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Wissenschaft im Spannungsfeld zwischen Differenziertheit und Aufmerksamkeit

Interview mit der Philosophin Romy Jaster

Romy Jaster
Dr. Romy Jaster, Autorin des Buchs "Die Wahrheit schafft sich ab - Wie
Fake News Politik machen". Foto: privat

Dr. Romy Jaster, 34, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität und Geschäftsführerin der Gesellschaft für analytische Philosophie. Sie forscht unter anderem zu Fake News und hat gemeinsam mit David Lanius das Buch „Die Wahrheit schafft sich ab – Wie Fake News Politik machen“ geschrieben.

Gibt es in der Wissenschaft auch so etwas wie Fake News?

Dr. Romy Jaster: Es gibt Fake Science – also Publikationen, die stark eingefärbte Studienergebnisse enthalten. Fake steht dafür, dass jemand mit einer gewissen Täuschungsabsicht unterwegs ist.

Entstehen aus Fake Science dann Fake News?

Wenn jemand über Fake Science berichtet, sind das nicht automatisch Fake News. Es könnte sein, das Journalistinnen und Journalisten in völlig redlicher Absicht gefakte Studienergebnisse aufgreifen. Dann wäre der Bericht keine Fake News, weil diese keine Täuschungsabsicht hatten. Sie haben nach bestem Wissen und Gewissen etwas verbreitet, was de facto Fake Science ist.

Sollte es Faktenchecks für Fake Science geben?

Wissenschaften zeichnen sich ja nicht unbedingt durch ihre Rasantheit aus. Wenn überhaupt, lassen sich nur bestehende wissenschaftliche Erkenntnisse gegen Fake News einsetzen. Das kann aber keine zentrale Stelle machen.

Wer ist dann in der Verantwortung?

Meiner Meinung nach sind einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt. Wenn sie auf Fake News oder Fake Science stoßen, die sie aus ihrer Expertise heraus richtigstellen können, sollten sie das tun – über die Medien oder Faktencheckbüros.

Haben solche wissenschaftliche Richtigstellungen es schwer, sich durchzusetzen?

Echte Wissenschaft ist häufig nicht so sexy. Meistens gibt es keine catchy Punchline, sondern einen differenzierten Befund. Der hat es schwer, sich durchzusetzen oder überhaupt zur Kenntnis genommen zu werden.

Wie kann Wissenschaft sexyer werden?

Das Ideal der Wissenschaft ist ja zunächst die Suche nach der Wahrheit. Das, was uns der Wahrheit näher bringt, sollte veröffentlicht werden. Die Medien wiederum müssen zusehen, dass ihre Berichte Aufmerksamkeit bekommen. Wissenschaftskommunikation muss sich irgendwo im Spannungsfeld zwischen Wahrheit, beziehungsweise Differenziertheit, und Aufmerksamkeit positionieren. Solange nichts Falsches oder Irreführendes kommuniziert wird, ist es durchaus legitim, sich auch ein Stück weit dem Wert der Aufmerksamkeit zu verschreiben.

Also Aufregung und Emotionen?

Wenn das geht, ohne die Forschung in ihrem Sinn zu entstellen, dann ja.

Wie kann das funktionieren?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich bewusst sein, dass Wissenschaftskommunikation anderen Regeln folgt als Wissenschaft. Sie muss sich zwischen Differenziertheit und Aufmerksamkeit anders positionieren, damit sie überhaupt funktioniert. Oft werden Kolleginnen und Kollegen in der Wissenschaftskommunikation so angeschaut, als würden sie ihrem Fach nicht gerecht – weil bestimmte Inhalte vereinfacht oder catchy dargestellt werden. Da sollten die Wissenschaften sich selbst einen etwas bewussteren Blick auf die Wissenschaftskommunikation zulegen.

Schließlich soll Wissenschaft ja auch der Gesellschaft dienen.

Genau. Man muss sich fragen, was eigentlich unser Job ist: Einfach nur Wissen generieren? Oder wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich machen? Und dann: Soll Wissenschaftskommunikation Wissenschaft nur für hochgradig interessierte Laien aufbereiten? Oder wollen wir wissenschaftliche Erkenntnisse möglichst breit in die Gesellschaft einspeisen? Dann müssen Differenziertheit und Aufmerksamkeit gegeneinander abgewogen werden.

Ohne Wahrheit wegzunehmen.

Ja. Wissenschaftskommunikation ist immer noch so nah an die Normen der Wissenschaft gebunden, dass keine Abstriche an der Korrektheit des Gesagten gemacht werden können. Aber bei der Aufbereitung, dem Aufhänger und der Auswahl, was man hervorhebt, hat man ja oft einen gewissen Spielraum.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Gut funktioniert hat das mit der Diskussion über die Willensfreiheit. Da gab es einige Hirnforscher, die mit der relativ steilen These an die Öffentlichkeit gegangen sind, dass wir nicht über Willensfreiheit verfügen. Die Philosoph:innen hatten einige Gegenargumente. Da hatte man alles, was es braucht: Ein Thema, das jeden interessiert, eine total steile These und eine recht differenzierte Diskussion zwischen Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftlern und Philosophinnen und Philosophen, die auch in den Massenmedien stattfand.

Das Interview führte Christina Spitzmüller.

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