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„Sie hat seine Ideen über Politik, Wissenschaft, Kunst reflektiert und ihn beeinflusst“

Dr. Ursula Fuhrich-Grubert, zentrale Frauenbeauftragte der Humboldt-Universität, spricht über das Verhältnis von Wilhelm und Caroline

Caroline von Humboldt
Caroline auf einem Gemälde von
Wilhelm von Schadow. Foto: bpk

Wilhelm von Humboldt und Caroline von Dacheröden heirateten am 29. Juni 1791. Was für eine Frau war Caroline?

Dr. Ursula Fuhrich-Grubert: Sie war eine ausgesprochen selbständige, mutige, tatendurstige und wissbegierige Person. Klug, ohne Frage, verfügte sie auch über eine immense Bildung für eine Frau ihrer Zeit. Sie war ein sehr freiheitlich denkender Mensch, lebte ihr Leben nach der eigenen Fasson. Selbst für adelige Frauen dieser Zeit war das eher ungewöhnlich. Gleichzeitig war sie jemand, die sehr liebevoll war, auch mit Blick auf ihre acht Kinder. Sie hat ihren Mann sehr geschätzt.

Wie war Wilhelm von Humboldts Einstellung zu Frauen?

Er hat sich an einem Diskurs beteiligt, in dem es darum ging, wie Frauen in der Zeit, in der er lebte – ich sage mal erzogen werden sollten. Dabei hat er sich an das bürgerliche Ideal seiner Zeit insofern angepasst, als dass er Frauen einen gewissen Ort – nämlich den privaten Raum – zuwies, ihnen aber zugleich eine gewisse Gleichstellung zugestand. Ich gehe davon aus, dass letzteres nicht zuletzt damit zu tun hatte, wie er und seine Frau Caroline ihre Ehe verstanden und lebten. Aber die Freiheiten, die Caroline sich herausnahm und die er ihr auch zubilligte, die wollte er nicht allen Frauen zugestehen. Dies belegen seine zugehörigen Ausführungen.

Sie sprechen die recht offene und liberale Ehe an, die die beiden führten. Caroline von Humboldt hat sich Liebhaber ins Haus geholt, und Wilhelm soll auch mal ins Bordell gegangen sein. Hat das eigentlich auch für Skandale gesorgt?

Frau Fuhrich-Grubert
Dr. Fuhrich-Grubert
Foto: Bernd Prusowski
 

Wir müssen uns die Rahmenbedingungen eines adeligen Paares des beginnenden 19. Jahrhunderts, das kosmopolitisch lebte, anschauen. Dabei handelte es sich um ganz andere Verhältnisse als wie wir sie beispielsweise heute in einem Mietshaus mit zwanzig Nachbarn kennen, die alles ‚mitbekommen‘, was nebenan passiert und dann gern und viel darüber reden. Caroline hatte Liebhaber und ist damit zwar relativ offen umgegangen, das heißt viele, die in ihren Salons verkehrten, dürften davon gewusst haben. Aber ihr Verhalten wurde nicht skandalisiert. Die Bordellbesuche Wilhelms sind quellenmäßig nachgewiesen, er schrieb sorgfältig auf, was sie ihn jeweils gekostet haben. Auch hier muss man sich den Kontext genauer anschauen. Die beiden haben eine Ehe geführt, in der sie oft lange Zeit voneinander getrennt waren. Wilhelm lebte oft weit entfernt von seiner Frau. Sieben Bände mit ihrem Briefwechsel sind überliefert, es müssen aber weit mehr Briefe gewesen sein. Die Eheleute standen in einem ständigen Austausch miteinander, aber sie lebten nicht zusammen. Und er hat ihr die Freiheit zugestanden, die sie schon zu Beginn ihrer Ehe eingefordert hat. Und sie hat ihm im Gegenzug ebenfalls entsprechende Freiheiten eingeräumt.

Sie hat also von Anfang an auch sexuelle Freiheit eingefordert?

Ja, ich gehe davon aus. Hinter dieser Vorstellung von sexueller Freiheit steht allerdings nicht das sich im ausgehenden Jahrhundert entwickelnde bürgerliche Modell von ehelicher Partnerschaft, sondern vielmehr das des höheren Adels aus der Zeit davor. Und ich rede jetzt nicht vom Landadel, sondern vom höfischen Adel, der am Hofe eines Fürsten lebte und dort auf eine bestimmte Art und Weise miteinander agierte. Natürlich war es auch dort für Frauen trotz alledem immer schwieriger als für Männer, Liebhaber zu haben. Dahinter steckte nicht zuletzt die Angst der Ehemänner, das Kind eines anderen ‚untergeschoben‘ zu bekommen.

War Caroline eine Feministin? War sie für andere Frauen, für ihre Freundinnen, für einen bestimmten Kreis ein Rollenvorbild?

Nein, sie war keine Feministin, auch wenn in dieser Zeit die Theorie des Feminismus geboren wurde. Wir haben Olympe de Gouges, die in der französischen Revolution erstmals Frauenrechte formulierte, oder Ikonen wie die irische Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft. Feminismus ist nicht das Ansinnen von Caroline. Sie hat sich dazu auch – soweit bekannt – nicht schriftlich geäußert, aber sie hat teilweise quasi emanzipiert gelebt. Das, was der Feminismus unter anderem gefordert hat, nämlich als Frau selbstbestimmt, frei und gebildet zu sein, das konnte sie leben, weil sie aus einem adeligen Kontext kam, weil ihr Vater sie sehr stark förderte, weil sie einen ausgezeichneten Erzieher besessen hatte, der sie umfassend unterrichte und eigentlich der Erzieher ihres Bruders war. Aber sie ist kein Role Model in dem Sinne gewesen, dass über sie geschrieben wurde, andere Frauen dies lasen und sie nachahmten.

Inwieweit hat Caroline Wilhelm beeinflusst? Was wäre er ohne sie?

Es gibt ein sehr schönes Zitat diesbezüglich: „Wieviel er ihr in Ansichten, Richtungen, Bestrebungen verdanke, könne er nicht aufzählen.“ Das heißt, sie hat seine Vorstellungen, seine Überlegungen sicher mitgeprägt. Wie gesagt – sie standen in einem permanenten schriftlichen Dialog miteinander. Sie hat seine Gedanken und Ideen über Politik, Wissenschaft, Kunst reflektiert und ihn mit großer Wahrscheinlichkeit auch beeinflusst. Es gibt sogar einige Historikerinnen und Historiker, also nicht Rosenstrauch und Gersdorff, die beiden letzten Biografinnen, sondern aus früherer Zeit, die Caroline quasi vorgeworfen haben, dass sie sich zu stark in das politische Handeln Wilhelms eingemischt habe.

Was denken Sie?

Caroline und Wilhelm lebten oft weit voneinander entfernt, waren trotzdem stets eng miteinander verbunden. Seine Vorstellungen und Meinungen hat er sicherlich auch in Reflektion mit ihr entwickelt und – wenn sie intervenierte – gegebenenfalls verändert. Sie konnte ihn meines Erachtens durchaus in die eine oder andere Richtung bewegen.

Das Interview führten Kathrin Kirstein und Ljiljana Nikolic.

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Kontakt

Dr. Ursula Fuhrich-Grubert

Zentrale Frauenbeauftragte
Humboldt-Universität zu Berlin

frauenbeauftragte@hu-berlin.de