Beobachtung beeinflusst Bewegung
Eine Erfahrung aus der Alltagswelt und Grundannahme der klassischen Physik ist, dass ein dynamischer Ablauf - beispielsweise ein Bewegungsvorgang - jederzeit beobachtet werden kann, ohne dass dieser dadurch beeinflusst wird. Dieses Paradigma gilt jedoch nicht in der Quantenmechanik: Hier wird ein Messobjekt durch die Beobachtung unvermeidbar beeinflusst. Dies kann sogar so weit führen, dass der Ablauf allein durch die Messung vollständig verhindert wird, eine Bewegung so vollständig zum Erliegen kommt. In Analogie zu einem klassischen Paradoxon der Antike wird dies Quanten-Zeno-Effekt genannt.
Physikern der Humboldt-Universität zu Berlin ist nun ein Durchbruch gelungen: In einem kürzlich in der Fachzeitschrift Physical Review A erschienenen und in Nature News besprochenen Artikel berichten Forscher um Janik Wolters aus der Arbeitsgruppe Nano-Optik von Prof. Oliver Benson, dass es ihnen erstmals gelungen ist, den Quanten-Zeno-Effekt an einem einzelnen Elektron in einem Festkörpersystem nachzuweisen.
„Die Experimente von Wineland fanden an mehreren gefangenen Atomen, genauer Ionen, in Ultrahochvakuum-Apparaturen statt. Unser Experiment gelang an exakt einem einzelnen Quantensystem in einem Festkörper bei Raumtemperatur – ohne hohen experimentellen Aufwand“, verdeutlicht Janik Wolters. Bei dem Quantensystem der HU-Physiker handelt es sich um ein Defektzentrum oder Farbzentrum, in diesem Fall ein einfaches Stickstoffatom, das in einem Diamanten festsitzt.
Mit Mikrowellenstrahlung konnten die Forscher den Spin eines Defektzentrums drehen und über eine gezielte Laseranregung seine Orientierung messen. Dieser dynamische Prozess lässt sich mit der Drehung eines winzigen Stabmagneten vergleichen. Bemerkenswert war nun, dass die Spin-Rotation bereits durch eine einzelne Messung der Spin-Ausrichtung stark behindert werden konnte. „Der Messprozess zerstört die quantenmechanische Kohärenz und hemmt so den weiteren dynamischen Ablauf. Durch die Möglichkeit zu messen oder nicht zu messen können wir entscheiden, ob die Spin-Rotation ungestört weiter verläuft oder zum Erliegen kommt", erklärt Wolters. Neuartig ist auch, dass sich das Experiment dank der Realisierung in einem Festkörper bei Raumtemperatur erstmals beliebig oft an ein und demselben Quantenobjekt durchführen lässt. Hierdurch lässt sich ausschließen, dass der beobachtete Effekt erst durch die Mittelung über viele ähnliche Systeme entsteht.
Die Ergebnisse der Forscher sind von weit reichender Relevanz. „Wir versprechen uns ein tieferes Verständnis der quantenmechanischen Dynamik und somit weitere Einsichten in die komplexe Wechselwirkung einzelner Quantensysteme mit ihrer Umgebung", sagt Prof. Benson.
Weitere Informationen
Die Ergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe der Online-Fachzeitschrift Physical Review A herausgegeben. J. Wolters, M. Strauß, R. S. Schönfeld, O. Benson, Physical Review A 88, 020101, (2013).
Kontakt
Prof. Dr. Oliver Benson
Humboldt-Universität zu Berlin
Tel.: 030 2093-7600
oliver.benson@physik.hu-berlin.de