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„Über Kampffelder wächst irgendwann Gras, über Bilder nie“

Prof. Charlotte Klonk analysiert in ihrer Studie „Terror. Wenn Bilder zu Waffen werden“ Strategien des Terrors

Terror
Bombenexplosion im Regierungsdistrikt in
London am 15. März 1883.
Illustrated London News, 24. März 1883

Es waren zwei Erlebnisse mit Bildern im Jahr 2005, die am Anfang des Buches standen, das gerade erschienen ist. Ein Foto des 1977 entführten und ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin Schleyer, das Charlotte Klonk in einer Berliner Ausstellung über die RAF sah, und das Bild von zwei gescheiterten Attentätern, die in London verhaftet wurden, wo sie zu dieser Zeit lebte. Beide hatten eine ganz unterschiedliche, aber sehr starke, ja verstörende  Wirkung auf sie. Warum? Das wollte sie selbst verstehen und begab sich auf eine langwierige Recherche über die Rezeptionsgeschichte dieser und anderer Bilder.

In ihrer Studie „Terror. Wenn Bilder zu Waffen werden“, die im Fischer Verlag erschienen ist, analysiert die Professorin für Kunst und Neue Medien am Institut für Kunst- und Bildgeschichte anhand ausgewählter Beispiele, wie und welche Bilder nach Terroranschlägen, Entführungen und Geiselnahmen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein in den Medien veröffentlicht wurden. Wo ist der Informationspflicht genüge getan, wo beginnt die Propagandawirkung, wann werden Persönlichkeitsrechte überschritten?  

Studium in Cambridge und Oxford

Das Buch liest sich spannend und flüssig. Die Sprache ist klar, präzise, allgemeinverständlich. Ein Crashkurs in journalistischem Schreiben? Nein, aber Phasen der wissenschaftlichen Karriere in Großbritannien. „Ich habe bislang immer auf Englisch geschrieben. Dieses ist mein erstes deutsches Buch. In England ist eine gute wissenschaftliche Sprache vor allem eine verständliche“, sagt sie.

Die Forscherin hat ihr Studium teilweise an der University of Cambridge absolviert und war am dortigen Newnham College PhD-Studentin. Nach dem Abschluss forschte sie als Junior Research Fellow am Christ Church College in Oxford und anschließend als Lecturer am History of Art Department der University of Warwick.

Dass sie sich als Kunsthistorikerin auch mit Bildern des Terrors beschäftigt, hat nicht nur mit den erwähnten Aha-Erlebnissen zu tun, sondern auch damit, dass ihr ein ethischer Umgang mit Bildern besonders wichtig ist. Dabei hat sie nicht nur die herkömmlichen Medien im Blick, sondern auch Konsumenten und Produzenten von Bildern im Zeitalter von Handy und Internet. Was ist eine richtige, angemessene Haltung angesichts der Ambivalenz von Terrorbildern? Diese Frage beantwortet sie für sich folgendermaßen: „Nicht jedes Bild, nicht jeden Film, der im Internet zur Verfügung steht, muss man sich anschauen oder gar weiterverbreiten.“ Es gebe häufig gar keinen Mehrwert an Informationen. Bilder zwingen aber gelegentlich zur unfreiwilligen Komplizenschaft. Möchte man das?

Denn in einem ist sich die moderne Terrorismusforschung einig, nicht der Gewaltakt an sich zählt, sondern die Bilder, die davon in Umlauf gebracht werden. Angst und Schrecken sollen durch Terror verbreitet werden – indem sie maximal in den Massenmedien abgebildet werden. Entscheidend für die Gewalttäter sei letztendlich nicht die Zahl der Toten, sondern dass eine beängstigende Vorstellung generiert wird: „Es hätte auch mich treffen können“. Kurz und knapp: Bilder vom Terror dienen erst einmal vor allem den Tätern.             

Immer das gleiche Muster

Prof. Charlotte Klonk
Prof. Charlotte Klonk
Foto: Aysenur Catik/Die Hoffotografen
GmbH Berlin

Was die Forscherin bei ihrer Arbeit am Buch selbst erstaunt hat: „Die mediale Terror-Berichterstattung folgt in der Bildauswahl seit Ende des 19. Jahrhunderts immer dem gleichen Muster.“ Denn in den Illustrierten des 19. Jahrhunderts, wo noch Drucke nach Zeichnungen veröffentlicht werden, wie in den Zeitungen und Magazinen des 21. Jahrhunderts wiederholt sich ein „framing“: „Zuerst wird der Anschlag visualisiert, allerdings ohne die Toten zu zeigen, es folgen Bilder vom Rettungseinsatz und der Polizei, mit denen der Schrecken der Bilder teilweise wieder aufgehoben wird und die Gesellschaft sich ihrer Handlungsfähigkeit versichert. Am Ende stehen dann die Verurteilung oder der Tod des Täters.“ Mit letzterem demonstriere der Staat sein Gewaltmonopol.  

Medien und Terror gehen dabei eine symbiotische, aber unheilvolle Beziehung ein. Denn Bilder, mit denen der Staat die Rückeroberung der Gewalthoheit demonstriert, werden beispielsweise im nächsten Schachzug von der anderen Seite als Märtyrerbilder benutzt. „Es ist sehr erstaunlich, wie stark der Staat zu diesem Mittel greift, um im Propagandakampf Oberhand zu behalten. Dieser Kampf ist aber nicht zu gewinnen.“ Oft gelangen dabei auch Erniedrigungsbilder der Täter in die Medien. „Ich frage mich, wie diese Bilder überhaupt an die Öffentlichkeit kommen konnten, zum Beispiel die Totenbilder der RAF-Terroristen in der JVA Stuttgart-Stammheim“, sagt die Wissenschaftlerin, die 2005 an die HU gekommen ist, hier habilitiert wurde und 2011 die Professur antrat.  

Und spätestens bei Erniedrigungsbildern kommt die Frage der Menschenwürde ins Spiel, auch die der Täter. „Es ist für mich eine ethische Grundfrage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, welche Werte uns wichtig sind. Führen wir die Menschenwürde nur wohlfeil im Munde, wie es die Publizistin Carolin Emcke ausdrückt, oder gilt für alle, auch die Feinde, ein Grundprinzip, das selbst durch Terror nicht in Frage gestellt wird?“, fragt Klonk.

Und während sich dieser Tage die Interviewanfragen der Presse zu ihrem Buch häufen und sie immer wieder detailliert und geduldig Auskunft gibt über die Funktion von Bildikonen oder Hinrichtungsvideos des IS im Internet, arbeitet sie schon an einer anderen Perspektive des Themas. An der auf die Opfer.

Als Konsument oder Produzent von Bildern Verantwortung übernehmen

„Es wird immer wieder über die Täter geschrieben, die Opfer kennen wir oft gar nicht.“ Soll man die Opfer von Anschlägen ins Blickfeld rücken, wie es teilweise auch Opferverbände fordern? Nach dem Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 habe es erst einmal einen Aufschrei gegeben. An der Gedenkstätte seien auf einem Plakat zunächst nur die Namen und Bilder der ausländischen Opfer erschienen. Die Namen der deutschen kannte man nicht. Schnell habe sich eine Initiative zusammengefunden, die Namen und Fotos der Opfer recherchiert und schließlich auf einer weiteren Gedenktafel platziert habe. Aber mit welchen Methoden ist das geschehen? „Die ganze Geschichte ist hochproblematisch. Die Einzigen, die die Veröffentlichung freigeben können, sind die jeweiligen Angehörigen der Opfer. Sie aber wurden hier nicht selbst aktiv.“ Das Verlangen nach Opferbildern kann Charlotte Klonk nicht verstehen. Sie trauere nicht mehr, wenn die Namen bekannt seien.

Die Forscherin unterstreicht: „Bilder sind nicht Begebenheiten wie Erdbeben, sondern von Menschen in Umlauf gebracht und intendiert. Damit haben wir auch die Freiheit, uns ihnen zu verweigern.“ Bilder verlieren ihren Schrecken nicht und können immer wieder zu den unterschiedlichsten Zwecken mobilisiert werden, in den sozialen wie herkömmlichen Medien. Deshalb sollte jeder als Konsument oder Produzent von Bildern Verantwortung übernehmen. „Über Kampffelder wächst irgendwann Gras, über Bilder nie.“

Autorin: Ljiljana Nikolic

Weitere Informationen

„Terror. Wenn Bilder zu Waffen werden“
Charlotte Klonk

ISBN: 978-3-10-397233-7