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Korruptionsskandale: Wer bewacht die Wächter?

Forscher der Humboldt-Universität zu Berlin zeigen, wie die Steuerung von Informationen zum Werkzeug gegen Korruption werden kann

Wer bewacht die Wächter? Die von Platon aufgeworfene Frage hat auch heute, mehr als zweitausend Jahre später, nicht an Aktualität verloren. Der Staat erlässt mitunter Gesetze, deren Einhaltung er nicht selbst prüfen kann. Daher setzt er Kontrollinstanzen ein, um die Akteure – seien es Individuen, Firmen oder ganze Staaten – zu überprüfen. Doch können Kontrolleure und Akteure gemeinsame Sachen machen. So zeigt der jüngste Skandal um Wirecard, welche Interessenskonflikte bei Wirtschaftsprüfern auftreten können, die ihrem „Prüfling“ zugleich als Berater dienen. Müssen die Wächter also durch neue Wächter bewacht werden, und diese wieder durch neue, bis zum infiniten Regress?

Eine praktikablere Lösung haben die beiden Wissenschaftler Colin von Negenborn und Martin Pollrich entwickelt. Sie verwenden dabei das recht junge ökonomische Werkzeug des sog. Marktdesigns, dessen Bedeutung über die Disziplin hinaus durch den diesjährigen Wirtschaftsnobelpreis verdeutlicht wurde. Das Marktdesign erlaubt, die Rolle von Informationen in einem System näher zu beleuchten und gezielt zu steuern, somit also den Markt zu „designen“. Während klassische wirtschaftswissenschaftliche Modelle oft davon ausgehen, dass alle Informationen am Markt allen Teilnehmer zur Verfügung stehen, zeichnet das Markt- oder Mechanismusdesign ein realistischeres Bild der Welt – und kann dabei die klassischerweise prognostizierten Ineffizienzen und Instabilitäten oft überwinden.

Dieses Methodik wenden die beiden Forscher nun das Problem der Korruption an – auf jenen Fall also, in dem der Wächter mit dem Bewachten geheime Absprachen trifft, statt ihn zu überwachen. „Der Trick“, so Colin von Negenborn, „liegt darin, diese Absprachen als Handel zu verstehen. Ein Handel wir dann erschwert, wenn die Handelspartner unterschiedliche Informationen über den Tauschwert besitzen.“ Getauscht wird dabei beispielsweise Geld – in Form einer Bestechung – gegen eine nachlässige Kontrolle oder einen wohlwollenden Bericht. Solch ein Deal läuft aber Gefahr aufzufliegen. Wenn nun der Regulator – ausgestattet mit den Mitteln des Marktdesigns – einem der Handelspartner Informationen über die Wahrscheinlichkeit einer solchen Enttarnung zukommen lässt, so wird er dessen geheime Absprachen mit dem anderen Partner erschweren. Haben beispielsweise Wächter und Bewachter unterschiedliches Wissen darüber, ob und wann eine Kontrolle ihres Tuns ansteht, werden sie sich schwerer auf eine „angemessene“ Bestechung einigen können.

In ihrem Aufsatz „Sweet Lemons: Mitigating Collusion in Organizations“, veröffentlicht im Journal of Economic Theory, weisen die beiden Forscher eine solche Möglichkeit für den Regulator nach. Dazu modellieren sie die Interaktion zwischen Regulator, Wächter und Bewachtem formal. Die Parameter des Modells können entsprechend realer Situationen angepasst zu werden, um die optimale Informationsvergabe zu bestimmen und so Korruption zu unterbinden. Das klassische Instrumentarium der Korruptionsbekämpfung – Androhung von Strafen, verschärfte Kontrollen, rotierende Zuständigkeiten – ergänzen von Negenborn und Pollrich somit um ein weiteres Werkzeug. So zeigen sie, dass auch das Design der Ökonomie gesellschaftliche „schöne“ Ergebnisse produzieren kann.

 

Publikation:
Negenborn, Colin von, und Martin Pollrich. „Sweet lemons: Mitigating collusion in organizations“. Journal of Economic Theory 189 (2020). DOI: 10.1016/j.jet.2020.105074

Kontakt:
Dr. Colin von Negenborn      
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel        
Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht         
cvnegenborn@wsi.uni-kiel.de