleichzeitig plädierten einige Humboldtianer*innen dafür, die Kontroverse als Chance zu nutzen, um generell über den Umgang mit umstrittenen Persönlichkeiten zu reden. Eine Umbenennung des Gebäudes würde die Debatte darüber unsichtbar machen. Deswegen wurde an den Themen-Tischen ebenfalls darüber nachgedacht, wie eine Alternative zur Umbenennung aussehen könnte.
Die Diskussionsveranstaltung wurde insgesamt nicht als Abschluss einer Debatte, sondern eher als Diskussionsgrundlage für weitere Entwicklungen verstanden – sei es für eine potenzielle Umbenennung des Erwin-Schrödinger-Zentrums oder für das generelle Bild, das die Humboldt-Universität nach außen vermittelt. Egal, wie die Entscheidung am Ende ausfällt: Alle Teilnehmenden wünschten sich ein klares Statement der Humboldt-Universität, das die finale Entscheidung gut begründet und langfristig nachvollziehbar bleibt.
Wer sich in die Debatte einbringen möchte, kann das noch tun und sich an einer Umfrage zum Thema in der HU-App „Sciencely" beteiligen. Die App kann in allen gängigen App-Stores kostenlos heruntergeladen werden.
Autorin: Ina Friebe