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Kontrolliert fallen, trotzdem sagen

HU-Alumna Terézia Mora erhält die wichtigste Auszeichnung im deutschen Literaturbetrieb – den mit 50.000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis

Terézia Mora
Terézia Mora, Foto: Peter von Felbert

Welches Projekt sie umsetzen würde, hätte sie alle Zeit und unendliche finanzielle Ressourcen? „Den Weltfrieden!“, sagt Terézia Mora. Was sie sagt, das ist natürlich formelhaft, hat sich eingebürgert für Menschen, die Prominentenstatus erreicht haben – und das hat Terézia Mora, allerspätestens jetzt, wo man sie mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet hat.

In welchem Ton sie das mit dem Weltfrieden sagt, ist eine andere Sache. Ein bisschen unwillig, ein bisschen traurig, auch sarkastisch klingt das. Und sofort schiebt Mora eine andere Idee nach, wirft alternativ die Erfindung eines Bullshit-Detektors zur Gefahrenabwehr in den Raum, in den Telefonhörer. Nur, mit so einem Gerät in der Hinterhand bestünde ja Zwang zur Dauerredlichkeit. Und „vielleicht würde man Menschen lieber erschlagen, als von allen gesehen, genau verstanden zu werden.“

Deutschsprachiger Schriftsteller-Olymp

Seit Terézia Mora 1997 den Open-Mike-Literaturpreis der Berliner Literaturwerkstatt gewonnen hat, gerade mal Ende zwanzig war sie da, räumt sie fast jedes Jahr neue Auszeichnungen ab. In diesem Jahr dann also: den Georg-Büchner-Preis. Höher kann man im deutschsprachigen Schriftsteller-Olymp eigentlich kaum steigen. Durch den Telefonhörer meint man zu hören, wie die Schriftstellerin abwinkt. Die schnelle Karriere, die sei doch auch ein Verdienst des Zeitpunktes. „Vor dem Platzen der Internetblase, als es aussah, als wäre Geld da“, da seien die Verlage dazu animiert gewesen, junge Autoren von der Straße weg zu engagieren. Damals habe sich auch die plötzliche Erkenntnis eingestellt, dass „Frauen schreiben können. Ach. Tatsächlich!?“, mit allen dazugehörigen Oberflächlichkeiten und Fräulein Wunders. Eitelkeiten, Ideen vom unvermeidlichen Erfolg sind nicht Terézia Moras Sache. Dafür ist sie zu nüchtern, vielleicht auch: zu realistisch im pessimistischen Sinne. „Es hätte alles total anders kommen können.“

Seit dem Tag, an dem es nicht anders kam, veröffentlicht Terézia Mora Drehbücher, Theaterstücke, Prosa – mit Titeln wie „Seltsame Materie“ oder „Das Ungeheuer“. Im aktuellsten Buch, einem Sammelband für den die darin enthaltene Geschichte „Die Liebe unter Aliens“ namensgebend ist, begegnen dem Lesenden mehrere Figuren, die zwanghaft gehen und joggen, wie zum Ausgleich für den lähmenden, inneren Stillstand. Um soziale Isolation geht es da, eigenwillige Sehnsüchte, Selbstbehauptung, Angst und Ratlosigkeit. Und immer schwingt das Gegenwärtige mit, blitzt das kapitalistische Gesellschaftssystem als Nährboden für die irrlichternden Figuren durch. Innen und Außen nähern sich bei Terézia Mora an, sind manchmal fast deckungsgleich, leben von- und verhungern aneinander. Zuweilen ist da auch eine mehr oder minder resignative Wut auf eine Welt, die aus den Angeln, die grotesk, irgendwie pervers ist. Und gleichzeitig triumphiert etwas, das sich der Verzweiflung, der Verbitterung entschieden entgegenstemmt. Vielleicht: das Menschliche, das Unperfekte. Der Wille, „trotzdem!“ zu sagen. Vielleicht ergibt sich gerade daraus der unbedingte Glaube an die Literatur. „Ich habe bei jedem Satz, den ich schreibe, das Gefühl, dass er etwas absolut Notwendiges ist.“

Von Sopron nach Berlin

Aufgewachsen ist Terézia Mora in der Nähe der Stadt Sopron in Ungarn, zu Deutsch: Ödenburg. Nein, der Name ist nicht Programm, ein Zuckerbäckerstädtchen ist das, eine Innenstadt voll Romantik, Barock. Dahinter die Berge und ganz in der Nähe der Neusiedler See, der allerdings ein Sumpf ist, „schlammig, fies und gefährlich“. Wenn man so will, hat sich ein Teil des Morastes im Namen der Aussiedlerin erhalten, sickert wie das Negativ, die Kehrseite zum Zuckerbäckerstädtchen in ihre Geschichten ein. „Ödnis“, überlegt sie, und kurz nachdem sie nein gesagt hat, sagt sie dann doch ja. „Eine Ödnis der Möglichkeiten, eine geistige Ödnis in schöner Landschaft.“ Sie gehörte zur deutschsprachigen Minderheit und sie wollte immer weg, bis nach Budapest eigentlich nur. Zum Studium kam sie dann aber doch nach Berlin, wegen der Liebe.

Knapp 30 Jahre später begegnen Mora im Prenzlauer Berg-Alltag „Konsumbürger, nicht Bildungsbürger“, die ihr Schreiben zuweilen mit den Worten „Ach, ich lese nicht mehr so viel“ abtun. Das frustriert natürlich. Und andererseits sind da die Berliner Hinterhöfe, Hinterhöfe von „relativ abgerissenen“ Häusern, „und im vierten Hinterhof blüht dann plötzlich eine Szene auf.“ Man habe das Gefühl, immer wieder dabei zu sein, in Berlin, während etwas Tolles passiert, etwas Neues. Berlins Schichten nennt Terézia Mora das, Schichten, die es aufzudecken gilt. Damals, als sie hierher kam, da lagen die Schichten vielleicht noch offener zu Tage als heute.

„Großes Lernen und Kennenlernen“ an der Humboldt-Universität

„1990 bis 1995 sagt mehr oder weniger auch schon alles.“ Die Zeit des Balkan- und Golfkrieges, die Zeit der Wende. „Unsere Dozenten an der Humboldt-Universität waren hauptsächlich damit beschäftigt, herauszufinden, was mit ihnen wird.“ Eine Art „laissez-faire Erziehungsstil“ habe sich daraus ergeben und das sei etwas Wundervolles, ein Geschenk. Sie machte „Essayfilmchen ohne Hand und Fuß“, lernte, wie man eine Geschichte aufbaut. Die Zeit an der HU erinnert sie als große Freiheit, „ein großes Lernen und Kennenlernen“. Damals wollte sie noch in die Dramaturgie, studierte Theaterwissenschaft und ungarische Philologie. In Sopron hatte es nämlich einen Theater-AG-Lehrer gegeben, „der Einzige, der kein irrer Diktator war“. Und das Theater-Abonnement, die Erfahrungen mit dem Theater, „mehr oder weniger das Einzige, was Sie in Sopron machen konnten“, die gaben Terézia Mora den Gedanken ein, dass man dort vielleicht „ein spannendes, interessantes Leben“ würde führen können.

Es folgte ein Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Drehbuch, denn das Theater hatte angefangen, Terézia Mora auf die Nerven zu gehen und „schlechte Filme ertrug ich mehr als schlechtes Theater“. Die Arbeit für einen „bösen Filmproduzenten in Charlottenburg“ brachte aber auch hier schnell Ernüchterung. Es war ihr erster Job, sie war 24 Jahre alt und „umgeben von Chauvinisten“. Die Literatur hatte sie als Möglichkeit damals noch gar nicht auf dem Schirm. In der Schule in Ungarn hatte ein „ganz starker Fokus“ auf der Vermittlung ungarischer Literatur gelegen, auch aus patriotischen Gründen. „Frauen kamen in dieser Literatur nicht vor und ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mich da irgendwie zurechtfinden könnte.“ Es war eine Sekretärin der Abteilung Drehbuch der DFFB, die Terézia Mora ermutigte, sich beim Open-Mike-Literaturpreis zu bewerben. Mora schrieb die Erzählung „Durst“, gewann den wichtigsten deutschsprachigen Wettbewerb für den Literatur-Nachwuchs aus dem Stand.

Schreiben und leben

Mag sein, dass Moras Figuren etwas windschief im Leben stehen, lädiert und mitgenommen wie verwachsene Bäume, dabei aber: voller Würde und Hoffnung. Man spürt beim Lesen, beim Zuhören, dass diese Figuren geliebt werden, wie man nur die hoffnungslosen Fälle lieben kann. Da gibt es etwa den Informatiker Darius Kopp, den sie erst „dumm, nervös, ängstlich, wütend“ machen wollte, und der dann doch „ein großer Illusionist“ geworden ist, einer, der einfach nicht aufgibt und sich überhaupt nicht bedroht fühlt, obwohl doch alles gegen ihn spricht. Kopp hangelt sich von Job zu Job, jedes Mal werden die Kollegen spärlicher, bis er schließlich als einziger übrig bleibt, „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ eben, wie der Titel des zweiten Kopp-Romans lautet. Selbst die Mutterfirma in Amerika ist aufgelöst, und die schuldet ihm noch Geld.

Ausgerechnet ein IT-Spezialist – ist das nicht so etwas wie die Antithese zum romantischen Helden? Seit mittlerweile 25 Jahren beobachte sie IT-Menschen, sagt Mora, schließlich sei sie mit einem verheiratet. Und diese IT-Männer, denn es sind ausschließlich Männer, faszinierten sie, „weil sie so derart unfaszinierend sind“. Hier lacht die Schriftstellerin, wird gleich wieder ernst. 800.000 virtuelle Dollar in Aktienoptionen hätten die Bekannten in den 90er Jahren gemacht, und die verschwanden, als die Blase platzte, innerhalb eines einzigen Tages. „Die waren Feuer und Fett, vorher. Dann verloren alle ihre Jobs. Das ist eine Möhre, die man euch vor die Nase gehängt hat, habe ich gesagt.“ Darin habe sie damals „ein Muster erkannt, wie unsere Welt heute funktioniert.“ Die Geburtsstunde von Darius Kopp.

„Was ich mag ist nicht gehen, sondern kontrolliertes Fallen.“ Ihre Figuren, das seien „Prokrastinierer, Desorientierte am Rande des Losertums, aber keine Arschlöcher.“ Sie schreibe über ein wenig hinfällige Menschen die sind „wie du und ich“, Menschen, die dennoch und trotz allem ihre Würde bewahren. Aber warum überhaupt schreiben? Terézia Mora stellt prompt die Gegenfrage „Was ist Ziel und Aufgabe eines Lebens?“. Schreiben und leben, das ist für sie das Gleiche. Und die Figuren – nun, sie sei zum Beispiel nicht sicher, ob sie nicht auch so ein „merkwürdig stolpernder, orientierungsloser Held“ hätte werden können, in einem anderen Leben. Stattdessen kam ein Angebot von einem großen Verlag. „Seitdem hatte ich das Gefühl, das richtige Leben zu leben. Als wäre das von vorne herein bestimmt gewesen, dass das das Einzige ist, was ich tue, bis ich sterbe.“

Autorin: Nora Lessing