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Digitale Lehre: „Studierende brauchen mehr Raum für soziale Kommunikation“

Wolfgang Deicke, Co-Leiter der Task Force Digitale Lehre, blickt auf zwei „sehr bereichernde und gleichzeitig harte Semester“ zurück. Im Interview erklärt er, warum die zwei Semester digitale Lehre technisch gut funktioniert haben, und was Studierende noch brauchen, um sich besser in der Lehre zu strukturieren und motivieren.

Herr Deicke, wir haben mit 198 Nominierungen für 106 Veranstaltungen beziehungsweise Lehrende (Stand 1. März) einen Rekord bei den Vorschlägen für den Preis für gute Lehre 2020. Wie erklären Sie sich die große Teilnahme?

Wolfgang Deicke: Diese ungewöhnliche Situation hat mit Corona zu tun. In keinem Semester in den vergangenen zehn Jahren, seit ich an der HU bin, war die Aufmerksamkeit für die Lehre so groß wie jetzt. Zudem ist der Preis mit dem Thema „Digitale Lehre“, anders als in den vorherigen Jahren, breit aufgesetzt. Da alle Lehrenden ihre Lehre in den vergangenen Semestern digital angeboten haben, können auch alle nominiert werden. Was wir aus den Begründungen schon herauslesen können: Meistens geht es um Wertschätzung und ein Dankeschön an die Lehrenden, die Studierende gut unterstützt haben.

Die Pandemie hat der HU in der Lehre eine enorme Veränderung abverlangt, die erfolgreich verlaufen ist, es hätte ja auch schief gehen können. Was war und ist unser Erfolgsrezept?

Wolfgang Deicke: Im Kern liegt das daran, dass uns die Werkzeuge, die wir eingesetzt haben, sehr vertraut waren. Die Humboldt-Universität versteht sich zwar als Präsenz-Universität, und die Mehrheit der Lehrenden und Studierenden wünschen sich die Präsenzlehre zurück. Das verstellt aber oft den Blick darauf, dass gute Lehre an der HU schon seit Jahren kaum mehr ohne digitale Komponenten funktioniert. Technische Tools wie Moodle waren den Lehrenden schon vertraut, wir mussten nur lernen, sie intensiver und breiter zu nutzen. Mit Zoom haben wir ein neues Instrument für Videokonferenzen eingeführt, dass leicht zu handhaben ist. Der Umgang mit der Technik hat insgesamt gut geklappt.

Was war denn die größte Herausforderung?

Wolfgang Deicke: Was nicht so gut funktioniert hat, ist die soziale Kommunikation, das zeigen die Ergebnisse von drei Umfragen, die HU-intern und extern durchgeführt wurden. Hier gab es einen Bruch zur Präsenzlehre: In Präsenz müssen die Lehrenden vor allem ihre Inhalte organisieren, das heißt, sie machen sich Gedanken darüber, was sie im Hörsaal oder Seminarraum mit den Studierenden machen wollen. Bei allem, das was außerhalb passiert, organisieren sich die Studierenden selbst. Alles was offen bleibt, klären sie untereinander in Gesprächen vor und nach den Lehrveranstaltungen oder auch im Austausch mit den Lehrenden. Drückt man am Ende einer Zoom-Sitzung auf den Knopf „Meeting verlassen“, fliegen alle raus und der Raum für die soziale Kommunikation verschwindet.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Wolfgang Deicke: Eigentlich sind die meisten digitalen Tools für Kommunikation gemacht, wir – also die Lehrenden und die Studierenden – müssen aber erst dafür sensibilisiert werden, dass Raum dafür geschaffen und diese Prozesse angestoßen werden müssen. In der asynchronen Lehre ist vielleicht auch manches in guter Absicht schiefgelaufen.

An welcher Stelle brauchen die Studierenden Unterstützung?

Wolfgang Deicke: Wir wissen inzwischen, dass die Studierenden mehr Unterstützung in der Strukturierung der Materialien brauchen, also Ratschläge zur Priorisierung von Texten, einleitende Fragen und so weiter. Im Prinzip ist der „flipped classroom“ ein gutes Konzept, wenn alle mitspielen: Materialien werden vorab von den Studierenden gelesen und der synchrone „live“-Anteil der Veranstaltung dient dazu, Themen zu diskutieren, Nachfragen zu stellen. So ein Modell ist aber für die Lehrenden herausfordernder, da sie im Vorfeld mehr vorbereiten müssen – einleitende Videos, Fragen zu den Texten, Anleitungen für den Austausch…

Die unterstützt die Task Force Digitale Lehre an dieser Stelle Lehrende?

Wolfgang Deicke: Die Task Force unterstützt Lehrende beispielsweise mit didaktischen Beratungsangeboten. Im Sommersemester waren es die „Digitalen Frühstückshäppchen“, im Wintersemester das „Café Digitale Lehre“, wo sich Lehrende zu bestimmten Themen austauschen und beraten konnten. Daraus ist auch ein Moodle-Kurs entstanden, der in acht Modulen konkrete Unterstützung zur didaktischen Planung und Gestaltung von Online-Lehrveranstaltungen bietet und auch häppchenweise konsumiert werden kann.

Wie kann man Studierende noch mehr unterstützen in sozialer Kommunikation?

Wolfgang Deicke: Wir möchten Studierende noch besser in Selbstorganisation, -motivation und Kommunikation schulen, zum Beispiel durch studentische Tutorien. Die vom Computer- und Medienservice aufgesetzte digitale Lehr- und Lernlandschaft HDL3 bietet den Studierenden neue technische Möglichkeiten zum Austausch, wie zum Beispiel das Messenger/Chat-Tool Matrix Elements, das größere Datensicherheit bietet als WhatsApp und jetzt allen Angehörigen der HU zur Verfügung steht. Die Herausforderung für alle wird hier sein, die sehr zerfaserten Kommunikationskanäle zu bündeln – auf fünf bis sechs verschiedenen Kanälen individuelle Anfragen zu beantworten, ist auf die Dauer nicht leistbar.

Die Task Force Digitale Lehre hat seit dem Frühjahr 2020 vieles gestemmt, digitale Beratungsangebote, Handreichungen geschrieben, Videokurse produziert…, wie geht es Ihnen und ihren Kolleg:innen?

Wolfgang Deicke: Für mich waren es zwei – vor allem technisch – sehr bereichernde und gleichzeitig harte Semester. Wir haben quasi in der Tagschicht das bologna.lab am Laufen gehalten, das wir auch auf die digitale Lehre umstellen mussten. Danach folgte in der „zweiten Schicht“ die Arbeit für die Task Force Digitale Lehre. Im Dezember 2020 waren wir noch zu neunt – alle mit befristeten Teilzeitverträgen –, aber da die Förderung für das bologna.lab durch den Qualitätspakt Lehre Ende vergangenen Jahres ausgelaufen ist, ist das Team halbiert. Dazu kommt, dass die Kolleginnen im Team neben der doppelten Arbeitsbelastung fast alle auch Kinder betreuen mussten. Ein bisschen konnten wir das Team glücklicherweise über Landesmittel aus dem Programm Virtual Campus Berlin aufstocken.

Wie schafft das Team das?

Wolfgang Deicke: Uns hat geholfen, dass wir uns unsere Arbeit frei über den Tag einteilen können – unsere Kolleg:innen vom Computer- Medienservice, die an der Task Force mitwirken, haben es da ungleich viel schwerer, sie müssen bei technischen Problemen sofort reagieren.

Was glauben Sie, was aus der digitalen Lehre nehmen wir mit in die Präsenzlehre?

Wolfgang Deicke: Ich kann mir vorstellen, dass es kürzere Beratungen, Besprechungen und Sprechstunden für Studierende auch weiterhin per Videokonferenz geben wird. Der Computer- Medienservice hat in Adlershof zwei Hörsäle mit Medientechnik ausgestattet, um Vorlesungen mit professioneller Technik aufzuzeichnen. Ein Video kann für asynchrone oder für hybride Lehrveranstaltungen genutzt werden. Das kann helfen, das Raumproblem an der HU zu mildern und Studierenden mit Care-Verpflichtungen oder im Teilzeitstudium die Studienorganisation zu erleichtern. Eine Vision ist, dass wir noch mehr gemeinsame Lehrveranstaltungen mit unseren Partneruniversitäten machen, das funktioniert digital mit viel weniger Aufwand.

Interview: Ljiljana Nikolic

 

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