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Programm für Studierende aus nicht-akademischen Familien

„firstgen“ wird aufgestockt, für beide Geschlechter geöffnet und begleitend erforscht
Die Welt der Universität kann auch beängstigen.

Die Welt der Universität kann auch beängstigen.
Foto: Mattthias Heyde

Wer im Elena-Ferrante-Fieber ist und die vierbändige neapolitanische Saga verfolgt, liest nicht nur über die Freundschaft zweier Frauen, sondern auch darüber, wie sich eine junge Frau in den 50er, 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ihren Weg aus einem ärmlichen, bildungsfernen und männlich dominierten Milieu zu höherer Bildung bahnt. Sie kämpft gegen Selbstzweifel, Unsicherheiten, mangelnde finanzielle und emotionale familiäre Unterstützung, fehlende Kenntnisse über Gymnasium, Universität und die akademische Ausdrucks- und Denkweise.

HU-Programm "firstgen"

Studierender der „first generation“ zu sein, heißt auch heute noch, mit diesen oder ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert zu sein, die sogar zu geringerem Studienerfolg oder Studienabbruch führen können. Um an dieser Stelle mehr Chancengleichheit zu schaffen, gibt es an der HU das Programm „firstgen“, das von der zentralen Frauenbeauftragten der HU zum Wintersemester 2011/12 ins Leben gerufen wurde und das ab diesem Semester auch für Männer geöffnet wird.

„Ab sofort wird es 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer pro Semester geben. Die Studierenden werden jeweils von einer Mentorin oder einem Mentor – je nach Wunsch – begleitet. Diese sind ebenfalls die ersten Studierenden in ihrer Familie erklärt die Programmverantwortliche Veronika Springmann.

Die Aufstockung um 100 Prozent – vorher waren es 20 Mentees – wird über das Programm „Übergänge“ finanziert, eben-so die Begleitforschung, die ab diesem Semester stattfinden wird. Alexander Otto und Caroline Kamm, Hochschulforscher des Instituts für Erziehungswissenschaften, beschäftigen sich bereits in einem Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit der Situation von Studierenden, die nicht über eine schulische Hochschulzugangsberechtigung, sondern über den Dritten Bildungsweg studieren. Sie werden unter der Leitung von Prof. Dr. Andrä Wolter die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „firstgen“ bis zum Wintersemester 2020/21 wissenschaftlich untersuchen und das Programm evaluieren.

Forschung zu individuellen Bildungsbiographien

„Wir planen einen Methodenmix aus quantitativen und qualitativen Erhebungen, zum Beispiel Gruppendiskussionen mit den Mentorinnen und Mentoren“, berichten sie. Mittels standardisierter Fragebögen sollen die Mentees vor und nach der Programmteilnahme befragt werden, um herauszufinden, mit welchen Erwartungen sie ins Programm gehen, inwieweit diese erfüllt wurden und wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Die Ergebnisse aus jeder Programmrunde sollen dann in die Angebotskonzeption des nachfolgenden Durchlaufs einfließen.

Über qualitative Interviews, die zu verschiedenen Zeitpunkten im Studienprozess stattfinden sollen, gehen die Forschenden mehr in die Tiefe. „Wir wollen die individuellen Bildungsbiographien rekonstruieren und mehr über die persönlichen Ressourcen und Barrieren im Studium erfahren“, sagt Alexander Otto. Die Hindernisse beginnen schon vor dem Studium. „Laut der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks studierten im Jahr 2009 77 von 100 Akademikerkindern nach Abschluss der Sekundarstufe II, aber nur 23 von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien“, berichtet Caroline Kamm. Dabei bilden „firstgen“-Studierende keine homogene Gruppe, sondern verfügen je nach kulturellem, ökonomischem und sozialem Hintergrund ihrer Herkunftsfamilie über unterschiedliche Handlungsspielräume.

Bei der Benachteiligung spielen meist mehrere sich überschneidende Faktoren wie Geschlecht, soziale Lage und Migrationshintergrund eine Rolle, deren Zusammenwirken in der Begleitforschung berücksichtigt werden soll.

Autorin: Ljiljana Nikolic

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