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„Gedankenexperimente werden Wirklichkeit“

Im Interview spricht Prof. Dr. Jürgen Mlynek, Physik-Professor an der HU und Koordinator der Science Week, über Quantenmechanik und den Wissenschaftsstandort Berlin.
Prof. Dr. Jürgen Mlynek

Prof. Dr. Jürgen Mlynek
Abbildung: Andreas Schöttke/Falling
Walls Foundation GmbH

Im Rahmen der Science Week richtet die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) am 10. November die Next Frontier Debate aus. Bei der Podiumsdiskussion im Tieranatomischen Theater sprechen Prof. Dr. Birgitta Whaley (University of California, Berkeley), Prof. Dr. Oliver Benson (HU) und Prof. Dr. Thomas Elsässer (HU und Max-Born-Institut) über den Stand der Quantenforschung, unterschiedliche Ansätze und Perspektiven auf zukünftige Entwicklungen. Prof. Dr. Jürgen Mlynek ist der Koordinator der Science Week. Im Interview spricht der ehemalige HU-Präsident, der aktuell als Professor am Institut für Physik in Adlershof arbeitet, über Quantenmechanik und den Standort Berlin.

Herr Mlynek, inwieweit ist ein neues und hochtheoretisches Feld wie die Quantenmechanik für unseren Alltag von Bedeutung?

Prof. Dr. Jürgen Mlynek: Das Thema ist nicht neu, die Quantenmechanik gibt es schon lange. An der Humboldt-Universität zu Berlin würdigt seit Jahrzehnten eine Plakette zu Ehren von Max Planck die Entdeckung der Quantentheorie um 1900. Ohne Quantenphänomene gäbe es keine Halbleiter, keinen Computer, keine Laser und auch kein Internet. In den letzten Jahren ist nur die Möglichkeit neu dazu gekommen, einzelne Atome mit einzelnen Lichtteilchen zu kombinieren und Materie und Licht auf der Ein-Teilchen-Ebene zu manipulieren. Viele Phänomene, die im Grundsatz bekannt waren, aber bisher noch keine Anwendung gefunden haben - wie beispielsweise verschränkte Zustände - spielen jetzt in der Quanteninformationsübertragung, Quantenkryptografie und letztendlich im Quantencomputing eine Rolle.

Ist der Begriff der "zweiten Quantenrevolution" für die aktuelle Periode gerechtfertigt?

Es ist wie mit dem Laser: Die Entwicklung begann schon 1917 durch Einstein. Die Entdeckung und der Bau eines Laser sind aber nur durch technologischen Fortschritt möglich geworden. Bei der Quantenphysik und -revolution ist es genauso. Wir sind nun in der Lage, mit neuen Lichtquellen, integrierten Schaltkreisen, Supraleitungen und Ionen-Fallen Experimente durchzuführen, die über Jahrzehnte reine Gedankenexperimente waren. Plötzlich werden diese Gedankenexperimente Wirklichkeit, eine Entwicklung, die sich erst im Laufe der letzten 15 bis 20 Jahre abgezeichnet hat.

Sehen Sie Deutschland dabei als Vorreiter und in einer Verantwortungsposition?

Ein Standort wie Deutschland, der im Bereich Wissenschaft und Forschung ohnehin zur Weltspitze gehört, hat natürlich den Anspruch, bei allen neuen Entwicklungen vorne dabei zu sein. Das ist auch bei der Quantentechnologie der Fall — zumindest was die Grundlagen betrifft. Die Herausforderung wird es sein, diese Erkenntnisse in eine Wertschöpfung umzusetzen, so dass Arbeitsplätze und Produkte entstehen. Zu diesem Zweck wird auch das europäische Flagship-Projekt "Quantentechnologien" aufgesetzt, das im Jahr 2018 starten soll. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Nichtsdestotrotz muss es unser Anspruch sein, Wissenschaft und Industrie möglichst frühzeitig zusammenzubringen, um abzusprechen, in welchem Zeitraum welche Projekte gemeinsam zu Produkten entwickelt werden können.

Wenn man an bestehende Produkte wie den Quantencomputer D-Wave oder den chinesischen Quantensatelliten denkt, sind uns Amerika und Asien nicht uneinholbar voraus?

In den USA und Japan passiert eine ganze Menge. Was D-Wave macht, ist jedoch noch nicht wirklich klar. Es gibt ihn, man kann ihn kaufen und er arbeitet mit supraleitenden Elementen, aber was da genau passiert und inwieweit D-Wave ein Quantencomputer ist, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Es ist aber gut, dass es ein solches Produkt gibt. Wir sind insgesamt an einem Punkt, wo die Entwicklungen der Quantentechnologien in Hinblick auf Quantenkryptografie und Quantenmetrologie, also Messtechnik und Sensorik, bis hin zu Quantencomputing auf einmal abzuheben scheinen. Wichtig für Deutschland und Europa ist es, dass diese Entwicklungen jetzt nicht verschlafen werden, sondern versucht wird, gerade im Zusammenspiel mit Unternehmen, an diesen Technologien teilzuhaben. Das ist weitaus schwieriger für uns in Europa, da es hier keine Unternehmen gibt wie Google, die es sich, gerade im Hinblick auf mögliche zukünftige Geschäftsfelder, leisten können, Neues auszuprobieren. Für Firmen in Deutschland, wie Bosch oder Siemens, ist dies weitaus schwieriger. Ich denke, wir müssen uns in Europa Gedanken machen, wie wir gemeinsam, von Startups über mittelständische Unternehmen bis hin zu den großen Unternehmen - die sich bei neuen Entwicklungen eher als Nehmer und nicht als Macher sehen - den Übergang von Grundlagenforschung zu neuen Produkten und Technologien schaffen.

Kann sich Berlin und damit der Standort Deutschland in der Quantentechnologie international messen?

Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten ein sichtbarer Wissenschaftsstandort geworden: Die Arbeitsbedingungen hier in Deutschland waren für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt noch nie so attraktiv wie heute. Nicht nur junge Menschen, sondern auch viele gestandene Forscherinnen und Forscher haben Interesse, hier zu arbeiten. Und zwar nicht nur für einen kurzen Forschungsaufenthalt, sondern auch darüber hinaus. Das liegt am ständigen Zuwachs an Mitteln, der über die letzten zehn bis fünfzehn Jahre stattgefunden hat. Die Verbindung von Kontinuität und Planbarkeit macht Deutschland attraktiv. Des Weiteren können in Deutschland Forscherinnen und Forscher ganz anders und längerfristiger agieren als zum Beispiel in den USA, wo sie manchmal am Jahresende nicht wissen, wie ihr Budget zum nächsten Jahresbeginn aussehen wird. Hier in Deutschland gibt es hervorragende Labors, die international wettbewerbsfähig ausgestattet sind und hervorragend ausgebildete Leute. Kurzum: Wir haben alles was man braucht, um das zu erreichen, worin uns die US-Amerikaner noch voraus sind: Aus der Grundlagenforschung noch mehr Wertschöpfung zu erzielen und den Wissenstransfer zu verbessern. Was Berlin angeht, sind die Voraussetzungen nicht nur gut, um sich international zu positionieren, sondern vor allem um sich in einem europäischen Kontext zu etablieren. Allerdings müssten sich dazu die Berliner Einrichtungen zusammentun. Nicht nur die Universitäten, sondern auch die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.  

Bedeutet das, dass der Ruf Berlins als eine entscheidende Startup-City in Europa für die grundlagenorientierte Quantenmechanik irrelevant ist?

Es ist zwar bemerkenswert, was im Bereich Startup passiert, aber es findet für meinen Geschmack zu viel E-Commerce statt. Ich würde gern noch mehr technologiebasierte Neugründungen sehen. Dort werden wir hinkommen, aber werden dafür noch stärker werben müssen. Die Kreativen gibt es, aber ihnen müssen wir ans Herz legen, unternehmerisch zu agieren und sich selbständig zu machen. Wir müssen jungen Forschern aufzeigen, dass dies eine Option für die eigene persönliche Zukunft sein kann. Wenn wir das schaffen, sind wir einen guten Schritt weiter. Ich sehe nicht, dass große Unternehmen mit erheblichen Mitteln Quantentechnologien vorantreiben werden. Die neuen Technologien werden in erster Linie durch Neugründungen entwickelt werden.

Das Interview führte Peter Gotzner

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