„Auf einer starken wissenschaftlichen Grundlage Kompetenzen für den Beruf vermitteln“

Prof. Dr. Eva Inés Obergfell, Vizepräsidentin für
Lehre und Studium. Abbildung: Stephan Röhl
Eva Inés Obergfell hat am 1. Oktober 2016 das Amt der Vizepräsidentin für Lehre und Studium angetreten. Die Universitätsprofessorin für Bürgerliches Recht, Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung wird sich auf vier Themenschwerpunkte konzentrieren. Ihr „4D-Konzept“ beinhaltet Differenzierung, Digitalisierung, Dialog und Durchlässigkeit. Was sich dahinter verbirgt, welche Themen ihr am Anfang besonders wichtig sind und wofür sie Studierende begeistern möchte, sagt sie in unserem Interview.
Sie haben Ihr Jurastudium in Bielefeld begonnen. Was hat Sie damals besonders beeindruckt?
Eva Inés Obergfell: Ich war davon begeistert, dass die Universität ein so lebendiger Ort ist, an dem es unglaublich viele Anregungen gibt: eine Vielzahl von Vorträgen zu allen nur denkbaren Themen, sportliche Aktivitäten, kulturelle Veranstaltungen. Eine meiner ersten Vorlesungen war eine Einführung in die Grundlagen des Rechts, zufälligerweise hat sie mein jetziger Fakultätskollege Professor Grimm gehalten. Sein virtuoser Umgang mit Sprache hat mich sehr beeindruckt und darin bestärkt, dass ich im richtigen Studiengang bin.
Welchen Ratschlag geben Sie unseren Erstsemestern mit?
Meine Empfehlung an Studierende ist, sich trotz engem Zeitkorsett nicht nur ins Studium einzugraben, sondern wach und neugierig zu sein und alle Angebote zu nutzen, die sich in intellektueller, gesellschaftspolitischer und kultureller Hinsicht bieten. Wir haben viele internationale Studierende in Berlin, die fremde Kulturen zu uns bringen. Nutzen Sie das!
Wie wird Ihr erstes Semester als Vizepräsidentin aussehen, was steht auf Ihrer Agenda an erster Stelle?
Ich werde zuerst in einen intensiven Dialog mit den Fakultäten und Instituten eintreten. Dabei möchte ich herausfinden, wo es Bedürfnisse zur Veränderung gibt und welche Verbesserungsvorschläge und neuen Gestaltungsmöglichkeiten sich anbieten. Mein Fokus liegt nicht auf der Problematisierung möglicher Missstände, sondern auf möglichen Lösungen. Steigende Studierendenzahlen, Platzmangel, zu wenig Geld – diese Probleme kennen wir alle. Aber, wie schaffen wir es in Zeiten der vielfältigen Forderungen an die Hochschulen qualitätsvolle Lehre zu leisten, das Humboldt’sche Ideal umsetzen? Ich möchte mit allen Angehörigen der HU, insbesondere mit den Studierenden zusammenarbeiten, die Interesse und Lust haben, uns in Studium und Lehre voranzubringen.
Was bedeutet es, das Humboldt’sche Ideal in der heutigen Zeit umzusetzen?
Ich möchte, dass die Humboldt-Universität auf einer starken wissenschaftlichen Grundlage Kompetenzen für den Beruf vermittelt. Ein Beispiel: Ich komme aus einer angewandten Wissenschaft, in der die Praxis eine wichtige Rolle spielt. Unsere Absolventinnen und Absolventen gehen in Gerichte, Anwaltspraxen, Verbände, in die Wissenschaft. Doch auch für diejenigen, die auf ein eher wissenschaftsfernes Berufsbild hinzielen, ist es förderlich, wissenschaftliche Methoden des kritischen Reflektierens und Analysierens erlernt zu haben. Gleichzeitig möchte ich entsprechend talentierte Studierende gezielt und früh an Wissenschaft und Forschung heranführen. In meinem 4D-Programm gehört dies alles zum Punkt Differenzierung.
Es gibt in Deutschland schon viele Doktorandinnen und Doktoranden, oft wird ihre prekäre Lage diskutiert. Sollte man Studierenden nicht eher abraten, in die Wissenschaft zu gehen?
Ich denke nicht, dass wir zu viele Doktorandinnen und Doktoranden haben. Beim forschenden Lernen, beim frühen Fokussieren auf wissenschaftliche Arbeit geht es mir darum, Studierende frühzeitig dort abzuholen, wo sie Eignungen und Talente haben. Wir haben mit ProLeA, unserem Promotionsprogramm vor allem für Lehramtsstudierende, ein wunderbares Beispiel dafür, wie Studierende ohne unnötigen Zeitverlust an die Promotion herangeführt werden. Solche Best-Practice-Beispiele möchte ich breiter etablieren. Im Übrigen: Prekäre Verhältnisse sind nicht auf Doktorandinnen und Doktoranden beschränkt, sondern leider in vielen Zusammenhängen, insbesondere in
Übergangssituationen vom Studium zum Beruf, zu finden.
Welche Angebote stellen Sie sich für Studierende vor, die nicht in die Wissenschaft wollen?
Der Berufseinstieg soll erleichtert werden und die Studierenden sollen ein Gespür dafür bekommen, welche Berufe außerhalb der für ihre Disziplinen klassischen Bereiche für sie in Betracht kommen. Ich stelle mir mehr Kontakte mit Verwaltungen, Unternehmen, Kultureinrichtungen vor, beispielsweise gemeinsame Workshops, in denen Studierende in Berufe hineinschnuppern können und gleichzeitig wichtige Kontakte aufbauen. Die Studierbarkeit muss dabei natürlich gewährleistet sein, es soll ein zusätzliches Angebot sein, aber nicht zusätzlicher Stress entstehen. Den konkreten Rahmen solcher Angebote möchte ich mit den Studierenden gemeinsam entwickeln.
Stichwort Digitalisierung. Man hat den Eindruck, dass das Thema an unser Uni eher eine untergeordnete Rolle spielt.
Es gibt an vielen Stellen interessante und erfolgversprechende Ideen und Initiativen. Was fehlt, ist eine übergreifende Digitalisierungsstrategie. Daher werde ich versuchen, die bestehenden Initiativen, wie z.B. die AG DLI, die am Computer und Medienservice angesiedelt ist, zu unterstützen und zu vernetzen. Wir werden insgesamt eine wichtige Debatte führen müssen über den Wert von Präsenz- und die Möglichkeiten von Onlinelehre. Wie verändern sich Curricula, Prüfungen und Didaktik durch Digitalisierung von Lehre? Das sind wissenschaftliche Fragen, zu denen wir zahlreiche Expertinnen und Experten an der Humboldt-Universität haben. Das Ergebnis dieser Debatte soll in ganz konkrete Maßnahmen münden. Es gibt für mich eine Prämisse: Jede Form von Lehre ist ein fachlicher Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden. Das ist der Nucleus, den wir bewahren müssen.
Wir hatten die Themen Dialog, Differenzierung und Digitalisierung ihres 4D-Modells, fehlt noch die Durchlässigkeit. Wie kann man das verstehen?
Der Begriff der Durchlässigkeit umschließt eine Fülle von Themen. Mir ist wichtig, Programme für diejenigen anzubieten, die gewisse Hürden überschreiten müssen, um an die Universität zu gelangen, seien es nun Studierwillige ohne Abitur, Studierende mit nichtakademischem Hintergrund oder auch Geflüchtete. Bei unserer Zentralen Frauenbeauftragten ist das Projekt „firstgen“ angesiedelt, für Studentinnen, die als erste in ihrer Familie studieren. So ein Projekt würde ich gerne in der Fläche sehen. Ich meine, die Humboldt-Universität sollte allen offen stehen, die ein Studium wünschen und die Fähigkeiten und Neigungen dazu mitbringen – unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer Herkunft.
Das Interview führte Ljiljana Nikolic