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Mit einer Rolle vorwärts fing alles an

Turner Philipp Herder reist als Ersatzmann zu den Olympischen Spielen nach Rio de Janeiro. Der 23-Jährige, der an der HU Physik studiert, hofft trotzdem auf einen Einsatz - und träumt von einer Medaille

Philipp Herder

Als Reservist nach Rio: Turner und HU-Student Philipp Herder. Abb.: Picture Alliance/Augenklick/GES

"Ich kann mich ganz dunkel an meine erste Turnstunde erinnern. Ich muss etwa sieben gewesen sein: Mit einer einfachen Rolle vorwärts hat alles angefangen. Und jetzt bin ich halt ein Turner", erinnert sich Philipp Herder: "Heute ist mein Alltag aber um einiges komplexer geworden als ein Purzelbaum."

Der 23-Jährige ist Physikstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und fährt als Ersatzmann im deutschen Turner-Team zu den Olympischen Spielen (5. bis 21. August). Ob er in Rio zum Einsatz kommt, ist noch unklar. Im olympischen Dorf kommt er als Reservist allerdings nicht unter. Aber mit seinen Leistungen an seinem Lieblingsgerät, dem Barren, gilt er als eine der großen Hoffnungen für Deutschland – auch für zukünftige Spiele. "All das habe ich mir damals nicht erträumt", sagt er, wenn er an sein erstes Probetraining zurückdenkt.

Über Umwege zum Bachelor

Mit Berlin verbindet den Turner und Sportsoldaten nicht nur der Olympiastützpunkt in der Hauptstadt. Der Berliner aus Marzahn, der mit seiner Freundin in Weißensee wohnt, macht sich bereits Gedanken über die Zeit nach dem Spitzensport, die irgendwann kommen wird. Nach dem Abitur 2013 hat er sich für ein Physikstudium an der HU entschieden. "Es gibt vor allem hier in Berlin Unis, die mit dem Spitzensport kooperieren. Und ich wollte in der Stadt bleiben. Ich bin an Berlin gebunden und mag es hier."

Doch um seinen Bachelor zu erreichen, muss das Turntalent erst einige Umwege gehen und kann derzeit nur begrenzt an Vorlesungen und Praktika teilnehmen. "Ich musste mich entscheiden: Vollzeitstudium, Ausbildung oder weiter meinen Sport betreiben. Und meine Entscheidung fiel auf den Sport. Da war im ersten Schritt die Sportfördergruppe der Bundeswehr eine Möglichkeit, um Training und Studium zusammenzubringen." Wo genau es ihn beruflich hinführen wird, das weiß er noch nicht. "Mich interessiert erstmal das Fach", erklärt er. "Der Sport ist mir zwar wichtig, aber sobald ich nicht mehr die Leistung bringen kann, werde ich eine andere berufliche Laufbahn einschlagen." Ein zweites Standbein ist ihm für später wichtig: "Ich will nicht mit leeren Händen dastehen."

Zwischen Olympia und Uni-Prüfungen

Seit 17 Jahren turnt Herder nun bereits, die Gedanken an ein Karriereende gibt es, verrät er – wenn auch nur im Hinterkopf. Weitere vier Jahre wird er noch an seine Karriere dranhängen können, danach muss er überlegen. Denn der Barren fordert die Gelenke des Turners stark und auch die Kondition lässt immer stärker nach, sagt Herder. Ab einem Alter von 30 steigt das Verletzungsrisiko weiter. Aber nicht nur das. "Irgendwann hat man einfach genug vom Sport", meint Herder.

Wegen des engen Zeitplans für die Olympischen Spiele kann Herder als Student aktuell nur einen Kurs besuchen. "Und da weiß ich noch nicht, ob ich die Prüfung mitschreiben kann." Der Trainingsplan ist eng getaktet: täglich sechs Stunden, am Samstag nur drei, lediglich der Sonntag ist frei. Studium, Privatleben und Sport unter einen Hut zu bringen, fordert Philipp Herder. Unterstützung im Alltag bekommt er von seiner Freundin – die ehemalige Turnerin ist ebenfalls Studentin.

Der Traum von einer Medaille bleibt

Herder versucht, möglichst gelassen an die vielseitigen Herausforderungen heranzugehen: "Vor Prüfungen und Wettkämpfen spreche ich mir immer wieder vor, dass ich es kann und gelernt habe. Ich kann mich ja schließlich nur vorbereiten. Und entweder es klappt oder es geht schief – und dann ist das eben so."

Entsprechend ruhig reist Herder auch zu den Wettkämpfen nach Rio: "Falls ich antrete, will ich eine gute Leistung im Team abliefern und sehen, ob ich es dann vielleicht in ein Mannschaftsfinale schaffe", sagt er über seine Ziele. "Eine Medaille wäre natürlich super. Aber das hängt davon ab, ob ich eingesetzt werde. Und selbst dann: Es würde natürlich sehr schwer, wenn ich realistisch bin."

Autor: Peter Gotzner

 

Philipp Herder bei einem Olympia-Testwettkampf in Rio 2016

Zur Person: Philipp Herder wurde am 21. Oktober 1992 geboren. Herder wurde bei den Deutschen Meisterschaften 2014 Dritter im Bodenturnen und nahm 2014 und 2015 mit der deutschen Mannschaft an Weltmeisterschaften teil. Der Turner lebt in Berlin und wird beim SC Berlin von Sebastian Faust trainiert.

Zur Serie: Im vierten und letzten Teil stellen wir die Paralympics-Starterin Verena Schott (Schwimmen) vor. Interviews mit Hammerwerferin Betty Heidler und Wasserspringer Patrick Hausding sind bereits erschienen.

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Das HU-Team für Rio im Überblick:

  • Maria Kurjo (Wasserspringen)
  • Patrick Hausding (Wasserspringen)
  • Annika Schleu (Moderner Fünfkampf)
  • Betty Heidler (Hammerwurf)
  • Julia Fischer (Diskus)
  • Martin Zwicker (Feldhockey)
  • Lucas Jakubczyk (100 Meter und Staffel 4x100 Meter)
  • Julia Richter (Rudern/Ersatz)
  • Philipp Herder (Turnen/Ersatz)
  • Verena Schott (Paralympics/Schimmen)
  • Katharina Krüger (Paralympics/Rollstuhltennis)

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