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Verfolgt, verhaftet, vergessen?

Projekt "Landschaften der Verfolgung" untersucht politische Repression in der DDR

Meist kamen sie nachts oder in den frühen Morgenstunden in einem unauffälligen Lieferwagen. Sie griffen die Beschuldigten in ihrer Wohnung auf, schafften sie davon. Monate- oder jahrelang waren viele der vom SED-Regime inhaftierten Frauen und Männer wie vom Erdboden verschluckt, andere kamen nie wieder nach Hause. Darüber, wie viele Menschen zwischen 1945 und 1989 aus politischen Gründen in der Sowjetischen Besatzungszone, der Deutschen Demokratischen Republik inhaftiert wurden und was genau es war, das sie zur Zielscheibe des Regimes machte, untersucht das Forschungsprojekt Landschaften der Verfolgung, das am 1. Januar 2019 seine Arbeit aufgenommen hat.

Zusammenarbeit mit Stiftungen und Gedenkstätten

„Bislang spricht man von 250.000 Menschen, die aus politischen Gründen inhaftiert wurden. Diese Zahl aber ist unsicher,“ erläutert Projektkoordinator Dr. Robert Kindler, „denn das Ausmaß politischer Haft in der DDR ist nie systematisch untersucht worden.“ Eben hier wollen Kindler und seine Kollegen im Rahmen von Landschaften der Verfolgung Licht ins Dunkel bringen. Das interdisziplinäre Verbundprojekt, dessen Sprecher Prof. Dr. Jörg Baberowski ist, wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert und am Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität koordiniert. Das Alleinstellungsmerkmal des Verbundes: Mehrere Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen arbeiten hier mit Gedenkstätten und Stiftungen zusammen, wollen Ausmaß, Hintergründe und Konsequenzen politischer Verfolgung in der DDR systematisch untersuchen.

Dimensionen politischer Haft aufklären

Eine Datenbank zu politischer Haft in der DDR vorzulegen, ist eines der Projektziele. „Mit der Datenbank wollen wir eine Grundlage schaffen, um gesicherte Aussagen über die Dimensionen politischer Haft in der DDR machen zu können, die wir dann auch anderen Forscherinnen und Forschern zur Verfügung stellen“, erläutert Kindler. Ein anspruchsvolles Vorhaben, denn unter anderem stellt sich die Frage, was eine aus politischen Gründen inhaftierte Person auszeichnet: Offiziell hat es in der DDR nur Kriminelle, nicht aber politische Häftlinge gegeben.

Kriterien finden

„Wenn jemand Flugblätter mit staatsoppositionellen Inhalten verteilt hat und daraufhin inhaftiert wurde, liegt der Fall recht klar auf der Hand“, sagt Robert Kindler. „Doch viele Inhaftierungen entsprechen diesem Muster nicht.“ Hier müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Kriterien finden, die Frage beantworten, in Bezug auf welche Tatbestände, persönlichen Eigenschaften und Überzeugungen von Haft aus politischen Gründen zu sprechen ist. Auch ist bislang wenig über die Sozialstruktur der Repressierten bekannt – etwa in Hinblick auf Geschlecht, Alter und Gesinnung. „Auf Basis von Recherchen im Bundesarchiv und dem Archiv der Bundesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes hoffen wir, hier zu klaren Aussagen zu kommen.“

Pistole aus dem Büro von Erich Mielke
Einige Wochen nachdem MfS-Minister Erich Mielke zurückgetreten
war, fand eine Begehung seiner ehemaligen Diensträume statt.
Diese Waffe gehört zu den Gegenständen, die bei dieser
Gelegenheit sichergestellt wurden.

 

In weiteren Teilprojekten widmen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den psychischen und physischen Auswirkungen, denn nicht wenige Opfer des DDR-Regimes leiden in Folge von Inhaftierung und Folter an Depressionen, Angststörungen und anderen Krankheitsbildern, die bis in die Gegenwart nachwirken. „Die Kollegen von der Charité werden diese Zusammenhänge untersuchen, sich auch mit Motiven und Vorgehensweisen von Tätern auseinandersetzen.“ Zusätzlich werden im Projekt juristische und politikwissenschaftliche Fragestellungen bearbeitet. So erheben Verbundpartner unter anderem, welche Maßnahmen von der BRD ergriffen wurden, Haftopfer zu rehabilitieren und zu kompensieren und inwieweit solche Versuche der Wiedergutmachung zum Erfolg geführt haben.

Nicht nur die DDR ist Thema

Zusätzlich widmet sich ein Teilprojekt der Entwicklung staatlicher Verfolgungsmaßnahmen in sozialistischen Systemen und kontrastiert hierbei die DDR mit osteuropäischen- und ostmitteleuropäischen Ländern. Hintergrund ist, dass das Ausmaß staatsrepressiver Maßnahmen von den 1930er bis zu den 1980er Jahren systematisch zurückgegangen sei, erläutert Kindler. „Es fragt sich, aus welchen Gründen diese Mäßigung zu beobachten ist.“

Konferenz

Seine erste Konferenz richtet Landschaften der Verfolgung am 20. Juni 2019 an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder aus, unter anderem hat sich Roland Jahn, der Bundesbeauftrage für die Stasiunterlagen, als Diskussionsteilnehmer angekündigt. Interessierte sind herzlich eingeladen teilzunehmen. Der Eintritt ist frei.

Autorin: Nora Lessing

Weitere Informationen

Webseite des Projekts Landschaften der Verfolgung