„Das scheinbar Objektive in den Wissenschaften, ist doch sehr vergeschlechtlicht“
Foto: Sabine Klopfleisch, D17 Berlin
Die Gender-Studies-Studiengänge feiern in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum. Das Magisterhaupt- und -nebenfach startete 1997 an der Humboldt-Universität mit rund 500 Bewerbern und Bewerberinnen als erster Studiengang dieser Art in Deutschland. Das als Experiment gestartete Studienangebot war trotz anfänglicher Bedenken von verschiedenen Seiten in Deutschland längst überfällig.
„Wir hatten im ersten Semester keine Zulassungsbeschränkung und nicht erwartet, dass sich gleich so viele Studierende einschreiben werden“, erinnert sich Dr. Gabriele Jähnert, Geschäftsführerin am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien, wo der Studiengang koordiniert und organisiert wird. Er ist aber nicht plötzlich entstanden. Ein interdisziplinäres Zentrum hatte sich bereits zu diesem Zeitpunkt an der HU etabliert und gleichzeitig konnten Lehrveranstaltungen mit Gender-Schwerpunkt von Studierenden in vielen Fachrichtungen belegt werden. „Das war eine ganz lange Entwicklung.
Transdisziplinäre Ausrichtung
Für Deutschland war es aber eine wichtige Frage und Chance, den ersten Gender-Studiengang einzurichten“, erklärt Studienberaterin Ilona Pache. Eine Befürchtung anfangs war die „Ghettoisierung“ der Gender Studies durch einen eigenen Studiengang. „Wir wollten keine Genderinsel. Genderfragen sollen aus den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen betrachtet und dort auch integriert sein“, sagt Pache. Trotz des langjährigen Bestehens fragen sich noch heute viele, was sind überhaupt Gender Studies? Dass diese Frage immer wieder gestellt wird, liegt auch an der transdisziplinären Ausrichtung. „Die Vielfalt der Disziplinen ist der Grund, dass es auf diese Frage vielfältige Antworten gibt. Aktuell sind an der HU Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus 17 Fächern beteiligt.“
Grundsätzlich vermitteln Gender Studies grundlegende Kenntnisse, Methoden und Arbeitstechniken zur Analyse von Geschlechterverhältnissen, Diskriminierungen und Privilegierungen in sozialen, kulturellen, historischen und politischen Kontexten. So werden an der HU beispielsweise feministische Theorien, kritische Weißseinsforschung, Queer Studies, der Zusammenhang von Gender mit anderen gesellschaftlichen Kategorisierungen wie Ethnizität, soziale Positionierung oder Sexualität erforscht.
Wie kann auf Kritik aus Gesellschaft und Wissenschaft reagiert werden?
Trotz der Erfolge und des erwiesenen gesellschaftlichen Bedarfs an Absolventinnen und Absolventen, scheinen die Gender Studies aber immer noch ein prekäres Feld in der Wissenschaft zu besetzen. Sie seien ideologisch begründet, verschwendeten Steuergelder und arbeiteten nicht wissenschaftlich, lauten einige der wiederkehrenden Vorwürfe in der Öffentlichkeit. Neben diesen Vorurteilen lässt sich auch immer noch eine generelle Skepsis oder zumindest ein Unbehagen gegenüber den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Gender Studies ausmachen. Wie kann auf diese Kritik und Skepsis aus Gesellschaft und Wissenschaft reagiert werden?
„Geschichtlich betrachtet ist sehr gut zu sehen, dass einige Themen der Gender Studies auch aus den politischen Bewegungen heraus entstanden sind. Geschlechterspezifische Diskriminierung und sexuelle Gewalt sind beispielsweise politische Fragen, die auch einer wissenschaftlichen Bearbeitung bedurften“, erläutert Jähnert. Aus dieser historischen Verflechtung heraus wird den Gender Studies oft vorgeworfen, eine Wissenschaft zu sein, die sich nicht vom politischen Engagement unterscheidet. „Natürlich engagieren sich einige auch wissenschaftspolitisch, beispielsweise in der Fachgesellschaft Gender Studies oder in den Sektionen zu Geschlechterforschung anderer Fachgesellschaften, andere betreiben Grundlagenforschung oder Theorieentwicklung und wieder andere arbeiten anwendungsorientiert“, ergänzt die Koordinatorin.
Beim gegenwärtigen Anti-Genderismus-Diskurs sei es wichtig, zu erkennen, was überhaupt in der Kritik stehe. Denn häufig sei diese nicht wissenschaftlich begründet, sondern argumentiere normativ, emotional oder alltagsweltlich. „Es gibt eine ganze Reihe von Kollegen aus den Naturwissenschaften, die beide Perspektiven kennen und versuchen hier auch Diskussionen anzustoßen“, so Jähnert: „Für die Biologie und andere Fächer gehört die Reflexion über das Fach beispielsweise nicht unmittelbar zum Kern ihrer Wissenschaft. Aus Genderperspektive ist zum Beispiel die Geschichte und die Philosophie der Biologie sehr wichtig, wenn über Fakten gesprochen wird.“
„Idee von Fakten ist auch ideologisch geleitet“
Fakten müssen demnach auch kontextualisiert betrachtet werden. „Die gängige Gegenüberstellung von Ideologie und Fakten ist sehr interessant. Denn die Idee von Fakten ist auch ideologisch geleitet. Ein Beispiel: So wurde die Nichtzulassung von Frauen zum Studium auch mit dem Umfang des Gehirns oder mit dem Skelett der Frauen begründet. Der Körperbau galt also als ausschlaggebender Fakt, um Frauen den Hochschulzugang zu verweigern“, erklärt Pache. Aus heutiger Sicht ist erkennbar, dass diesen Erkenntnissen nicht nur Fakten, sondern auch ein bestimmtes Frauenbild zugrunde lag. „Hier wurde scheinbar etwas aus der Natur als Fakt abgelesen, was bereits in den Köpfen der Menschen ideologisch verankert war.“
Die Gender Studies befragen daher vor allem auch Geschlecht als Wissenskategorie, das heißt sie untersuchen, wie Geschlecht in die einzelnen Wissenschaften eingeschrieben ist, die sich als objektiv und neutral verstehen. Dies betreffe, macht Jähnert deutlich, nahezu alle wissenschaftlichen Disziplinen. Nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den Rechtswissenschaften oder der Literaturwissenschaft lasse sich beobachten, wie ein bestimmtes Geschlechterverständnis die wissenschaftlichen Ergebnisse präge. „Das scheinbar Objektive in den Wissenschaften, ist dann doch sehr vergeschlechtlicht“, gibt Jähnert abschließend zu bedenken.
Autorin: Stefanie Langner
Weitere Informationen
Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der HU
Blog des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien
Meldung: Repositorium für die Geschlechterforschung geht am 4. Dezember online
Prof. Dr. Christina Bauhardt im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur (Die "Spider Plant" als Gegenstand der Gender-Forschung, Beitrag vom 18. Dezember 2017)
- Projektleitung: Prof. Dr. Christine Bauhardt, HU Berlin,
Projektbearbeitung: Dr. Gülay Caglar, jetzt Professorin an der FU Berlin
Promovendinnen: Meike Brückner, M.A. HU, Berlin
Ruth Githiga, ACTS Nairobi/Kenia
Emma Oketch, ACTS Nairobi/Kenia
Ann Aswani, ACTS Nairobi/Kenia - Das Gesamtprojekt steht unter der Leitung von Prof. Wolfgang Bokelmann
- Informationen über das Gesamtprojekt
Kontakt
Dr. Gabriele Jähnert
Geschäftsführerin Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien
Humboldt-Universität zu Berlin
Tel.: 030 2093-46201
gabi.jaehnert@gender.hu-berlin.de