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Die Mathematik macht das Bild

Der kleinste gemeinsame Nenner der gemeinsamen Forschung ist die Anwendungsbezogenheit der Mathematik

Professor Jürg Kramer

HU-Professor Jürg Kramer Foto: Kay Herschelmann

Das Forschungszentrum MATHEON ist ein Zusammenschluss der drei mathematischen Institute von FU, TU und HU sowie der beiden Forschungsinstitute WIAS (Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik) und ZIB (Zuse Institut Berlin). Vor genau 15 Jahren begann die erfolgreiche Zusammenarbeit.

Prof. Dr. Jürg Kramer lehrt am Institut für Mathematik der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Vorstandsmitglied von MATHEON.

Herr Prof. Dr. Jürg Kramer, alle drei Unis haben sich im Fach Mathematik zu einem Forschungszentrum zusammengetan, wie funktioniert so eine Kooperation?

Als wir den gemeinsamen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereicht haben, befand sich Berlin gerade in einer Phase des Sparens. Wir waren alle glücklich, dass wir durch die Zusage zu MATHEON uns personell stärken konnten. Seit 2002 bekommen wir 5 Millionen Euro jedes Jahr und konnten so unsere Kapazitäten verdoppeln. Das gemeinsame Auftreten beendete das kritische Beäugen der jeweils Anderen und wir merkten, dass wir zusammen viel stärker sind, dass wir das Projekt nur gemeinsam auf die Schiene stellen können.

Stimmt es, dass das Studieren und Forschen am MATHEON besonders attraktiv für Frauen ist?

Bis zum Master ist das Verhältnis von Männern und Frauen 50:50. Erst danach kommt der Einbruch und die Mathematik verliert leider viele gute Frauen. Ich denke, da spielen ganz unterschiedliche gesellschaftliche Prägungen eine Rolle. Wir versuchen mit verschiedenen Maßnahmen gegenzusteuern. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt konnten wir mehr Frauen halten und liegen bei 30 % Doktorandinnen, bundesweit ist der Schnitt 22 %. Zunächst haben wir in Berlin eine kritische Masse und diese zieht weitere Frauen an. Aber wir haben auch Role Models bei den Forscherinnen. Natürlich hoffen wir, dass wir auch in Zukunft die sozialen Faktoren mehr und mehr zurückdrängen können und weniger der guten Frauen nach dem Master verlieren als es im Moment noch der Fall ist.

Im Vordergrund des gemeinsamen Forschens steht die Anwendungsbezogenheit. Um welche Felder geht es bei der Anwendung der Mathematik?

Besonders anschaulich ist die Rolle der Mathematik in der klinischen Forschung. Wenn Sie sich in einen Tomographen legen, dann wird Ihr Körper nicht abfotografiert, sondern es werden Signale empfangen, die durch Rechnen zu Bildern werden, essentielle Punkte müssen identifiziert und die vielen Längsschnitte zusammengesetzt werden. Erst die Mathematik macht das Bild.

Genauso wichtig ist Mathematik in der städtischen Infrastruktur: Wenn die Umsteigezeit beim U-Bahnfahren verringert werden soll, muss ein komplexes Netz in den Blick genommen werden, nicht nur die eine Station, an der Sie umsteigen wollen, sondern ganz viele Stationen gleichzeitig.

Kommt da dann wirklich die BVG und lässt sich ihre U-Bahn-Pläne von Ihnen neu berechnen?

Tatsächlich ist die Deutsche Bahn an unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herangetreten, um ihren deutschlandweiten Fahrplan zu verbessern. Auf diese direkten Kooperationen mit der Wirtschaft sind wir sehr stolz. Hier sehen wir, wie gefragt unsere Köpfe sind: Einige unserer Leute wurden durch diese Zusammenarbeit direkt von der Deutschen Bahn abgeworben.

Anwendungsbezogen heißt dann, dass es um das Einsparen von Zeit oder Geld geht?

Ja genau, auch wenn der Einsatz von Flugzeugen geplant wird, geht es um Zeitersparnis. Da müssen Wartungs- oder Putzzeiten mit Einsatzzeiten abgeglichen werden. Genauso müssen die Ergebnisse von Navigationsgeräten schnell angezeigt werden – da will niemand ein paar Stunden warten.
Mit der Energiewende gibt es viele technische Herausforderungen, für die mathematische Modelle und Simulationskonzepte gefragt sind. Bei der Herstellung von Solarzellen zum Beispiel, werden teure Naturmaterialien verwendet und deren große Leistungsfähigkeit muss dann in einem Verhältnis zu den Kosten stehen. Auch diese Kosten-Nutzen-Kalkulation ist angewandte Mathematik.

Ist denn auch die Geometrie gefragt oder geht es hauptsächlich um Zahlenmodelle?

Geometrische Modelle sind für den menschlichen Körper in der Medizin unerlässlich, aber auch im Städtebau und in der Visualisierung von Architektur ganz wichtig: Stellen Sie sich das Dach des Hauptbahnhofs vor, wo lauter glatte Platten zu einer großen gekrümmten Fläche werden. Hier brauchen Sie geometrische Algorithmen.

Dem MATHEON geht es darum, zu zeigen, dass die Welt Mathematik braucht und dass die Mathematik, obwohl sie so abstrakt ist, auch die Welt braucht. Wie tragen Sie diese Erkenntnis in die Öffentlichkeit?

Hier sind wir sehr froh über die bundesweiten Lehrerfortbildungen, die das Deutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathematik an acht deutschen Hochschulen organisiert. Es ist ein wichtiges Anliegen der MATHEON-Wissenschaftlerinnen- und -Wissenschaftler, Aspekte der aktuellen, anwendungsorientierten mathematischen Forschung an Schulen verfügbar zu machen. Darüberhinaus bietet das MATHEON Projekte mit Schulen an und versucht auch im vorschulischen Bereich – über Fortbildungen von Erziehern und Erzieherinnen – den Spaß an der Abstraktion zu wecken und den spielerischen Umgang mit Mathematik in den Blick zu bekommen.

Das Interview führte Anne Tilkorn, Online-Redakteurin der HU Pressestelle

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