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Coronavirus: „Eine Manifestation der Globalität“

HU-Professor Dirk Brockmann erläutert im Interview den Risikomonitor, der anhand von weltweiten Flugbewegungen die Verbreitungswege des Virus aufzeigt

Das Coronavirus breitet sich aus, aber die Infektionsrisiken sind ungleich über die Welt verteilt. Anhand einer Datenanalyse über die weltweiten Flugverbindungen haben ein Team von Forschende der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und des Robert-Koch-Instituts (RKI) um Prof. Dr. Dirk Brockmann berechnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein infizierter Fluggast aus Wuhan weltweit an irgendeinem Flughafen ankommt. Die Grundlage des Modells ist das weltweite Lufttransportnetz (WAN), das ca. 4.000 Flughäfen mit mehr als 25.000 Direktverbindungen verbindet.

Prof. Dr. Brockmann von der Humboldt-Universität erläutert im Interview das Modell und erklärt, warum Frankreich näher an Wuhan ist als Indonesien.

Sie haben einen Risikomonitor des Coronaviruses entwickelt. Deutschland mit einem Risikoindex von 0,139 Prozent derzeit an 14. Stelle (Stand: 31. Januar 2020). Wie kamen Sie zu diesem Ergebnis?

Alternativtext
Weltweite Flugbewegungen, ausgehend vom
Flughafen Wuhan. Grafik: Prof. Dr. Dirk Brockmann

Brockmann: Das muss man sich so vorstellen: Das Modell ist ein reines Mobilitätsmodell. Das bedeutet, es berücksichtigt den weltweiten Flugverkehr mit ungefähr 4.000 Flughäfen und etwa 51.000 direkten Verbindungen zwischen den Flughäfen. Wir haben uns die Frage gestellt, wenn 1.000 infizierte Menschen in Wuhan ins Flugzeug steigen – wo landen diese? Die meisten Passagiere werden an einem Flughafen in China landen, aber etwa 10 Prozent reisen außerhalb des Landes. Wir haben uns außerdem gefragt, wie sich das auf verschiedene Länder verteilen wird und das sind die relativen Importrisiken. Konkret für Deutschland bedeutet das folgendes: Von 1.000 infizierten Menschen, die in Wuhan einsteigen, landen in Deutschland etwa 1,4 also 1 bis 2 Menschen. Deutschland hat derzeit ein relatives Importrisiko von 0,139 Prozent, während die USA oder Frankreich ein relatives Importrisiko haben, das ungefähr viermal so hoch ist.

Wie kommt das?

Mit dem Modell können wir die wahrscheinlichen Ausbreitungswege des Virus berechnen. Und ein ganz wichtiger europäischer Knoten ist der Flughafen Charles de Gaulle in Paris. Dieser Flughafen hat aus der Sicht Wuhans eine enorme Bedeutung, da es Direktverbindungen dorthin gibt und einfach viel Flugverkehrsfluss stattfindet.

Würden wir in unserem Modell beispielsweise Peking als Ursprungsort nehmen, dann wäre der Flughafen Frankfurt am Main sehr bedeutsam, da es von dort viele Direktverbindungen zur Hauptstadt Chinas gibt. Wir können für jeden Ursprungsort, für jeden Referenzknoten die wahrscheinlichsten Wege zu allen anderen Flughäfen von diesen Referenzknoten berechnen. Und so berechnet sich das Risiko.

Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht – und warum?


 

Zunächst war ich überrascht, dass Frankreich im Ranking im Vergleich zu den USA sehr weit oben gelistet ist. Bei näherer Betrachtung war mir klar, dass der Flughafen Charles De Gaulle in diesem speziellen Fall ein wichtiges Drehkreuz ist. Auch hat es mich überrascht, dass sich das relative Importrisiko anderer asiatischer Länder, die quasi aus Sicht Wuhans „vor der Tür sind“ nur unwesentlich von dem für Frankreich oder Deutschland unterscheiden. Das relative Importrisiko von Frankreich (0,242 Prozent) ist höher als das von Malaysia (0,202), Indonesien (0,154 Prozent) oder den Philippinen (0,146 Prozent). Dieses Ergebnis ist schon auch eine Manifestation der Globalität. Aus Sicht Wuhans ist Frankreich näher als Malaysia.

Das spiegelt dann ja auch die chinesischen Handelsbeziehungen mit dem Rest der Welt wieder.

Genau.

Wem nutzen Ihre Prognosen?

Wir liefern mit unserem Modell dem Robert-Koch-Institut (RKI) die Zahlen. Das RKI kann daraufhin Politikerinnen und Politiker informieren oder deren Intuition schärfen, damit sie richtige Entscheidungen treffen können. Wenn sich ganz Deutschland fragt, wie jetzt beispielsweise der Frankfurter Flughafen handeln wird, dann liefern unsere Zahlen auch belastbare Daten, die bei Entscheidungen helfen können.

Müssen wir in Zeiten von Globalisierung mit weiteren Pandemien in Zukunft rechnen?

Pandemien, also globale Ausbreitungen einer Krankheit, werden immer wieder auftauchen. Zum einen leben immer mehr Menschen in Ballungszentren und zum anderen essen wir viel Fleisch und halten auch viele Tiere – relativ viele dieser neuen Virusinfektionen stammen von Tieren. Das sind alles Faktoren, die eher dafür sprechen, dass es mit einer höheren Rate zu solchen Situationen kommen wird.

Die Fragen stellte Kathrin Kirstein.

Weitere Informationen

Kontakt

Prof. Dr. Dirk Brockmann
Institut für Biologie
Humboldt-Universität zu Berlin

Tel.: +49 30 18754 2070
dirk.brockmann@hu-berlin.de