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Jan-Hendrik Olbertz zum Rücktritt von Bundesministerin Prof. Dr. Annette Schavan

Die Erklärung des HU-Präsidenten im Wortlaut

Ich habe allergrößten Respekt vor Annette Schavan. Bis zuletzt, auch in den Worten ihrer Rücktrittserklärung, hat sie Würde und Format bewiesen. Wir verdanken ihr eine über Jahrzehnte hinweg entscheidungs- und gestaltungsfreudige Wissenschafts- und Bildungspolitik, für die sie mit Leidenschaft und großer Verlässlichkeit einstand.

Persönlich bin ich der Ansicht, dass auf der gegenwärtigen Verfahrensgrundlage die Aberkennung des Doktortitels nicht gerechtfertigt ist. Annette Schavans Rücktritt ist gerade im Angesicht ihrer außerordentlichen Leistungen für die deutsche Wissenschaft damit nicht folgerichtig. Aber die Politik hat, zumal im Zeichen des nahenden Bundestagswahlkampfes, ihre eigene Logik, die zu akzeptieren ist.

Die Bundespolitik verliert mit Annette Schavan eine großartige, versierte und sehr engagierte Wissenschaftsministerin, die in Deutschland und auf internationalem Podium höchste Anerkennung genießt.

Meine Kritik an der Vorgehensweise der Universität Düsseldorf halte ich aufrecht. Es mangelt an der nötigen Tiefe, wenn isolierte Textmodule verglichen werden, ohne sie in den Gesamttext und die übergreifende Gedankenführung der Arbeit einzuordnen. Geisteswissenschaftliche Texte sind immer mehr als die Summe ihrer einzelnen Textbausteine. Außerdem fehlt eine kritische Selbstthematisierung der Fakultät, denn sie hat seinerzeit die Arbeit von Frau Schavan angenommen und für gut befunden. Wenn dies ein Fehler war, ist nur schwer einzusehen, dass er jetzt nach über 30 Jahren allein auf den Schultern der inzwischen renommierten Wissenschaftsministerin ausgetragen wird. So hätten mindestens zwei externe Gutachten eingeholt werden müssen, die fachwissenschaftlich und textanalytisch vorgehen und dann bewerten, ob bzw. in welchem Umfang die erhobenen Vorwürfe mit der eingetretenen Konsequenz berechtigt sind. Hierzu wären auch Textvergleiche zu anderen wissenschaftlichen Abhandlungen mit ähnlicher Thematik aus der fraglichen Zeit notwendig gewesen.

Das Mindeste, was jetzt aus dem Geschehen für die deutsche Wissenschaft zu lernen ist, wäre eine kritische Auseinandersetzung mit den Formen der Sicherung und Überprüfung guter wissenschaftlicher Praxis. Gerade die Universitäten sind gefordert, entsprechende Standards zu formulieren. Wie sehr hier übergreifende Verfahrensregeln fehlen, zeigt schon der Umstand, dass die Meinungen über den Fall und das Überprüfungsverfahren - selbst unter Plagiatejägern - weit auseinandergehen. Anonyme Überprüfungen von Doktorarbeiten widersprechen schon selbst den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, denn gerade in der Wissenschaft müssen Kontroversen offen und transparent ausgetragen werden.

Kontakt

Elmar Kramer
Leiter Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Humboldt-Universität zu Berlin
Tel.: 030 2093-2332/-2345
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