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Die römische Antike in Tegel

Wilhelm von Humboldt ließ sich sein Schloss nach italienischem Vorbild ausbauen

Schloss Tegel
Schloss Tegel, Stahlstich (um 1835) 
Abbildung: bpk / Dietmar Katz

Als Wilhelm von Humboldt am 8. April 1835 starb, hinterließ der Bildungsreformer, Diplomat, Sprachforscher und Gelehrte nicht nur unzählige Schriften, sondern auch ein Schloss. Damals noch außerhalb Berlins gelegen, heute im äußersten Nordwesten der Stadt, dient es dem gleichen Zweck wie vor 200 Jahren – die Nachfahren der von Humboldts, die Familie von Heinz, leben auf dem Anwesen, zu dem auch ein Wirtschaftsgebäude, ein Gärtnerhaus, ein Park und die Familiengrabstätte gehören.

In den Sommermonaten ist eine Besichtigung von Teilen des Schlosses in einer Führung möglich. Was gibt es dabei zu erfahren? Ursprünglich 1558 als Herrenhaus im Renaissance-Stil errichtet, befindet sich das Gebäude seit 1766 im Besitz der Familie von Humboldt. Als Wilhelms Mutter Marie-Elisabeth von Humboldt 1797 starb, übernahm er es, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt mit seiner Frau Caroline und den Kindern in Jena lebte. Erst 1819, als er aus dem preußischen Staatsdienst entlassen wurde, wurde Tegel sein Lebensmittelpunkt – zum zweiten Mal, nachdem er bereits seine Kindheit und Jugend hier verbracht hatte. Auch jetzt bewohnte man das Schloss allerdings nur im Sommer.

Italien in Tegel

Im Alter von 53 Jahren hatte Wilhelm von Humboldt Großes vor mit dem Bau, tatsächlich ließ sich der Liebhaber der römischen Antike ein Italien in Tegel errichten. Er beauftragte Karl Friedrich Schinkel, der das Gebäude zwischen 1820 und 1824 klassizistisch umgestaltete – es erhielt die heute bekannte Form, und das auf wegweisende Weise: Das dreistöckige Haus mit Satteldach, Runderker und einem quadratischen Turm an der Südostseite wird durch einen parkseitigen Teil samt Gartendach und drei Türmen erweitert. Alt- und Neubau fügen sich harmonisch zusammen, sie stehen Rücken an Rücken.

Das weiße Schloss betritt man durch das Atrium, in dem alles wie 1824 aussieht, als es mit einem Festakt in Anwesenheit so schillernder Gäste wie des Kronprinzenpaares eröffnet wurde. Es sollte von Beginn an für jedermann als eine öffentliche Privatsammlung zugänglich sein. Die ehemalige Außenmauer ist an drei Stellen durchbrochen, der Boden kachelartig rot bemalt. Es gibt zwei dorische Säulen, ein Brunnenbecken auf einem Sockel, an den Wänden zeitgenössische klassizistische Kunst und Gipsabgüsse antiker Werke. Alles strahlt weiß, auch im angrenzenden Gartensalon. Dessen große, ebenerdige Fenster verbinden Haus und Natur.

Nebenan ist die Bibliothek. Darin befinden sich Humboldts Schreibtisch, ein Sofa mit Sesseln, ein Rundtisch mit Stühlen, Bücherregale und -schränke, Stiche von Originalplatten sowie Skulpturen auf drehbaren Sockeln, so dass man Licht und Schatten studieren kann. Es dominiert das Weibliche, auch durch einen Abguss der erst 1820 entdeckten Venus von Milo. Es muss ein Ereignis gewesen sein, diese hier wenige Jahre später sehen zu können.

Symmetrisches Anwesen

Was dem Besucher spätestens hier und überall auf dem idyllischen Anwesen auffällt, ist das Symmetrische, sind die zahllosen Blickachsen. Sie tragen mit bei zu der konzentrierten Atmosphäre, ohne die Humboldt seine Aufgaben – in seinen letzten 15 Lebensjahren hat er vor allem sprachwissenschaftlich und -philosophisch gearbeitet – sicher nicht hätte bewältigen können. Die innere Diszipliniertheit spiegelt sich in der äußeren Akkuratesse wider.

Im ersten Stock gibt es den Blauen Salon zu sehen. Ein Durchgangszimmer, das mit seinen Jugendbildern der Humboldt-Brüder, den Profilmedaillons, Gipsrepliken, Büchern, Skulpturen und Kopien von Familienportraits – hier hängt unter anderem das um 1800 datierte „Adelheid und Gabriele von Humboldt“ von Christian Gottlieb Schick – recht museal wirkt. Außerdem befindet sich hier, im alten Turm, Carolines privates Kabinett, ein grünes Zimmer mit halbrunden Sofas und einem Sekretär. Gegenüber im neu erbauten Turm liegt das Barockkabinett. In diesem Rückzugsraum steht eine originale Statue der Spes aus Italien. Der letzte zu besichtigende Raum ist der über der Bibliothek gelegene Antikensaal. Unter einer fünfeinhalb Meter hohen Decke sind Statuen der Götter Hermes und Mars sowie der überlebensgroße, ikonische Kopf der Juno versammelt.

Bemerkenswert ist die Geschichte der Werke an sich. Die Sammlung Humboldts, der sich etwa auf dem Wiener Kongress gegen Beutekunst aussprach, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der Roten Armee abtransportiert. Erst 1958 gelangte sie zurück, vorerst nach Ostberlin. Trotz Hindernissen wie diesem haben Humboldts Nachfahren das Anwesen in seinem und Schinkels Geist weitergepflegt. Zunächst erbte Tochter Gabriele Schloss Tegel, das seit dem Ersten Weltkrieg auch winters bewohnt wird.

Richtung Tegeler See erstreckt sich der naturbelassene Park, der ganzjährig besucht werden kann. Angelegt wurde er zwischen 1777 und 1789 von Christian Kunth, dem Hauslehrer der Brüder und Verwalter. Südlich begrenzt wird er von der imposanten Lindenallee, vor dem Hang im Norden steht die mit einem Brusthöhenumfang von 7,80 Metern wuchtige Humboldteiche. Kurz bevor der Park zu Wald wird und direkt gegenüber des Schlosses befindet sich die Familiengrabstätte, wo bis heute alle Nachfahren beerdigt werden. Im Zentrum der von Schinkel gestalteten Anlage steht eine Granitsäule, darauf noch einmal die Spes – der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen hat eine ein Fünftel kleinere, marmorne Kopie angefertigt, das hatte sich Caroline von Humboldt zu Lebzeiten gewünscht. Sie war 1829 die erste, die unter ihr beigesetzt wurde, sechs Jahre später folgte Wilhelm.

Autor: Michael Thiele

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