Als sähe man seine Träume am helllichten Tag
In einem grell beleuchteten Labor öffnet sich langsam eine Röhre, die einem MRT-Gerät gleicht. Langsam richtet sich darin ein übergroßes Mischwesen auf: Jake Sully ist zu einem Na’vi-Avatar geworden, der einer Mischung aus Mensch und blauem Zebra ähnelt. Er hat einen langen Schweif und blau gestreifte Haut, ähnlich einem blauen Zebra. Die motorischen Fähigkeiten seiner Arme und Beine probiert er noch im Sitzen aus. Die Laborleiter stehen neben Jake und geben ihm Anweisungen, wie er sich in dem neuen Körper zu verhalten hat. Doch Jake kann es nicht abwarten: Er klettert aus der Röhre, versucht im Stehen seinen neu erworbenen Zebraschwanz zu dirigieren, öffnet die Tür des Labors und stürmt hinaus in die grüne Landschaft auf dem Mond Pandora. Für Jake ist sein Avatar-Körper nicht nur eine neue Erfahrung, weil er plötzlich Streifen auf der Haut und einen Schwanz hat. Denn als Mensch sitzt er im Rollstuhl. In Gestalt seines Na’vi-Avatars kann er plötzlich wieder laufen.
Die Szene aus James Camerons Film „Avatar“ (2009) ist nur eine von vielen, die für Luisa Feiersinger in ihrer Dissertation zum Thema stereoskopischer Bewegtbild-Aufnahmen wichtig sind. In ihrem Projekt untersucht die Kunsthistorikerin eine Gattung von Bildern, die im kunstgeschichtlichen Diskurs eher eine Nebenrolle spielen, da sie als “reine Unterhaltung” gelten: Unterhaltungs- und Action-Filme. Luisa Feiersingers Fokus liegt auf einem besonderen Genre dieser Unterhaltungsfilme. Diese sogenannten 3D-Filme, die in stereoskopischer Technik produziert sind, traten in Wellen immer wieder im Kino auf.
Die Technik der Stereoskopie stammt aus dem 19. Jahrhundert
Historische stereoskopische Anordnung -
Underwood & Underwood Stereoskop mit eingelegter Stereokarte.
Foto: Barbara Herrenkind
Die historischen Wurzeln solcher Bewegtbild-Aufnahmen mit dem Eindruck räumlicher Tiefe lassen sich bis zu der in der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten Technik der Stereoskopie, der Erstellung zweidimensionaler Bilder mit dem Seheindruck einer dritten Dimension, zurück verfolgen.
Unterhaltungsfilme können auf die Bedingungen unserer Erfahrung
reflektieren. Luisa Feiersinger forscht im Projekt "Das technische Bild".
Foto: Barbara Herrenkind
Aus kunst- und bildwissenschaftlicher Perspektive untersucht das große Forschungsprojekt „Das Technische Bild“, wie in technischen Bildern Bedeutung entsteht. Seit 2013 ist Luisa Feiersinger wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts am Institut für Kunst- und Bildgeschichte. Im Gegensatz zu Film- und Medienwissenschaftlerinnen entwickelt sie ein Verständnis von 3D-Filmen mit kunsthistorischen Methoden.
Die Doktorandin konzentriert sich dabei auf die Analyse von vier populären stereoskopischen Filmen, die innerhalb der letzten zehn Jahre entstanden sind: Avatar (2009) von James Cameron, Hugo (2011) von Martin Scorsese, Dredd (2012) von Pete Travis und Oz the Great and Powerful (2013) von Sam Raimi. Allen vier Filmen ist gemein, dass sie die 3D-Technik als Mittel der Bildgestaltung einsetzen. „In der Mitte des 19. Jahrhunderts“, erzählt Luisa Feiersinger, „war die Erfindung des binokularen Wahrnehmens mit Hilfe des Stereoskops Charles Wheatstones ein Versuch, „das Sehen“ im Apparat zu externalisieren“. Im Gerät des Stereoskops einerseits sowie im damit erzeugten Abbild andererseits manifestierten sich dabei zwei verschiedene Arten das Sehen und die Wahrnehmung zu formen.
Die Form spiegelt sich in der Erzählung wider
Anschließend an ein solches Verständnis der gestalteten Wahrnehmung, so erklärt Luisa Feiersinger weiter, zeigt sie in ihrer Untersuchung der Kinofilme auf, dass zwar gerade der 3D-Film sich als Realitäts-Illusion gibt, dessen Seh-Erfahrung jedoch umso stärker durch die 3D-Technik konstruiert ist. Der Prozess des Wahrnehmens wie auch das technisch produzierte Bild sind durch die stereoskopische Technik aktiv gestaltet. Dies schreibe sich auch in die Filmerzählung ein, in das, was unter der Voraussetzung der technischen Mittel dargestellt wird. So haben die Filme häufig als gemeinsames Motiv, dass darin die Wahrnehmung fremder Welten thematisiert wird: Jake in Camerons „Avatar“ erhält seinen andersartigen Körper gleich direkt auf einem anderen Stern – dem Mond Pandora. Der kleine Hugo Cabret in Scorseses „Hugo“ (2011) ist in der Welt der Technik sprichwörtlich zu Hause: er wohnt quasi in den technischen Eingeweiden des Pariser Bahnhofs Montparnasse, für dessen technische Wartung er zuständig ist.
Nicht zuletzt haben die von Feiersinger untersuchten 3D-Filme oft die durch Technik erweiterte Wahrnehmung als solche zum Thema: Warum sehen wir eigentlich, was wir sehen? Wie formen technische Werkzeuge die Erfahrung? Dass das produzierte Bild durch das Verfahren seiner Entstehung bestimmt ist, darauf wird also in den Filmen auch selbst reflektiert. Zu zeigen, dass Unterhaltungsfilme auf die Bedingungen unserer Erfahrungen reflektieren können, ist der Kunsthistorikerin ein zentrales Anliegen.
Autorin: Hannah Fiegenbaum