Fürsprecher bedrohter Inselstaaten
Der Klimaphysiker Carl-Friedrich Schleussner ist Wissenschaftler und Politikberater in einem. In beiden Rollen stehen die kleinen Inselstaaten, die von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen sind, im Fokus seiner Arbeit. Denn: „Ob Meeresspiegel oder Tropenstürme, die kleinen Inseln spüren die Folgen des Klimawandels bereits heute“, sagt der Arbeitsgruppenleiter des Integrativen Forschungsinstitut zu Transformationen von Mensch-Umwelt-Beziehungen (IRI THESys) der Humboldt-Universität zu Berlin (HU).
Aufgegebenes Haus auf den Marshall Islands
Foto: Erin Magee, AusAID
Als wissenschaftlicher Berater unterstützt Schleussner die Inseln sowohl in den Klimaverhandlungen als auch im Erstellungsprozess der Berichte des Weltklimarates – so auch beim letzten Sonderbericht 1.5°C globale Erwärmung, der im Oktober veröffentlicht wurde. „Viele dieser Staaten haben nicht die Ressourcen für wissenschaftliche Analysen in der Klimafolgenforschung. Meine Kollegen und ich stellen ihnen deshalb das entsprechende Know-How zur Verfügung, so dass sie ihre Interessen besser vertreten können“, erklärt er.
Warum ein halbes Grad so wichtig ist
Mit seiner Forschung hat sich Schleussner ganz und gar dem 1.5-Grad-Ziel verschrieben. „Das 2-Grad-Ziel ist im politischen Diskurs gut etabliert. Es sieht vor, die globale Mitteltemperatur nicht mehr als 2 Grad über dem vorindustriellen Wert steigen zu lassen“, so der Wissenschaftler. Dieses Ziel wurde jedoch vor allem von Ländern des Globalen Nordens forciert, die von Klimaschäden weniger betroffen seien, für andere greife es deutlich zu kurz. Bei den mittlerweile historischen Klimaverhandlungen in Paris vor drei Jahren kämpften die 100 gefährdetsten Länder der Welt – zu denen auch die Inselstaaten gehören – unter dem Motto „1.5 Grad zum Überleben“ für eine ambitioniertere Klimapolitik.
„Dass sich die Staatengemeinde in Paris dazu entschlossen hat, ihr Klimaziel auf 1.5 Grad zu verstärken, war ein Riesenerfolg, kam für den Großteil der Wissenschaftswelt aber völlig überraschend“, erzählt Schleussner im Rückblick. Bis zu dem Zeitpunkt habe es kaum Forschung zu Klimafolgen bei 1.5 Grad im Vergleich zu 2 Grad Temperaturanstieg gegeben, auch seien viele davon ausgegangen, dass die Unterschiede nicht nennenswert seien. „Das konnten wir mittlerweile ganz klar widerlegen. Ein halbes Grad mehr hätte substanzielle und erdumspannende Auswirkungen, zum Beispiel für das Auftreten von Extremwetter, wie Hitzewellen, Dürren oder Starkregen, sowie für marine und terrestrische Ökosysteme. Das zeigt der neue Sonderberichts des IPPC sehr eindrücklich.“ Schleussner selbst hat in den letzten drei Jahren 15 Artikel zu dem Thema veröffentlicht, soviel wie kaum ein anderer.
Wenn der Klimawandel schneller ist als die Anpassung daran
Dass der Klimawandel trotz ambitionierter Klimapolitik zunächst fortschreiten wird, steht wissenschaftlich außer Frage. Herauszufinden, was das für die Inselstaaten bedeutet, ist Schleussners zweites großes Anliegen. Seit November 2017 leitet er die BMBF-geförderte Forschungsgruppe „EmBARK“ – Temporal Evolution of Barriers to Adaptation and their Relevance for Climate Related Loss and Damage, ein Verbundprojekt, das gleichzeitig an der HU am IRI THESys und bei Climate Analytics, einer non-profit-Einrichtung an der Schnittstelle von Klimaforschung und Politik, angesiedelt ist.
Gemeinsam mit seinem Team untersucht der Forschungsgruppenleiter die Barrieren von Klimaanpassung, sprich jener Maßnahmen, mit denen wir versuchen, uns vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. Schleussner fragt danach, wie schnell Länder im Globalen Süden solche Anpassungsmaßnahmen überhaupt umsetzen können, und was passiert, wenn sie dabei an ihre Grenzen stoßen. „Damit nicht jede Dürre zur Hungersnot wird und nicht jeder Taifun die Infrastruktur zerstört, müssen viele Faktoren ineinandergreifen. Das können Frühwarnsysteme sein, neue landwirtschaftliche Praktiken oder geänderte Bauvorschriften. Mindestens genauso wichtig sind aber auch soziale und politische Faktoren wie gute Regierungsführung, Bildung oder Geschlechtergerechtigkeit.“
Trotz beeindruckender Leistungen in einigen Inselstaaten ist der Wissenschaftler überzeugt, dass die Geschwindigkeit des Klimawandels die Geschwindigkeit der Anpassungsfähigkeit vieler Länder überholen wird. „Die Klimafolgen, die die Menschen dann bewältigen müssen, sind nicht von ihnen selbst verschuldet. Es sind die großen Industriestaaten, die die meisten Treibhausgase emittieren, und das ist auch der Grund, warum derzeit auf politischer Ebene über die moralische Verantwortung zur Unterstützung diskutiert wird.“ Für genau diese Diskussion möchte Carl-Friedrich Schleussner die wissenschaftliche Grundlage liefern, indem er mit seinen Modellen bessere Zukunftsprojektionen möglich macht.
Klima-Event an der HU
Am Dienstag, den 27. November 2018 wird Carl-Friedrich Schleussner zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von Climate Analytics, vom Climate Service Center, vom Deutschen Klimarechenzentrum und von der Goethe-Universität Frankfurt die Ergebnisse seiner 1.5-Grad-Forschung an der HU Berlin vorstellen. Die Veranstaltung mit dem Titel "Where are we, and where do we want to go? Impacts avoided by limiting to 1.5 degree" beginnt um 18:30 Uhr im Hauptgebäude, Unter den Linden 6, im Hörsaal 2091. Der Eintritt ist frei.
Die Veranstaltung ist eine Kooperation von Climate Analytics und dem IRI THESys.
Kontakt
Dr. Carl-Friedrich Schleussner
carl-friedrich.schleussner@hu-berlin.de
Tel.: (030) 2093-66437