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Skandinavien in Berlin – eine Spurensuche

Am Nordeuropa-Institut der HU wird erforscht, weshalb Berlin seit jeher Anziehungspunkt für viele Skandinavier ist
Ralph Tuchtenhagen

Prof. Dr. Ralph Tuchtenhagen
Abbildung: privat

Prof. Dr. Ralph Tuchtenhagen lehrt am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) Kulturwissenschaft. Im Rahmen eines Forschungsprojekts untersucht er zusammen mit Studierenden, weshalb Berlin seit jeher Anziehungspunkt für Skandinavier ist und wo sich Spuren von Skandinavien in Berlin finden lassen.

Herr Professor Tuchtenhagen, wie entstand die Idee zum Forschungsprojekt „Skandinavien in Berlin“ und was hat Berlin mit Skandinavien zu tun?

Ralph Tuchtenhagen: Das Nordeuropa-Institut der HU ist das größte Institut außerhalb Skandinaviens, das sich mit Nordeuropa beschäftigt. Insofern liegt es nah, den Sinn einer solchen Institution ausgerechnet in Berlin in einen größeren Kontext einzubetten. Bei anderen Städten wie Greifswald oder Kiel ist die Verbindung zu Skandinavien offensichtlich, weil es früher Universitätsstädte des Dänischen, beziehungsweise Schwedischen Reiches waren. Das ist bei Berlin nicht so. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert war und ist Berlin aber ein wichtiger Anziehungspunkt für die Skandinavier.

Welche Skandinavier kamen den besonders gerne nach Berlin?

Es gab zahlreiche Studierende, die hierhergekommen sind, außerdem Künstler und Politiker. August Strindberg war mehrmals in Berlin, Edvard Munch hatte hier Ausstellungen. Es gab einen Friedrichshagener Dichterkreis, der von Skandinaviern dominiert war. Dann gab es natürlich Botschaften, oder wenn man von früheren Zeiten spricht, Gesandtschaften, sowie Militärs, die teilweise auch ihre Familien mitgebracht haben. Schon damals bildeten sich skandinavische Communitys in Berlin. Außerdem gab es natürlich viele Kaufleute, die nur teilweise in Berlin gelebt haben, aber ihre Büros hier hatten. Nicht zu vergessen die Kirchen, die auch immer für diese verschiedenen skandinavischen Communitys da waren und das kulturelle Leben mitorganisiert haben. Sie waren also nicht nur religiöse Institutionen, sondern auch zuständig für Kindergärten, Festtage, die zu feiern waren, haben die gemeinschaftlichen Aktivitäten organisiert, die in der Stadt gelaufen sind. Brandenburgisch-skandinavische Beziehungen hat es schon lange gegeben. Angefangen vom Reformationszeitalter, wo es einen starken Austausch über Glaubensfragen stattfand, bis hin zum Dreißigjährigen Krieg, wo es eine schwedisch-preußische Allianz gab. Außerdem war die Schwester Friedrichs des Großen von Preußen Königin von Schweden, was erneut zu vielfältiger politischer Zusammenarbeit zwischen Berlin und Stockholm führte. Berlin als Hauptstadt, zunächst Brandenburg-Preußens, später des Deutschen Reiches, ist immer anziehend gewesen. Wir wollen gerne untersuchen, wie sich das abbilden lässt und wo wir Indizien finden für die Präsenz der Skandinavier in Berlin.

Wie hat sich die Forschungsarbeit bislang gestaltet?

Ich habe die Arbeit an diesem Projekt im letzten Semester begonnen mit einem Kurs über Skandinavien und Brandenburg, einschließlich Berlin. Das war mäßig erfolgreich, weil einfach sehr wenige Teilnehmende kamen und wir leider nicht viel erarbeiten konnten, trotzdem haben wir eine Reihe von Aspekten herausfinden können. Das geht von den politischen Beziehungen der preußischen Herrscher über dänische oder schwedische Restaurants bis hin zu Leuten, die gar nicht selber Skandinavier sind, aber innerhalb Berlins skandinavische Kultur zelebrieren. Wir haben zunächst nicht sehr tief schürfen können, aber zumindest potentielle Forschungsthemen identifiziert. Dieses Semester ist das anders, weil der Kurs übervoll und das Interesse offenbar riesengroß ist.

Und wie geht es nun konkret weiter?

Wir werden die Themen des letzten Semesters sicherlich zum Teil aufgreifen, vielleicht werden auch neue dazukommen, und wir werden das Ganze mit einem wissenschaftlichen Instrumentarium verbinden. Momentan kümmern wir uns vor allem erstmal um die theoretischen Grundlagen. Welche historischen Methoden gibt es? Welche Methoden gibt es innerhalb der Erinnerungsforschung? Welche soziologischen und politologischen Methoden könnten eine Rolle spielen? Der zweite Schritt wird sein, die Themen konkret zu identifizieren, die bearbeitet werden sollen. Und schließlich sollen die Studierenden dann in die Stadt gehen und beispielsweise Interviews führen oder Archive nutzen und versuchen, Dokumente zu finden. Es gibt zum Beispiel eine Studentin, die sich mit der skandinavischen Restaurantkultur von der Wende bis heute beschäftigen wird.

Ist zu dem Projekt eine Publikation geplant?

Wenn die Beiträge der Studierenden wirklich gut sind, würde ich das schon gerne veröffentlichen. Das kann in Papierform sein - ganz traditionell als Buch - aber natürlich auch digital auf Internetseiten. Geplant ist auf jeden Fall so etwas wie eine interaktive Karte von Berlin, wo alle Orte, die etwas mit Skandinavien zu tun haben, verzeichnet sind, und wo man dann im Wiki-Verfahren selber weiterarbeiten kann, sodass das ganze Projekt von alleine wachsen kann. Aber ganz so weit sind wir noch nicht.

Das Interview führte Kerrin Neumann

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Prof. Dr. Ralph Tuchtenhagen
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Tel: 030 2093-9747
ralph.tuchtenhagen@hu-berlin.de