Ein Glücksfall für Studierende
Xavier Bihan erinnert ein bisschen an Pan Tau, an jenen freundlich lächelnden, eleganten und gutmütigen Herrn aus der tschechischen Kinderserie der 70er Jahre. Das liegt nicht nur daran, dass er gerne eine Melone auf seinem hochgesteckten Zopf trägt. Aus seinem Hut zaubert er regelmäßig neue Formate für die Lehre und das schon seit über 25 Jahren.
Virtual-Reality-Filme
Der gebürtige Franzose, der am Institut für Romanistik lehrt, ist ein Glücksfall für Studierende, engagierte Studierende. Als Lehrkraft für besondere Aufgaben mit den Schwerpunkten auf Konferenzdolmetschen/Übersetzen und Lehramt verbindet er Praxisprojekte mit moderner Technik und bietet Seminare außerhalb der Reihe. Eines seiner neuesten Vorhaben hat wie so häufig mit Filmübersetzung zu tun –diesmal dreht es sich allerdings um Virtual-Reality-Filme. „Es geht dabei nicht nur um sprachliche und kulturelle Feinheiten. Anders als in konventionellen Filmen richtet sich der Blick in VR-Produktionen nicht nur auf ein Fenster, sondern ist in seiner Bewegung frei wie in der Realität. Dadurch eröffnen sich neue Herausforderungen in der Filmuntertitelung, aber auch in der Pädagogik, die es zu bewältigen gilt“, erklärt der Lehrende, der seiner Zeit technisch immer einen Schritt voraus ist.
Pionier im E-Learning
Das war auch schon in den 90er Jahren so. Damals bot er beispielsweise mit den E-Learning-Projekten Francopolis, Germanopolis, Anglopolis etc. Plattformen an, auf denen Lehrende Unterrichtsmaterial wie Texte, Bilder, Audios oder Videos Sprachstudierenden online zur Verfügung stellen konnten. Praktisch ein Vorgängermodell von Moodle, das heute universitätsweit eine vergleichbare Unterstützung bietet und seit 2007 eingesetzt wird. In den 90er Jahren fing Bihan auch an, die ersten fortlaufenden Lehrveranstaltungen an einer deutschen Universität zum Thema „Comic-Übersetzung“ und „Filmübersetzung/-untertitelung“ für Studierende anzubieten.
Comics sind eine von vielen Leidenschaften des Bretonen, der kurz vor dem Mauerfall nach Berlin gekommen ist, nach zwei absolvierten Studiengängen: Angewandte Fremdsprachen in Grenoble und Germanistik in Lyon. In Berlin hat er zunächst unterrichtet, übersetzt, gedolmetscht, unter anderem auch für den General der französischen Streitkräfte in Reinickendorf. Hier erlebte er die Vorwendezeit hautnah mit. „Das war ganz schön aufregend, alle hatten auch ein bisschen Angst, dass die Demonstrationen in der DDR blutig enden könnten.“
Preis für gute Lehre
Dann kam der Zusammenbruch der DDR, die politische Wende. Bihan bewarb sich an der HU und zog in den Ostteil der Stadt, nach Pankow, wo er heute noch lebt. Seine eigenen Forschungsambitionen sind dabei zum Teil der Lehre zum Opfer gefallen. Sein Engagement hat ihm schon vier Mal den Preis für gute Lehre der Philosophischen Fakultät II eingebracht, außerdem eine Reihe von Sprach- und Innovationssiegeln der Europäischen Kommission. Die Aufträge zum Übersetzen und Dolmetschen, die heute auf seinen Tisch kommen, bearbeitet er zusammen mit seinen Studierenden – häufig außerhalb des Lehrplans. „Wir haben beispielsweise erstmalig im Sommersemester 2016 Filme für das Kinderfestival Kuki untertitelt“, gibt er ein aktuelles Beispiel. Seit Jahren sind die Studierenden bei den Französischen Filmtagen in Hamburg regelmäßig zu Gast. „Für die Teilnehmer ist das eine spannende Erfahrung, nicht nur wegen der Übersetzungsarbeit aus moderner französischer Sprache, sie bekommen nach meinen Korrekturen auch ein Feedback des Auftraggebers und entwickeln ein Gefühl dafür, worauf es ankommt.“
Die Berlinguisten
Mittlerweile treten die studentischen Übersetzer und ihr Mentor unter einem griffigen Namen auf: Die Berlinguisten. Diese Arbeits- und Forschungsgruppe befasst sich mit angewandter Sprachwissenschaft und anderen Gebieten wie Translationswissenschaft und Didaktik. In diesem Frühjahr wird das erste Literaturprojekt veröffentlicht. Die Berlinguisten haben das Buch „Aller et Retour“ der senegalesischen Autorin Ken Bugul in Zusammenarbeit mit dem Verein Africavenir übersetzt. Bihan hat keine Mühen gescheut, das Projekt zu realisieren. „Ich habe im vergangenen Sommer mit dem Laptop am Strand gesessen und alle Texte redigiert“, sagt er mit einem Lächeln, als wäre es das Normalste auf der Welt, Tag und Nacht für die Lehre da zu sein.
Das Angebot versteht sich als ein Zukunftskonzept der Uni-Lehre im digitalen Zeitalter. „Es gibt weder Zensuren noch Prüfungen, die Studierenden werden von den Auftraggebern korrigiert. Dieser wichtige Input von Profis aus dem Privatsektor gibt ihnen eine außergewöhnliche Erfahrung und Kompetenzen, die sie von an-deren Studierenden unterscheiden.“ Um ihnen den Berufseinstieg zu erleichtern, werden sie samt ihren Projekten auf der Website präsentiert.
Derweil entsteht schon das nächste Projekt des Pioniers der Lehre: Edupolis. Es richtet sich an Studierende des Masters of Education und wird eine frei zugängliche Plattform für Podcasts, Onlinekonferenzen oder selbst konzipiertes Unterrichtsmaterial für zukünftige Sprachlehrer sein. Die Melone zaubert und zaubert.
Autorin:Ljiljana Nikolic
Weitere Informationen
Programm Humboldt-Tag der Lehre