Einigkeit und Recht auf Freizeit
Solo-Selbstständige, Start-Up Gründer und Menschen, die in mehreren Beschäftigungsformen gleichzeitig tätig sind: Die Arbeitswelt ändert sich – und mit ihr die Arbeitsformen. Beobachten kann man das etwa in Berlin-Mitte und Nordneukölln, die sich in den vergangenen Jahren zunehmend zu Habitaten von Coworking Spaces und Projekträumen entwickeln. Die Bandbreite reicht dabei von idealistisch fundierten non-Profit Konzepten bis hin zur kommerziellen Vermietung einzelner Schreibtischarbeitsplätze. Für welche Art von Arbeit und Arbeitnehmer sich diese neuen Organisationsformen eignen und was Nutzer an ihnen schätzen, hat die Wirtschaftsgeographin Prof. Dr. Suntje Schmidt, die neben ihrer Tätigkeit an der Humboldt Universität auch stellvertretende Leiterin der Abteilung „Dynamiken von Wirtschaftsräumen“ am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) ist, mit ihren Kolleginnen und Kollegen untersucht.
Entfaltung entlang von Projekten
„Obgleich die Normalbeschäftigung noch immer dominiert, gewinnen alternative Formen des Arbeitens zunehmend an Gewicht,“ sagt die Wissenschaftlerin. Die Entstehung neuer Raumkonzepte wie Coworking Spaces begreift die Geographin als Reaktion auf eine grundlegende Umgestaltung der Arbeitswelt durch die Diversifizierung von Arbeitstypen ebenso wie als Folge der hohen Nachfrage etablierter Unternehmen nach externen Experten. „Es gibt grundsätzlich immer mehr Menschen, deren Karrieren sich entlang von Projekten entfalten,“ sagt die Forscherin. Wo sich Gruppen von Zusammenarbeitenden in kurzen Zeitabständen neu formierten und die Anzahl der Einzelselbstständigen steige, steige dementsprechend auch die Nachfrage nach Orten, die sich für solche Formen flexiblen Arbeitens eignen.
Vor 15 Jahren ging es los
Die rasche Zunahme an neuen Raumkonzepten sei ein Phänomen der vergangenen fünfzehn Jahre, erläutert die Wissenschaftlerin. „Etwa 2004 ging es mit den Coworking Spaces los, die Entwicklung folgte der Bankenkrise und der schwachen Konjunktur.“ In mehreren Untersuchungen, die sich hauptsächlich auf deutsche Ballungsräume, aber auch Metropolregionen wie Amsterdam und Detroit konzentrierten, zeichneten Schmidt und ihre Kolleginnen und Kollegen diese Entwicklung nach und führten Interviews mit Nutzern. „Als Überbegriff für das, was wir dort vorgefunden haben, haben wir den Ausdruck Open Creative Labs geprägt. Wir meinen damit alle neuartigen Formen gemeinsamen, flexiblen Arbeitens und kreativen Schaffens – von offenen Werkstätten, Fab Labs, Makerspaces, Coworking Spaces bis hin zu Startup-Inkubatoren und Akzeleratoren.“
Experimentieren oder Geldverdienen
In der Analyse hätten sich zwei Nutzungsschwerpunkte in Hinblick auf diese neuartigen Formen des kollaborativen Arbeitens herauskristallisiert, berichtet die Wissenschaftlerin. „Die eine Form hat eher Experimentiercharakter und Erwerbstätigkeit steht dabei nicht im Vordergrund.“ Gemeint sind etwa Angebote von Interessengruppen, die gemeinsam basteln oder sich für bestimmte Themen, wie beispielsweise Drohnen und 3D-Druck-Techniken interessieren. Ein möglicher Grund ist in den steigenden Mietpreisen für Gewerberäume in Ballungsgebieten zu suchen. „Die andere Gruppe von Creative Open Labs – und das ist die, die an Bedeutung gewinnt – ist einkommensorientiert. Das nimmt dann die Form von Coworking Spaces, Startup-Inkubatoren und Akzeleratoren an.“ Letztere sind häufig wettbewerbsorientiert und an größere Firmen angedockt. Diese hoffen, über solche Konzepte Innovationen voranzubringen. Diese Gruppe von Labs sei sehr dynamisch, berichtet Schmidt – so wichen beispielsweise in Berlin kleinere Labs zunehmend stärker profitorientierten, internationalen Anbietern.
Menschen in Umbruchphasen
Ein wichtiger Beweggrund für Nutzer, sich in einem Open Creative Lab einzumieten, ist die Schaffung eines stabilen Arbeitsumfeldes auf Zeit. Im Grunde würden hier die Arbeitsbedingungen von Festangestellten nachgeahmt, sagt Suntje Schmidt. „So ein Arbeitsplatz hilft dabei, zu bestimmten Zeiten mit der Arbeit zu beginnen und wieder aufzuhören, Pausenzeiten einzuhalten und somit eine Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zu schaffen.“ Für die meisten Freischaffenden spiele zudem die soziale Komponente bei der Entscheidung für eine solche Arbeitsweise eine gewichtige Rolle. „Sie wünschen sich ein soziales Umfeld, wollen nicht nur Einzelkämpfer im eigenen Wohnzimmer sein.“ Neben zwischenmenschlichem Kontakt und der Etablierung einer Struktur ist es der professionelle Austausch, der Nutzer für diese Organisationsform einnimmt. „Wie machst Du das mit der Steuer? Wie bereitet man einen Pitch vor? Wie stellt man einen Business Plan auf? Darüber tauschen sich Nutzer aus und das geht bis zu intensivem Mentoring.“ Ihre Untersuchungen hätten ergeben, dass es sich bei Nutzern von Open Creative Labs unter anderem um Menschen in Umbruchsphasen handele, berichtet die Forscherin. „Da sind viele, die sich beruflich neu orientieren oder sich eine Pause für individuelle Projekte nehmen. Sie versuchen für sich die Frage zu beantworten, welche Art von Arbeit sie persönlich erfüllt.“ Für die meisten seien Open Creative Labs also nicht alltägliche Arbeitsorte, sondern eher eine Ergänzung zu anderen Orten – Cafés, Werkstätten, das eigene Wohnzimmer – an denen Nutzer flexibel arbeiten oder kreative Projekte umsetzen können.
Männlich, jung, weiß
Insgesamt begreife sie Open Creative Labs als „erweiterte Gelegenheitsräume“, sagt die Forscherin: Sie böten die Möglichkeit, basierend auf dem Berufsbild mit anderen in Kontakt zu treten und dabei neue Formen von Gemeinschaft zu schaffen. Dass man sich gegenseitig unter die Arme greife, sei Teil der Wertestruktur. „In der Regel gibt es dabei auch keine speziellen Zugangsbarrieren, allerdings ist das Maß an sozialer Kuratierung recht hoch: Viele dieser Orte sind auf eine spezifische Weise gestaltet und Nutzer merken schnell, ob sie als Person zum Angebot passen.“ In der Tendenz neigten die Creative Open Labs so zu soziokultureller Homogenität – oft ist der Durchschnittsnutzer männlich, jung, weiß und gut qualifiziert. „Ein Nutzer fasste das mit den Worten zusammen: Jeder ist willkommen, der in die gleiche Richtung schaut wie wir.“
Kein Allheilmittel
Politik und Wirtschaft setzten viel Hoffnung in diese neuen Organisationsformen, sagt die Forscherin. Man dürfe aber nicht aus dem Blick verlieren, dass es sich um unsichere Prozesse handele und finanzielle Förderung nicht immer und zwangsläufig auch zu Innovation führe. Open Creative Labs seien insofern nicht als Allheilmittel, sondern als komplementäre Einrichtungen in einem System unterschiedlicher Fördermöglichkeiten für Unternehmertum und Innovation zu begreifen. Ihre zunehmende Verbreitung sei ein Zeichen für eine grundlegende Transformation der Arbeitswelt, deute darauf hin, dass sich der Anspruch an Arbeit grundsätzlich verändere. „Arbeitnehmer wünschen sich andere Formen der Zusammenarbeit, wollen eigene Visionen umsetzen. Sich die Innovationspotenziale dieser neuen Arbeitsweisen anzusehen, ist wichtig. Man muss aber auch fragen: Was bedeutet diese starke räumliche und auch zeitliche Fragmentierung von Arbeits- und Innovationsprozessen für unsere sozialen Sicherungssysteme?“ Innovationspolitik müsse auch vor diesem Hintergrund in Zukunft neu gedacht werden.
Autorin: Nora Lessing