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LGBT*IQ-Familien: zwischen Anerkennung und Ungleichheit

Die Soziologinnen Almut Peukert und Mona Motakef untersuchen an der HU Benachteiligungen von „Regenbogenfamilien“

Sie sind beide Soziologinnen mit dem Schwerpunkt Geschlechterforschung. Was fasziniert Sie an dem Forschungsfeld?

Mona Motakef: In vielen Disziplinen und auch in der Soziologie ist es noch immer üblich, von den scheinbar gesetzten Kategorien Mann und Frau auszugehen. Die Geschlechterforschung hinterfragt die Grundannahme einer scheinbar vornatürlichen Zweigeschlechtlichkeit und wie es zur Einteilung in zwei – und nur zwei – Geschlechter gekommen ist, und wie sie gesellschaftlich wirkt. Wie ist es zum Beispiel dazu gekommen, dass wir häufig annehmen, dass Frauen kompetenter mit kleinen Kinder umgehen können als Männer, während wir Männern häufig eine größere Kompetenz in Führungsaufgaben zusprechen. Hier spielen Machtverhältnisse eine wichtige Rolle. Dieses Infragestellen von vermeintlich Gesetztem interessiert und fasziniert mich.

Almut Peukert: Mein Interesse an soziologischen Geschlechterfragen begann während meines Studiums und intensivierte sich während meiner Promotion über die Arbeitsteilung von Paaren mit Kindern. Hier wurde deutlich (Stichwort Väter und Elternzeit), wie zentral die innerpartnerschaftlichen Aushandlungen zu Erwerbs- und Familienarbeit sind, und wie sehr sie Fragen von Geschlecht und sozialer Ungleichheit berühren. Bei der Untersuchung war auch ein lesbisches Paar dabei. Hier merkte ich, dass in der Familiensoziologie häufig das verheiratete Ehepaar mit leiblichem Kind empirisch untersucht wird, die Lebensrealität vieler aber ganz anders aussieht. Ich sah, dass diese Vielfalt als Untersuchungsfeld noch recht unterentwickelt aber enorm wichtig ist.

Welche Rolle spielt die Geschlechterforschung innerhalb der Sozialwissenschaften, und an der HU?

Almut Peukert
Almut Peukert, Foto: Fany Fazii,
Die Fotogräfinnen

Peukert: Die Geschlechterforschung ist ein heterogenes und interdisziplinäres Feld. Das kann man auch am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) der HU sehen, wo allein 17 Disziplinen vertreten sind. An der HU gibt es nach Angaben des ZtG insgesamt 18 Professuren, die eine Denomination oder Teildenomination für Geschlechterforschung haben. In den Sozialwissenschaften bearbeitet die Geschlechtersoziologie verschiedene soziologische Teilbereiche, wie auch in unserem Fall die Familien-, Ungleichheits- und Rechtssoziologie.

Motakef: Der Anteil der Professuren, die in Deutschland an den Universitäten und Fachhochschulen eine Teil- oder Volldenomination für Geschlechterforschung haben, beträgt aber nur 0,4 Prozent. Das wissen viele nicht. In der Geschlechterforschung werden oft Fragen bearbeitet, die auch gesellschaftlich intensiv debattiert werden, wie das Verhältnis von Rassismus und Sexismus, das dritte Geschlecht oder die Ehe für alle.

Vor welchen Fragen steht denn die Gesellschaft konkret?

Motakef: Es gibt zum Beispiel seit letztem Jahr die Ehe für alle. Trotz Trauschein müssen lesbische oder schwule Paare aber immer noch das Kind ihres Partners oder ihrer Partnerin adoptieren. Man kann auch noch einen Schritt zurückgehen: Wenn eine Geburtsurkunde ausgestellt wird, werden in Deutschland rechtlich nur zwei Eltern anerkannt. Wenn man sich aber zu dritt oder zu viert die Erziehung teilt, bleiben immer bestimmte Personen rechtlich gesehen außen vor. Von daher besteht ein großer Regelungsbedarf. Dann gibt es auch viel Stigmatisierung. Etwa wenn immer wieder gefragt wird, wer denn nun eigentlich der „richtige“ Vater oder die „richtige“ Mutter sei. Auch gegen diese Stigmatisierung müsste man etwas tun.

Wie divers sind die Lebensmodelle heute. Haben Sie Zahlen dazu?

Peukert: Betrachtet man die erwachsene Bevölkerung in Deutschland nach Familienformen, so sind 68 Prozent Ehepaare mit Kindern – also die häufigste Familienform, 23 Prozent sind Einelternfamilien und 8 Prozent Lebensgemeinschaften mit Kindern. Die Zahl der Kinder steigt, die außerhalb einer Ehe geboren werden. Nach einer Schätzung des Familienministeriums von 2013 leben 7 bis 13 Prozent der Familien in Deutschland als Stief- oder Patchwork-Familien.

Und wie viele sogenannte Regenbogen-/ LGBT*IQ-Familien gibt es?

Peukert: Verlässliche Zahlen zu Regenbogenfamilien gibt es bislang nicht, grobe Schätzungen gehen von ein bis zwei Millionen gleichgeschlechtlichen Eltern mit Kindern aus, und zwei bis drei Millionen Kindern, die in Regenbogenfamilien leben.

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer aktuellen Studie zu neuen Reproduktionstechnologien und den neuen Formen der Elternschaft?

Mona Motakef
Mona Motakef, Foto: privat

Motakef: Neue Reproduktionstechnologien erleichtern zwar mehr Menschen eine Elternschaft, doch Menschen jenseits des heterosexuellen Paarseins sind hiervon oft ausgenommen. Wir möchten daher die Vielfalt familialer Lebensformen – sogenannte Regenbogen- oder LGBT*IQ-Familien – aus einer ungleichheitssoziologischen Perspektive theoretisch und empirisch in den Fokus nehmen. Das heißt, es geht auch darum, Ungleichheiten aufgrund von Geschlecht und der sexuellen Orientierung aufzuzeigen.

Worin genau besteht die Benachteiligung konkret?

Peukert: Beispielsweise werden die medizinischen Behandlungen bei Samenspende und anschließender künstlicher Befruchtung für lesbische Paare nur von wenigen Kliniken überhaupt angeboten. Die Samenspende ist in Deutschland zulässig, wird aber finanziell von den Krankenkassen nicht unterstützt. Eizellspenden und Leihmutterschaften sind grundsätzlich nicht erlaubt.

Nehmen wir das Beispiel eines lesbischen Paares, das mit Hilfe einer Samenspende ein Kind bekommt. Das Paar bekommt ab Geburt des Kindes nicht die gemeinsame rechtliche Elternschaft. Diese bekommt zunächst nur die Geburtsmutter, während die Partnerin über eine langwierige Stiefkind-Adoption die rechtliche Elternschaft erwerben muss. Im Vergleich: Bei heterosexuellen verheirateten Paaren wird ein mit Hilfe von Samenspende gezeugtes Kind automatisch mit der Geburt das gemeinsame Kind. Diese Ungleichheit hat sich auch nicht mit der Einführung der Ehe für Alle geändert.

Sie sprechen von „doing reproduction“ und von „doing family“ – warum?

Peukert: Beide Begriffe sind vom Konzept „doing gender“ hergeleitet, einem wichtigen Konzept in der Geschlechterforschung. Hier geht es darum, dass Geschlecht etwas ist, das in Interaktionen hervorgebracht wird, und nicht per se besteht. Das „doing family“ verweist entsprechend auf den alltäglichen Herstellungscharakter von Familie. In diesem Sinn ist Familie nicht etwas Abgeschlossenes, was man durch eine Geburt oder qua Eheschließung besitzt, sondern etwas, was wir alle fortwährend machen, durch verschiedene Praktiken, wie etwa wenn wir Frühstücksbrote schmieren oder uns gegenseitig trösten.

Vor diesem Hintergrund fragen wir, wie sich das „doing family“ bei LGBT*IQ-Familien zeigt, wie sie Familie alltäglich herstellen, und welche Diskriminierungen und Ungleichheiten sie dabei erfahren. Mit Blick auf das „doing reproduction“ möchten wir erfahren, wie Kinderwünsche realisiert werden oder auch nicht. Oft klappt es ja auch gerade nicht.

Ein Ausblick: Welche Formen von Familie und Partnerschaften werden die Norm der Zukunft sein?

Peukert: Es gibt unter den LGBT*IQ-Familien ein großes Bedürfnis nach Anerkennung ihrer Lebensform. Sie sehen sich als ganz normale Familie, warum auch nicht. Sie haben ebenso wie alle anderen auch mit Schlafmangel, Stillproblemen, herumliegendem Spielzeug und trotzenden Kindern zu kämpfen. Wir vermuten, dass es zukünftig gesellschaftlich immer normaler wird, dass Kinder mit zwei Vätern oder zwei Müttern und einem Vater aufwachsen.

Motakef: Gleichzeitig wird es aber auch immer Gruppen geben, die sich allein durch die Existenz von LGBT*IQ-Familien bedroht fühlen und diese Familien sehr skeptisch sehen. Das tradierte Familienbild mit zwei Eltern und leiblichen Kindern, das zudem von einem männlichen Ernährer und einer weiblichen Zuverdienerin ausgeht, hat in der Realität immer weniger eine Entsprechung, auch wenn das manche nicht wahrhaben wollen.

Das Interview führte Christin Bargel.

Teilnehmende gesucht

Die beiden Forscherinnen leiten zusammen mit Prof. Christine Wimbauer das DFG-Projekt „Ambivalente Anerkennungsordnung. Doing reproduction und doing family jenseits der Normalfamilie“. Sie suchen noch Teilnehmende. Sie  wollen lesbisch-, bi-, schwul-, trans*-, queer-Familien zum Thema Kinder, Elternschaft und Familienleben interviewen – alleine, als Paar, Co-Parenting oder Mehrelternkonstellation.

Die Daten werden streng vertraulich behandelt. Alle Hinweise auf persönliche Informationen werden so verändert, dass die Identität der Interviewten vollständig anonym bleibt.

Weitere Informationen

VielFam. doing family und doing reproduction in vielfältigen Familien

Kontakt

Dr. Almut Peukert/Julia Teschlade, MA

Institut für Sozialwissenschaften
Humboldt-Universität zu Berlin

vielfamilie-sowi@hu-berlin.de