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„Der Trend war klar“

Dr. Ben Maier ist Erstautor einer Studie über Modellierungen von möglichen Verläufe einer erwartbaren Omikron-Welle in Deutschland. Im Interview spricht er über diese Studie und erwähnt, welche Faktoren für das extreme Omikron-Wachstum verantwortlich sein könnten
Dr. Ben Maier

Dr. Ben Maier, Foto: Austin Bowtell

Dr. Maier, Sie und ein Team von Modelliererinnen und Modellierern haben in einer Zusammenarbeit zwischen Humboldt-Universität und Robert-Koch-Institut Anfang des Jahres eine Studie erstellt, die mögliche Verläufe einer erwartbaren Omikron-Welle in Deutschland darstellt. Diese Modellierungen werden in den Medien aktuell immer wieder als eine der Grundlagen genannt, wenn es um die Einschätzung der Omikron-Lage geht. Was haben Sie genau untersucht?

Dr. Benjamin Maier: Als wir Ende letzten Jahres sahen, was in Dänemark passierte, war klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis eine Omikron-Welle bei uns beginnen würde. Wir wollten daher abschätzen, wie das Infektionsgeschehen in Deutschland im Vergleich zur Delta-Welle ablaufen würde. Im Dezember überlegte ich gemeinsam mit dem Team, welche Faktoren für das extreme Omikron-Wachstum verantwortlich sein könnten, um darauf basierend Szenarien zu modellieren, wie sich die Welle im Januar und Februar ausbreiten könnte. Und wie sehr sie das Gesundheitssystem belasten würde.

Was für Parameter waren das?

Maier: Drei Faktoren können in einem Zusammenspiel dafür verantwortlich sein, dass Coronavirusvarianten ansteckender erscheinen. Wie hoch ist die Viruslast des infizierten Menschen, wie gut kann das Virus die Immunität umgehen und wie groß ist die Zeitspanne zwischen einer eigenen Infektion bis zur Infektion einer anderen Person, also der Generationszeit. Die Daten, die uns Mitte Dezember aus anderen Ländern zur Verfügung standen, deuteten darauf hin, dass Omikron eine kürzere Generationszeit und eine starke Umgehung der Immunität aufweist. Für diese Charakteristika haben wir eine Formel entwickelt, um darauf basierend die Szenarien zu modellieren, wie Omikron sich unter den derzeit herrschenden oder veränderten Bedingungen in Deutschland ausbreiten könnte.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach betont immer wieder, wie genau Ihre Modelle dem entsprechen, was zur Zeit auch zu beobachten ist. Zum Beispiel, dass die Welle um den 14. Februar herum brechen wird, was ja nun auch der Fall ist. Was sonst haben Ihnen die Modelle gezeigt?

Maier: Sie zeigten, dass trotz der hohen Wirksamkeit der Impfstoffe gegen schwere Verläufe, es durch die Immunflucht zu einer hohen Rate an Infektionen kommen wird und daher zu einer potentiell hohen Belastung des Gesundheitssystems und der kritischen Infrastruktur. Die Zahlen, die wir genannt haben, zum Beispiel maximal bis zu 300.000 gemeldete Fälle an einem Tag, waren natürlich mit einer gewissen Ungenauigkeit verbunden. Aber der Trend war klar. Wir zeigten ebenfalls, dass bereits geringe Kontaktreduktionen zur Entlastung beitragen können. Außerdem sagten unsere Modelle, dass frühe starke Interventionen wie ein Lockdown das Geschehen zwar unterbrechen könnte. Aber aus den Erfahrungen mit den anderen Lockdowns hätten wir mit einem starken Rebound-Effekt rechnen müssen, da die Booster-Impfung bis zu einer erneuten Lockerung an Effektivität verloren hätte. Nach harten, kurzen Einschränkungen hätte es also wieder zu einer hohen Infektionswelle kommen können. 

Bisher wurde die Omikron-Welle in Deutschland durch den Subtyp BA.1 bestimmt. Nun setzt sich ein anderer Subtyp, BA.2, durch. Kann dies den Verlauf des Infektionsgeschehens noch negativ beeinflussen? 

Maier: Da kann man bisher nur spekulieren, da es noch nicht genug Daten über BA.2 gibt. Es scheint, dass mit diesem Subtyp Infizierte ansteckender sind, was bedeuten könnte, dass sich die Welle vor allen Dingen im Zusammenhang mit Lockerungen verlängert. Oder dass es vielleicht nochmal einen neuen leichten Anstieg geben könnte. Das sind aber, wie gesagt, nur reine Mutmaßungen, die ich hier gerade von mir gebe. 

Was möchten Sie in Bezug auf Pandemien in Zukunft untersuchen?

Maier: Mich interessiert, wie sehr Infektionsgeschehen vom Verhalten des Menschen beeinflusst werden. Zum Beispiel haben wir immer wieder beobachtet, dass ein Teil der Bevölkerung Maßnahmen vor deren Umsetzung vorwegnimmt. Wie kann man dieses Verhalten messen und modellieren? Das ist wirklich wichtig, auch in Hinblick auf die nächste Pandemie. 

Die Fragen stellte Wiebke Heiss.

Studie

Vollständiger Bericht zur Abschätzung der Infektionswelle durch die SARS-CoV-2 VOC Omikron (PDF)

Weitere Informationen

Zur Omicron Modellierung

Zu Brockmann Lab