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Wie soll Lehre an der Humboldt-Universität zu Berlin zukünftig aussehen und was macht sie besonders?

Etwa 100 Teilnehmer:innen diskutierten darüber in einer Kick-off-Veranstaltung zum Leitbild Lehre am 15. Februar.

In der Heilig-Geist-Kapelle der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Spandauer Straße herrscht an diesem Nachmittag eine konzentrierte Arbeitsstimmung. Ein Grüppchen von sechs Personen sitzt hier im Halbkreis vor einer Stellwand. „Welche Werte bilden unser Selbstverständnis und können uns an der HU für die Lehre inspirieren?“ Diese Frage steht ganz oben auf dem großen Papierbogen. Die sechs Personen diskutieren miteinander, tauschen sich aus, schreiben Vorschläge auf große Klebezettel. Nach und nach füllt sich die Stellwand mit ihren Ideen: „Offenheit und Neugier“, „Diversität“, „Vertrauen“ und „Internationalität und Mehrsprachigkeit ernst nehmen“ werden angepinnt. Nach 45 Minuten ist die Diskussionsrunde vorbei, auf der weißen Wand ist kaum noch Platz.

Zeitgleich diskutieren sieben weitere Gruppen in anderen Räumen miteinander, um gemeinsam ein Leitbild Lehre zu entwickeln und füllen ihre Stellwände mit Klebezetteln. Auch per Videokonferenz beteiligen sich Universitätsangehörige, um ihre Gedanken und Vorstellungen einzubringen. Ein Leitbild für Lehre und Studium – dieses Anliegen stößt auf große Resonanz. Was macht gute Lehre aus? Was erwartet die Gesellschaft von guter Lehre? Wie müssen Lehre und Studium gestaltet sein, um zukunftsfähig zu sein? Diese und weitere Fragen stehen auf der Agenda.

Warum braucht die Universität ein Leitbild?

„Warum sind wir heute hier?“, fragte Prof. Niels Pinkwart, Vizepräsident für Lehre und Studium und Initiator der Entwicklung eines Leitbilds Lehre für die HU, zum Auftakt der Veranstaltung. Ein Leitbild Lehre zu entwickeln – das sei nicht nur für das Selbstverständnis der Universität wichtig, sondern auch zum Beispiel notwendig für andere Akkreditierungswege als der Programmakkreditierung und damit für die Qualitätssicherung von Studium und Lehre. Querschnittsthemen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internationalisierung oder Diversität prägen zunehmend auch die Lehre und müssten Eingang in ein neues Leitbild finden. Dass Universitätsleitung, Studierende, Wissenschaftler:innen Beschäftigte aus sämtlichen Universitätsbereichen sich zusammensetzen und diesen Prozess gemeinsam gestalten, sei bereits ein Erfolg an sich. „Der Weg ist auch ein wenig das Ziel“, so Pinkwart, der auf einen lebendigen Austausch hofft.

Bürokratie mit Augenmaß

Den wünschen sich auch andere, wie etwa Denisa Lenertová aus dem Institut für Slawistik und Hungarologie, die mit 16 Stunden in der Woche sehr intensiv unterrichtet. Nun nutzt sie die Gelegenheit, das, was ihr wichtig ist, anzusprechen und in das zukünftige Leitbild einfließen zu lassen. „Wie kann man die Forschung besser in die Lehre einbringen? Und die Gesellschaft muss ebenso verstehen können, was wir hier machen. Wie schafft man das?“, fragt sie. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin bedauert, dass Verbesserungsvorschläge häufig an der Bürokratie und an den Studienordnungen scheitern und wünscht sich, dass strukturelle Probleme behoben werden.

Offenheit für alterative Lehr- und Lernformate

Vero Pinzger und Pascal Kraft sind Studierende und lassen auch ihre Perspektive einfließen. „Manchmal ist die Lehre doch sehr verstaubt“, sagt Pascal Kraft. Ihm ist es wichtig, dass über alternative Prüfungsformate gesprochen wird. „Unsere Arbeiten landen meistens in irgendwelchen Schränken und werden nie wieder gelesen. Das ist schon demotivierend.“ Die Zeit und Kraft könnte man sinnvoller investieren und etwas schaffen, dass einen Nutzen für die Allgemeinheit hat, schlägt er vor. Vero Pinzger wünscht sich weniger Leistungs- und Bildungsdruck und ebenfalls mehr Offenheit für alternative Lehr- und Lernangebote.

Lehre ist auch in der Bibliothek ein Thema

Die Bibliothekarin Frauke Engels leitet die Abteilung Benutzung der Universitätsbibliothek – und auch hier ist das Leitbild Lehre ein wichtiges Thema. „Wir wollen Lehrende und Studierende mit unserem Angebot besser unterstützen und haben auf der anderen Seite selbst ein großes Lehr- und Beratungsangebot, das wir natürlich auch zukunftsfähig machen wollen. Damit stehen wir vor genau den gleichen Fragen wie die Hochschullehrenden“, erzählt sie. Gerade kommt sie aus einer Diskussion, die sich sehr kontrovers um die Begriffe Forschung, Wissenschaft und Kompetenz gedreht hat und nimmt daraus Denkanstöße für ihre eigene Arbeit mit.

Alle Statusgruppen an einem Tisch

Ein gleichberechtigter Austausch zwischen allen Statusgruppen – dieses Ziel ist an diesem Nachmittag geglückt: Universitätspräsidentin Prof. Julia von Blumenthal sitzt neben Studierenden und Mitarbeitenden, hört sich ihre Punkte an und schreibt diese und ihre eigenen auf die Klebezettel. Die zahlreichen gefüllten Stellwände zeigen am Ende, wie vielfältig die Vorstellungen und Ideen sind, die Impulse für das künftige Leitbild liefern sollen. Für zahlreiche Ehrenamtliche beginnt nun erst die eigentliche Arbeit: „Unser Editorial-Board, das sich ebenfalls aus vielen Fächer- und Statusgruppen der Uni zusammensetzt, wird sich nun konstituieren und den gesamten Prozess als Redaktionsteam begleiten“, erklärt Projektleiterin Kathrin Friederici vom Lehr- und Lernlabor bologna.lab, das alle Aktivitäten rund um das Leitbild Lehre koordiniert.

Em Ende des Prozesses: Ein Kompass für Lehrende und Lernende

Die Ideen werden jetzt gesichtet, aufgeschrieben und geordnet. Zum Tag der Lehre am 26. April wird erneut dezentral an den einzelnen Fakultäten, Instituten oder Bereichen über das künftige Leitbild Lehre diskutiert. Darüber hinaus werden die Teilnehmenden Arbeitsgruppen bilden, die gezielt wichtige Themen vertiefen und ausarbeiten. Im Herbst soll ein erster Entwurf des Leitbilds fertig sein und auf den Weg in die Gremien gehen. „Aber damit sind wir noch nicht fertig“, betont Friederici. „Danach müssen wir schauen, wie wir das Leitbild mit Leben füllen, welche Maßnahmen und Projekte wir daraus ableiten.“ Für den gesamten Prozess veranschlagt die Projektleiterin etwa ein Jahr. Ein Leitbild Lehre, das allen Lehrenden und Lernenden als Kompass dient, soll am Ende dieses Weges stehen.

Nach der Arbeit ist vor der Arbeit

Nach vier Stunden leeren sich die Veranstaltungsräume und Kathrin Friederici ist zufrieden mit dem Ergebnis. „Es gibt einen großen Bedarf, sich über alle Ebenen hinweg auszutauschen, andere Perspektiven zu hören und die eigene äußern zu können“, sagt sie. Diese Vielfalt sichtbar zu machen, sei mit dem Format gelungen. Dennoch müsse noch weiter daran gearbeitet werden, die noch nicht ausreichend vertretenen Gruppen zu erreichen. Bevor das Leitbild Lehre in etwa einem Jahr auf zwei bis drei Seiten und mit ergänzendem Zusatzmaterial Schwarz auf Weiß die Grundsätze des Studiums, die Anforderungen an Studierende, Lehrende und unterstützende Strukturen artikuliert, wartet noch viel Arbeit auf alle beteiligten Humboldtianer:innen. „Aber heute haben wir damit angefangen", freut sich Niels Pinkwart über die aktive Teilnahme der Humboldtianer:innen.

Autorin: Heike Kampe

Weitere Informationen

Eindrücke von der Kick-Off-Veranstaltung am 15. Februar 2023 (YouTube)