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„Die Vision einer diversen Gesellschaft ist leider noch nicht so weit verbreitet“

Stencil von Kimiko Suda
Dr. Kimiko Suda, Foto: privat

Dr. Kimiko Suda ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Sie war Projektmitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin in dem von der Berlin University Alliance gefördertem Forschungsprojekt „Soziale Kohäsion in Krisenzeiten. Die Corona-Pandemie und anti-asiatischer Rassismus in Deutschland“, eine Kooperation zwischen der Humboldt-Universität zu Berlin, der Freien Universität Berlin sowie dem DeZIM. Im Interview spricht sie über anti-asiatischen Rassismus in Zeiten der Corona-Pandemie, welche Rollen Medien dabei spielen und wie Wissenschaft und Gesellschaft Rassismus in Deutschland entgegenwirken können.

Können Sie kurz erklären, worum es in der Studie geht und wie die Forschenden dabei vorgegangen sind?

Dr. Kimiko Suda: Im Kooperationsprojekt „Soziale Kohäsion in Krisenzeiten. Die Corona-Pandemie und anti-asiatischer Rassismus in Deutschland“ wurde untersucht, inwiefern die Corona-Pandemie Einfluss auf Rassismus gegenüber asiatisch gelesenen Menschen in Deutschland hat. Die Studie war in zwei „Arbeitspakete“ aufgeteilt, in beiden wurde mit einem Mixed-Method-Design gearbeitet. Im ersten „Paket“ wurde eine quantitative Befragung in mehreren Wellen mit experimentellen Elementen zur gesamtgesellschaftlichen Perspektive hinsichtlich dieser Frage durchgeführt. Es wurde untersucht, welche sozialpsychologischen Faktoren anti-asiatischen Rassismus begünstigen. Dabei spielten vor allem zwei Erklärungsmechanismen eine Rolle: die Verbindung von Unsicherheit und Schuldzuweisungen sowie Emotionen wie Ekel, Angst oder Wut.

Im zweiten „Arbeitspaket“, in dessen Bearbeitung ich hauptsächlich involviert war, ging es um die Perspektive der von Rassismus „Betroffenen“. Wir haben zunächst einen bundesweiten „Community-Online-Survey“ (Convenience Sample) mit 703 Personen aus asiatischen und Asiatisch-Deutschen Communities durchgeführt. korientation e.V. hat dabei den Feldzugang ermöglicht. In dem Survey wurde unter anderem nach allgemeinen und Corona-spezifischen Rassismuserfahrungen gefragt, nach Diskriminierungsformen, nach den Orten, an denen Diskriminierung erlebt wurde und nach dem Umgang der Betroffenen mit Diskriminierung. 70 Personen aus dem Community-Survey-Pool haben dann im Anschluss noch an einer 14-tägigen Online-Tagebuchstudie teilgenommen. Für diese Studie wurde täglich gefragt, ob die Teilnahmenden etwas erlebt haben, das sie darauf zurückführen, dass sie als asiatisch gelesen werden.

Welches Ergebnis brachte die Studie?

Dr. Kimiko Suda: Es liegen zu beiden Teilen der Studien noch keine wissenschaftlichen Publikationen vor, in denen finale und umfassende Ergebnisse präsentiert werden, die sich hier zitieren ließen. Zu den Tagebucheinträgen lässt sich bereits erwähnen, dass von sehr unterschiedlichen Aspekten rassistischer Diskriminierung berichtet wurde: unter anderem verbale Gewalt, Mikroagressionen, institutionelle Diskriminierung und geschlechtsspezifische Diskriminierung.

Haben Sie die Umfrageergebnisse überrascht? 

Dr. Kimiko Suda: Diese Vielfalt an Aspekten hat mich nicht überrascht, ebenso wenig wie die ersten Ergebnisse des Community-Surveys: knapp die Hälfte der Teilnehmenden gaben, an seit dem Beginn der Pandemie einen Anstieg an Diskriminierung erlebt zu haben, und die Mehrheit der Diskriminierungsfälle fanden in öffentlichen Räumen, beispielweise im öffentlichen Nahverkehr, statt. Auch diverse Formen wurden angegeben, von ablehnender Gestik, über institutioneller Diskriminierung bis hin zu körperlicher Gewalt. Ich war nicht überrascht über die Ergebnisse, da sich 2020 weltweit an den Orten, an denen asiatische Diaspora lebt, schon vor Beginn unserer Studie zu Deutschland im Herbst 2020, eine Zunahme an Diskriminierung nach dem Beginn der Pandemie, zum Beispiel in den USA, abgezeichnet hat.

Wie erklären Sie sich den anti-asiatischen Rassismus in Zeiten der Corona-Pandemie, bzw. den Anstieg des anti-asiatischen Rassismus?

Dr. Kimiko Suda: Der Virus Covid-19, ein an sich biologisches Phänomen wurde in der medialen Berichterstattung im transnationalen sowie im deutschen Kontext 2020 wiederholt China zugeschrieben, er wurde rassifiziert und kulturalisiert. Bei der Erwähnung des Virus wurden wiederholt auch ohne faktischen Bezug asiatische Körper und Gesichter gezeigt, und aufgrund der Wirkmächtigkeit von Bildern im Kontext der Mediatisierung des Alltags in Deutschland entstand dann eine Zuschreibung zu einer konstruierten sozialen Gruppe als „Sündenböcke“, als Verursacher:innen und Verbreiter:innen des Virus.

Welche Rolle spielen dabei soziale Medien?

Dr. Kimiko Suda: Medien spielen, wie bereits erwähnt, eine wichtige Rolle für die Verbreitung von rassistischen Narrativen, und soziale Medien haben dabei eine Vorreiter:innenrolle inne. Meiner persönlichen Einschätzung nach, ist anti-asiatischer Rassismus leider in vielen Kontexten in Deutschland noch salonfähig und wir hinken den wissenschaftlichen und auch alltäglichen Diskursen in Nordamerika und Großbritannien um mehr als zwei Jahrzehnte hinterher. Damit meine ich nicht, dass dort kein Rassismus existiert, aber es gibt dort in urbanen Räumen eine Art Etiquette, wie mit Fragen zur Herkunft und sozialen Identität umzugehen ist. Hier in Deutschland sind wir da noch ganz am Anfang, beziehungsweise das „Blut-und-Boden-Narrativ“ hält sich trotz 25 Prozent Deutsche:r mit Einwanderungsgeschichte(n) sehr hartnäckig, wenn es darum geht, wer „Deutsch“ ist und wer nicht, über wen sich „lustig gemacht werden darf“ etc. Ein:e Schwarze:r oder Asiatisch Deutsche:r Kanzler:in sind für die Bundestagswahl 2021 weiterhin unvorstellbar, die Vision einer diversen Gesellschaft ist leider noch nicht so weit verbreitet.

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump sprach vom „China Virus“ – wie beurteilen Sie den Schritt der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die SARS-CoV-2-Varianten aus verschiedenen Ländern nach dem griechischen Alphabet zu benennen?

Dr. Kimiko Suda: Es ist auf jeden Fall sehr sinnvoll, biologische Phänomene wie Viren auf eine möglichst neutrale Art mit Zahlen- und Buchstabenfolgen zu benennen und in den Medien faktenorientiert zu bebildern. Wenn es beispielsweise in einem Beitrag um die Verbreitung der Delta-Variante in Europa geht, ist es eben überhaupt nicht sinnvoll, Bilder aus Indien zu zeigen.

Wie können Medien und Gesellschaft dafür sensibilisiert werden, um Vorurteile und Ressentiments – und letztlich offenen und versteckten Rassismus vorzubeugen?

Dr. Kimiko Suda: Mitarbeiter:innen der Redaktionen öffentlich-rechtlicher Medien und anderer relevanter Institutionen sollten „von oben“ Weiterbildungen zum Thema Rassismus verordnet bekommen, die von externen professionellen Referent:innen durchgeführt werden. In der Regel setzen sich Menschen nicht freiwillig mit dem Thema Rassismus und gesellschaftlichen Machtverhältnissen auseinander. Es mangelt in Deutschland auch noch an Politiker:innen, die sich ohne Einschränkungen zum Konzept des Einwanderungslandes bekennen, und die Postmigrant:innen nicht normativ defizitär in irgendeiner Weise bewerten.

Ein Beispiel, das ich immer wieder als persönliche Anekdote erzähle: als ich ein Kind war, haben Leute mir „Ching Chang Chong“ auf der Straße nachgeschrien und ihre Augen zu Fratzen gezogen, mehr als 30 Jahre später, passiert es unserem Kind immer noch, das heißt die Leute erzählen ihren Kindern immer noch von einer Deutschlandversion, in der Postmigrant:innen auf eine sozial niedrigere Position verwiesen werden. Durch Wiederholung von Verhaltensweisen über Genrationen hinweg entstehen symbolische Bedeutungen in der gesellschaftlichen Hierarchie, die nur schwer verändert werden können. Die Gegennarrative von einer diversen Gesellschaft, die vor allem von postmigrantischen Selbstorganisationen der Zweiten Generation initiiert wird, ist glücklicherweise stärker geworden, unter anderem auch durch die sozialen Medien, aber diese Narrative müssten noch mehr vom gesellschaftlichen Mainstream aufgegriffen werden.

Welchen Beitrag können Forscher:innen leisten, um (anti-asiatischem)-Rassismus in Deutschland entgegenzuwirken?

Dr. Kimiko Suda: Die nachhaltige Etablierung und Anerkennung eines wissenschaftlichen Verständnisses von Rassismus als systemimmanenten Phänomen, wäre ein Meilenstein. Es bestehen noch sehr viele Leerstellen zur Erforschung von Rassismus in Deutschland allgemein, und auch spezifisch zu anti-asiatischem Rassismus, es wäre also wünschenswert, dass es weitere und längerfristig angelegte Forschungsprojekte zu dem Thema geben wird.

Ein wichtiger Aspekt wäre, mit Grundlagenforschung an den Universitäten mehr Wissen über (post)migrantische Communities mit asiatischen Bezügen und deren vielfältigen Geschichten in Deutschland sowie über deutsche Kolonialgeschichte (in Asien) zu produzieren, das dann im Curriculum von Kitas, Schulen, Universitäten, in Museen und in anderen Bildungsinstitutionen an die allgemeine Gesellschaft vermittelt werden kann. Die Repräsentation dieser Communities als selbstverständlicher Teil der deutschen Geschichte und Gesellschaft ist von grundlegender Bedeutung um Rassismus präventiv entgegen zu wirken.

Und es wäre sinnvoll, kontinuierlich eine Art wissenschaftliches Monitoring von rassistischer Diskriminierung durchzuführen, wie sie bereits in den USA besteht, um beispielsweise die Auswirkungen von gesellschaftlichen Zäsuren wie der Pandemie im Vergleich zum „Normalzustand“ untersuchen zu können, uns fehlten in unserer Studie eben diese Vergleichsdaten, während in den USA dieser Vergleich anhand der dortigen Datenlage wissenschaftlich möglich ist. Vor kurzem wurde in Deutschland der „Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ (NaDiRa) ins Leben gerufen, ich bin sehr gespannt, was er für Daten liefern und mit welchen Theorien und Definitionen gearbeitet wird.

Und wie kann jede:r einzeln:e helfen und unterstützen?

Dr. Kimiko Suda: Es gibt natürlich immer die Notwendigkeit der unmittelbaren Parteilichkeit, unabhängig vom beruflichen Hintergrund: wenn neben Ihnen eine Person mit einer rassistischen Motivation angegriffen wird, im Kontext der Pandemie beispielsweise in der Tram oder U-Bahn mit Anschreien, Anspucken, Schubsen und Schlagen, unterstützen Sie die angegriffene Person direkt, schreiten Sie ein, verbal und physisch, halten Sie den*die Täter:in mit fest, falls notwendig, dokumentieren Sie das Geschehen mit dem Handy, damit es einen Nachweis des Geschehens gibt, machen Sie eine Zeug:innenaussage falls notwendig und überlassen Sie die betroffene Person nicht allein dem Angriff.

Die Fragen stellte Kathrin Kirstein.

Weitere Informationen

Kooperationsprojekt: Soziale Kohäsion in Krisenzeiten (DeZIM-Institut)

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