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Wie Christen und Muslime ihr Zusammenleben auf dem Balkan organisieren…

…thematisiert die Konferenz “Discourses and Practices of Space Sharing – Christians and Muslims in the Balkans”

Vom 5. bis 7. Dezember 2019 findet im Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) eine internationale Konferenz unter dem Titel “Discourses and Practices of Space Sharing – Christians and Muslims in the Balkans”, die Dr. Olimpia Dragouni vom Institut für Slawistik der HU im Rahmen ihres Forschungsprojekts „Geteilte Kultstätten von Muslimen und Christen in Mazedonien in der Alltagspraxis und aus Sicht der islamischen Jurisprudenz (fiqh)“ organisiert hat – in Zusammenarbeit mit der Fritz Thyssen Stiftung und der Südosteuropa Gesellschaft.

Frau Dragouni, um welche Gebiete geht es in der Konferenz?

In der Konferenz versuchen die ganze Balkanregion abzudecken: unsere Referenten sprechen über Bosnien und Herzegowina und Nordmazedonien, aber wir werden uns auch in den Süden bewegen, also in die griechisch-bulgarische Grenzregion, wo die muslimische Minderheit der Pomaken lebt. Wir werden auch über Serbien, Kosovo, Montenegro und Kroatien sprechen und Slowenien wird womöglich auch erwähnt, als die Republik, in die viele bosnische Muslime zu Zeiten Jugoslawiens aus Arbeitsnot migriert sind. Ich habe auch versucht, Roma Muslime mit einzuschließen. Sie können hier als eine transnationale Gruppe gesehen werden, und ich habe das Gefühl, dass sie in der Debatte um den Islam auf dem Balkan oft marginalisiert werden, obwohl ein erheblicher Teil der Roma aus Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kosovo, Nordmazedonien und Serbien Muslime sind. Meine Idee war es, hier ein bisschen Gleichgewicht zu finden.

Worauf liegt der Fokus der Konferenz?

Wir werden tiefer in die Details und Besonderheiten des Teilens von heiligen Räumen gehen. Spezialisten werden über Themen wie die Rolle von Atheismus und Säkularismus als Treffpunkt für verschiedene religiöse Gruppen, islamische Wirtschaft als eine praktische Dimension für den Kontakt zwischen Christen und Muslimen außerhalb und innerhalb des Balkans, oder die Rolle des Osmanischen Reiches und wie sein Erbe die Wechselbeziehungen zwischen Muslimen und nicht-Muslimen formt, sprechen. Denn obwohl die Osmanen vor über einem Jahrhundert die Region verlassen haben, formen bestimmte politische und religiöse Begriffe wie „Nachbarschaft“ oder „Bruderschaft“, die dem osmanischen sozialen Umfeld innenwohnen, immer noch die Gedanken der Menschen, die auf dem Balkan in bestimmten „mahalas“ (Nachbarschaften) leben.

Wo und wie prallen Christen und Muslim in dieser Region verstärkt aufeinander?

Dort, wo auch immer sie in signifikanten Zahlen leben, da Menschen, die verschiedenen Gruppen mit kollidierenden Interessen angehören, überall auf der Welt aufeinanderprallen können. Die Spannung hier ist meiner Meinung nach normalerweise nicht so sehr aufgrund religiöser Zugehörigkeiten, aber mehr aufgrund zuvor genannter verschiedener Interessen. Das Problem fängt an, wenn sich diese überlappen und im Fall von Monotheismus, der andere Religionen definitionsgemäß ausschließt, ist es viel einfacher die Spannungen zu verschärfen. Auf dem Balkan scheint die Entfernung zwischen Muslimen und nicht-Muslimen sichtbarer zu sein, wenn religiöse Unterschiede auf andere, bereits existierende Aufteilungen folgen, wie sprachliche Divergenz, beispielsweise albanisch-sprechende Muslime und mazedonisch-sprechende Christen in Nordmazedonien, da die Gruppen mehr Mühe in die Kommunikation miteinander aufwenden müssen.

Ähnlich ist die Spannung in Regionen stärker, die inter-ethnische Gewalt erlebt haben, vor allem, wenn dies vor kurzem der Fall war, wie im Kosovo und Bosnien und Herzegowina, wo Ethnizität mit religiöser Abgrenzung korreliert hat. Auf jeden Fall hilft es nicht, dass sich auf dem Balkan Nationalstaaten herausgebildet und ihre Identität in der Opposition zum osmanischen Reich gefunden haben. Dadurch hat der vorherrschende nationale Diskurs, der den Kern der nationalen Identitäten geformt hat, oft die Figur des Muslimen als den bedrohlichen Anderen benutzt. Genau deswegen ist es so viel spannender sich geteilte, anstatt getrennte Räume anzuschauen. Trennungen sind leicht erkennbar, das Teilen von Räumen braucht Wohlwollen und Mühe.

Welche Konflikte entstehen an solchen Orten?

Wie schon erwähnt, können alle möglichen Konflikte entstehen. Es geht um Personengruppen, die womöglich Kommunikationsschwierigkeiten miteinander haben, da sie verschiedene Sprachen benutzen (auch symbolische Sprachen) und/oder verschiedene Interessen repräsentieren, aber diese Konflikte entstehen nicht unbedingt aufgrund religiöser Unterschiede. Die meisten interreligiösen Konflikte auf dem Balkan entstehen erst, wenn diese Unterschiede überlappen. Allerdings kann es auch kleinere Konflikte geben, die sich nur auf die Religion beziehen, wenn beispielsweise Pietisten auf beiden Seiten darum kämpfen, die Orthodoxie in ihrem Glauben beizubehalten, da diese in Umgebungen, wo Menschen sich vermischen, dazu neigt abzuschwächen. Die Pietisten könnten von oben herab für weniger interreligiösen Kontakt plädieren und für die Einzäunung in eigene Kreise, der „Reinheit“ des Dogmas wegen.

Wie sieht es im privaten Bereich aus?

Es kann private Konflikte geben, wenn es um Heirat geht, Kinder in Mischehen und wie man diese aufzuziehen hat, allerdings haben sowohl das Christentum als auch der Islam sehr bestimmte Regeln, die bestimmen, wie in einer solchen Situation umzugehen ist. Aus diesem Grund wird manchmal von religiösen Autoritäten auf dem Balkan gesagt, dass Mischehen zwar erlaubt sind, aber es schwieriger ist, sie konfliktlos aufrechtzuerhalten, aufgrund kultureller Unterschiede und Schwierigkeiten. Es kann auch Alltagsprobleme geben, die das Aufrechterhalten von guten nachbarschaftlichen Beziehungen betreffen, wie beispielsweise den Raum der anderen zu respektieren: Wenn die Kirchenglocke zu laut ist, oder wenn beispielsweise während des Ramadan in der Nähe der Moschee Alkohol getrunken wird, könnte das respektlos sein, genau wie das Schlachten eines Schweines in einer muslimischen (oder jüdischen) Nachbarschaft. Diese Probleme können allerdings auch als absichtliche Androhungen funktionieren, wenn die Gemeinden schon aus einem anderen Grund in Konflikt stehen. Jahrhunderte von Alltagsführung haben zu einer Entwicklung von Möglichkeiten geführt, um Konflikte zu vermeiden, beispielsweise um einen angemessenen sozialen Abstand zueinander zu halten. Daher würde ich mich lieber auf Aspekte des Lebens fokussieren, nicht auf den Konflikt, aber wie man ihn eben umgehen kann. Das bedeutet nicht, dass das Leben in multireligiösen Umfeldern frei von Konflikten ist (genau wie das Leben in monoreligiösen Umfeldern auch nicht), aber die Mechanismen, um den angemessenen Abstand festzulegen, und das alltägliche Savoir-vivre scheinen mir viel interessanter und weniger offensichtlich.

Gibt es einen interreligiösen Dialog auf dem Balkan?

Ja, sowohl in der praktischen Dimension des Alltagslebens, als auch in der institutionellen. Letztere gibt es in den meisten multireligiösen Staaten: Nordmazedonien sowie Bosnien und Herzegowina fallen mir da als erstes ein, als Länder wo Multireligiosität als eine integrierte Eigenschaft des Landes präsentiert wird. Bosnien und Herzegowina mit seiner schmerzhaften Vergangenheit hat mithilfe vieler kleiner Initiativen seinen Fokus auf dieses Problem gelegt. Beispielsweise gibt es Studien zu interreligiösen Beziehungen und Friedensförderung. Diese werden an der Universität Sarajevo durchgeführt. Theologen der drei Glaubensgemeinschaften unterrichten abwechselnd, um ihre jeweiligen religiösen Haltungen darzustellen.

In Bosnien haben Muslime und Christen vor den Kriegen in der 1990ern friedlich zusammengelebt. Religion spielte damals allerdings eine untergeordnete Rolle im sozialistisch-atheistischen Jugoslawien. Wie wird diese Zeit heute im Hinblick auf das Zusammenleben bewertet?

Ja, es stimmt, dass sie friedlich zusammenlebten, allerdings gab es auch da schon untergründig Konflikte. Die Geschichte des Blutvergießen des Zweiten Weltkrieges wurde verdeckt. Die Unterordnung bezog sich eher auf die Partei und den Gründungsmythos der Partisanen, Brüderlichkeit und Einheit, nicht auf den sozialistischen Atheismus selbst. Allerdings ist es richtig, dass der Sozialismus das Recht einführte, Atheist zu sein und als wichtige Person zu fungieren und als ordentliches Mitglied der Gesellschaft (manchmal sogar wichtiger als die Gläubigen) und die Religionen mussten das respektieren. Heutzutage wird dies von Pietisten als Periode der religiösen Verfolgung angesehen, allerdings ist diese Haltung nicht sehr gerechtfertigt. Die Jugo-Nostalgie, die sich nach Frieden und Wohlstand sehnt, hebt nicht den Atheismus als einen entscheidenden Faktor der Friedensförderung hervor. Man könnte sagen, dass es einfach eine andere „nicht-religiöse“ Kategorie war. Was das Teilen von heiligen Räumen angeht, also das Benutzen von Kirchen und Klöstern von sowohl Christen als auch Muslimen auf dem Balkan, ist Jugoslawien kein Bezugszeitraum. Das Teilen ist eine Longue Durée Praktik, die allen jugoslawischen Staaten vorausgeht.

In der Stadt Mitrovica stehen sich Serben und Kosovaren unversöhnlich in einer geteilten Stadt gegenüber. Wie nutzen Politiker beider Seiten den Konflikt für Ihre Zwecke?

Der Fall von Mitrovica ist sehr ernst. Es gibt zwei parallele Diskurse, die gleichzeitig produziert werden: von Kosovaren und von Serben, und jegliche Ebene des gegenseitigen Verstehen ist sehr schwierig zu erreichen, vor allem, da die Stadt selbst sogar geografisch geteilt ist und Menschen auf beiden Seiten wenig Kontakt miteinander haben, trotz bottom-up Bemühungen von Aktivisten, Künstlern und informellen Gruppen, die Teilung zu überkommen. Allerdings ist ein streng politischer und sehr politisierter Konflikt. Politiker auf beiden Seiten instrumentalisieren den Konflikt und treiben ihn weiter; das ist wahrscheinlich der Schlüssel der Situation.

Gibt es Best-Practice-Beispiele für das Zusammenleben unterschiedlicher religiöser Gruppen in der heutigen Zeit?

Es gibt überall auf dem Balkan Schreine, hauptsächlich Kirchen und Klöster, wo auch Muslime hingehen, um zu beten, oft für Gesundheit oder Fruchtbarkeit. Wie schon erwähnt, ist das eine Longue Durée Praktik. Oft haben diese Muslime eine Roma Herkunft, aber nicht immer. In den meisten Fällen beten beide Gruppe am gleichen Ort unterschiedlich und halten diesen heiligen Ort als zugehörig zu „ihrer“ Religion aufrecht: Christen werden einen Ort als das Grab eines Heiligen bezeichnen, während Muslime sagen, dass es das Grab eines Sufi Lehrers ist und so weiter. Auf eine bestimmte Art und Weise wird ein bestimmtes Level an Orthodoxie aufrechterhalten: Muslime versuchen nicht vor Ikonen und Statuen zu beten und sie nehmen nicht an der Messe teil. Es gibt Hadithe und Fatwas, die dieses Verhalten unterstützen (Gebete in der Kirche, falls es erhöhten Bedarf gibt, Ikonoklasmus wird beibehalten). Wenn Christen vor oder in der Moschee beten ist die Umgebung entsprechend dekoriert. Der springende Punkt ist die Bewahrung der eigenen Identität ohne dem Gastgeber gegenüber respektlos zu sein.

Die Fragen stellte Ljiljana Nikolic

Übersetzung: Megan Nagel

Weitere Informationen

Webseite der Konferenz