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Drei der leuchtstärksten Gammaquellen in der Nachbargalaxie der Milchstraße entdeckt

HU-Wissenschaftler maßgeblich an Interpretation der Daten beteiligt

Alternativtext
Optisches Bild der Milchstraße und eine Vergrößerung der Großen
Magellanschen Wolke mit darübergelegten H.E.S.S.-Himmelskarten.
(Milchstraße: © H.E.S.S.-Kollaboration, optisch: SkyView, A.
Mellinger; LMC: © H.E.S.S.-Kollaboration,
http://dirty.as.arizona.edu/~kgordon/research/mc/mc.html,
Hα: R. Kennicutt, J.E. Gaustad et al. (2001), optical (B-band):
G. Bothun)

Das Gammastrahlen-Observatorium H.E.S.S. (High Energy Stereoscopic System) stellt erneut sein großes Entdeckerpotenzial unter Beweis: In der Großen Magellanschen Wolke entdeckte es extrem leuchtstarke Höchstenergie-Gammastrahlenquellen. Es handelt sich um drei verschiedenartige Objekte, nämlich den Pulsarwindnebel des stärksten je beobachteten Pulsars, einen extrem intensiv strahlenden Supernova-Überrest und eine sogenannte Superschale – ein 270 Lichtjahre großes schalenförmiges Gebilde, aufgeblasen von mehreren Supernovae und Sternen.

Damit gelang es zum ersten Mal, in einer fremden Galaxie gleich mehrere sternähnliche Gammastrahlenquellen bei höchsten Energien zu beobachten. Zugleich ist die Superschale der erste nachgewiesene Vertreter einer neuen Klasse von Höchstenergie-Gammastrahlenquellen. Ihre Ergebnisse präsentiert die internationale H.E.S.S.-Kollaboration, der auch Wissenschaftler von der Humboldt-Universität zu Berlin angehören, in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals „Science“.

„In nur 210 Stunden Messzeit haben wir mit den H.E.S.S.-Teleskopen drei grundverschiedene Quellen hochenergetischer Gammastrahlung auflösen können“, sagt H.E.S.S.-Sprecher Prof. Christian Stegmann (DESY). „Das zeigt, was für ein riesiges Entdeckungspotenzial in der Nutzung kombinierter Systeme von Spiegelteleskopen steckt.“

Kosmische Teilchenbeschleuniger, vor allem Supernova-Überreste und Pulsarwindnebel, also Endprodukte massereicher Sterne, sind Quellen sehr intensiver, höchstenergetischer Gammastrahlung. Sie beschleunigen geladene Teilchen auf extreme Geschwindigkeiten. Treffen diese auf das sie umgebende Gas oder Licht, entsteht die Gammastrahlung. Höchstenergetische Gammastrahlen aus dem Kosmos können mit hochempfindlichen Messgeräten auf dem Erdboden beobachtet werden. Beim Eintritt in die Atmosphäre verursachen sie Kaskaden geladener Sekundärteilchen, sogenannte Teilchenschauer. Diese emittieren extrem kurze, bläuliche Lichtblitze (Cherenkov-Licht), die mit großen Spiegelteleskopen und schnellen Lichtsensoren nachgewiesen werden.

Die Große Magellansche Wolke (engl: Large Magellanic Cloud, LMC) ist eine Zwerg-Satellitengalaxie unserer Milchstraße in einer Entfernung von ungefähr 170 000 Lichtjahren. In ihr entstehen ständig neue Sterne, und sie beherbergt zahlreiche massereiche Sternhaufen. Die Rate, mit der neue massive Sterne gebildet werden und am Ende ihres Lebens als Supernovae explodieren, ist in der LMC im Verhältnis zu ihrer Masse fünf Mal höher als in der Milchstraße. Nicht zuletzt deshalb beobachten die Wissenschaftler der H.E.S.S.-Kollaboration dieses kosmische Objekt ausgiebig. Sie untersuchen dessen höchstenergetische Gammastrahlung, um den Mechanismus der Teilchenbeschleunigung in jungen Sternexplosionen genau zu verstehen.

Insgesamt 210 Stunden haben die Astroteilchenphysiker die H.E.S.S.-Teleskope auf die größte Sternentstehungsregion in der LMC gerichtet, den Tarantelnebel. Dabei gelang es ihnen zum ersten Mal, gleichzeitig mehrere Quellen höchstenergetischer Gammastrahlung in einer Galaxie außerhalb der Milchstraße räumlich aufgelöst abzubilden; dazu noch drei verschiedenartige, extrem energiereiche Objekte.

Bei der sogenannten Superschale „30 Dor C“ handelt es sich um die größte bekannte (nicht-thermische) Röntgenstrahlung emittierende Schale, die wahrscheinlich durch mehrere Supernova-Explosionen und starke Sternenwinde entstanden ist. Bisher war unklar, ob Superschalen zusätzlich zu einzelnen Supernova-Überresten kosmische Strahlung produzieren. Die Ergebnisse von H.E.S.S. zeigen, dass diese Superschale eine Quelle hochenergetischer Teilchen ist, mit denen sie gefüllt ist. 30 Dor C ist damit der erste nachgewiesene Vertreter einer neuen Klasse von Höchstenergie-Gammastrahlenquellen.

Der von den H.E.S.S.-Teleskopen beobachtete Pulsarwindnebel trägt die Nummer N 157B. Pulsare sind hoch magnetisierte, schnell rotierende Neutronensterne, die einen Wind ultrarelativistischer Teilchen emittieren und so einen Nebel bilden. Das bekannteste Exemplar ist der Krebsnebel, eine der hellsten Quellen am Hochenergie-Gammahimmel. Der Pulsar des Nebels N 157B ist in vielerlei Hinsicht ein Zwilling des sehr starken Krebspulsars in unserer eigenen Galaxis. Allerdings leuchtet N 157B im höchstenergetischen Gammalicht rund zehnmal heller als der Krebsnebel. Verantwortlich dafür sind das schwächere Magnetfeld in N 157B und das intensive Sternenlicht aus benachbarten Sternentstehungsgebieten, die beide die Erzeugung hochenergetischer Gammastrahlung fördern.

Der Supernova-Überrest N 132D ist bereits als helles Objekt im Radiowellen- und Infrarotbereich bekannt. Die jüngsten H.E.S.S.-Messungen zeigen, dass dieses Objekt außerdem einer der ältesten – und stärksten – Supernova-Überreste zu sein scheint, der noch im höchstenergetischen Gammalicht leuchtet. Er ist zwischen 2500 und 6000 Jahre alt und immer noch heller als die stärksten Supernova-Überreste in der Milchstraße, obwohl Modelle vorhersagen, dass in diesem Alter die Expansion der Supernovaschale schon so langsam sein sollte, dass sie kein effizienter Teilchenbeschleuniger mehr ist.

„Es ist unheimlich spannend, dass wir individuelle Gammastrahlungsquellen in einer fremden Galaxie nachweisen können. Die Ergebnisse zeigen, dass Supernova-Überreste intensiver strahlen können als wir es bisher vermutet haben“, sagt Michael Mayer, Forscher an der Humboldt-Universität, der maßgeblich an der Interpretation und Modellierung der LMC-Daten mitgearbeitet hat. „Interessanterweise ist der Überrest der jungen Supernova SN 1987a trotz unserer langen Beobachtungszeit nicht als Gammastrahlungsquelle nachzuweisen. Dies stellt eine große Herausforderung für derzeitige Theorien dar“, fügt Professor Thomas Lohse hinzu. Er leitet die H.E.S.S. Gruppe der Humboldt-Universität in Adlershof, mit der er maßgeblich am Erfolg des Instruments beiträgt. Besonders die Betreuung und kontinuierliche Verbesserung des zentralen Datennahmesystems durch Lohses Gruppe ermöglicht die hohe Effizienz des H.E.S.S. Teleskops.

Für die weitere Zukunft planen die Wissenschaftler das Cherenkov Telescope Array (CTA), das ab 2020 noch empfindlichere und höher aufgelöste Bilder von Gammastrahlungsquellen liefern soll. Auf der Wunschliste der Wissenschaftler für CTA sind Beobachtungen der LMC weit oben. Für dieses Zukunftsprojekt befindet sich auf dem Campus in Adlershof ein Teleskop-Prototyp, an dem die Forscher der Humboldt-Universität in Kooperation mit dem DESY intensive Tests zur Datennahme und Teleskop-Kalibrierung durchführen.

Originalveröffentlichung      

The exceptionally powerful TeV γ-ray emitters in the Large Magellanic Cloud, H.E.S.S. Collaboration, Science: DOI: 10.11.26/science.1261313

Weitere Informationen zum H.E.S.S.

Kontakt

Prof. Dr. Thomas Lohse
Leiter der H.E.S.S.-Gruppe an der HU
Humboldt-Universität zu Berlin

lohse@physik.hu-berlin.de
Tel.: 030 2093-7820

Michael Mayer 
Humboldt-Universität zu Berlin

michael.mayer@physik.hu-berlin.de
Tel.: 030 2093-7813

Prof. Dr. Christian Stegmann
Sprecher der H.E.S.S.-Kollaboration
DESY Zeuthen

christian.stegmann@desy.de
Tel.: 033 762-77416