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Zu viel Konzentration kann kontraproduktiv sein

Ein Interview mit Neurowissenschaftler Nicolas Schuck

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Neurowissenschaftler Nicolas Schuck. Foto: Anne Reitz

Der Neurowissenschaftler Nicolas Schuck hat an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) studiert und promoviert. Seit 2013 ist er Postdoc am Princeton Neuroscience Institute. Die Princeton University ist einer der Profilpartner der HU. Schuck hat in einer gerade veröffentlichten Studie gezeigt, dass es nicht immer sinnvoll ist, sich beim Lösen einer Aufgabe auf einen Weg zu fokussieren.

Herr Schuck, Sie behaupten, dass man mit Konzentration nicht unbedingt am effektivsten zur Lösung eines Problems kommt. Warum?

Unsere sensorischen Organe liefern uns im Millisekundentakt eine Vielfalt von Eindrücken. Letzten Endes haben wir aber nie genug Zeit, all diese Eindrücke zu verarbeiten. Dafür haben wir unsere Aufmerksamkeit. Sie wirkt wie ein Filter, mit dem wir uns auf die Aspekte fokussieren, die wir für wichtig halten. In den allermeisten Fällen funktioniert das hervorragend. Es gibt aber einen Nachteil: Unsere Aufmerksamkeit macht uns regelrecht blind für Dinge, die wir gerade nicht beachten, die uns aber zu interessanten und vielleicht sogar besseren Lösungswegen führen könnten. Zu viel Konzentration kann in manchen Fällen also kontraproduktiv sein, und die Frage ist: Können wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas fokussieren, und gleichzeitig nicht-fokussierte Inhalte verarbeiten?

Wie haben Sie diese Frage untersucht?

Wir haben Probanden eine einfache Aufgabe gegeben: Sie sollten Muster von Punkten in zwei Kategorien sortieren. Nach einer kurzen Zeit haben wir die Farben der Punkte so ausgewählt, dass die Probanden auch die Farben verwenden konnten, um die Punkte zu sortieren. Diese Farb-Regel führte siezum gleichen Ergebnis und war zudem sehr einfach — rote Punkte kamen in Kategorie 1, grüne in Kategorie 2. Während die Probanden an dieser Aufgabe gearbeitet haben, haben wir ihre Hirnaktivität aufgezeichnet.Uns hat interessiert, welche Hirnsignale vorher anzeigen, ob ein Proband den Farbtrick findet oder nicht.

Was genau haben Sie damit herausgefunden?

Zunächsteinmal haben wir herausgefunden, dass der Großteil der Probanden so sehr auf die Ecken-Regel konzentriert war, dass sie die Farb-Regel nicht bemerkt haben. Das ist ein beeindruckendes Beispiel für die Macht die Aufmerksamkeit. Am interessantesten ist aber, was wir in den Hirnsignalen von den "Entdeckern" gesehen haben: Wenige Minuten bevor diese Probanden anfingen, den Farb-Trick zu benutzen, hat ein Bereich im medialen präfrontalen  Cortex begonnen, die Farbe der Punkte zu verarbeiten. Das deutet drauf hin, dass in dieser Hirnregion die Verwendung der Farb-Regel intern simuliert wurde. Etwas Vergleichbares konnten wir bei den Nicht-Entdeckern nicht finden. So konnten wir allein anhandder Hirnsignale vorhersagen, wer die Farbe nutzen wird und wer nicht.

Warum kamen einigen Probanden auf den neuen Lösungsweg und andere nicht?

Wir können leider noch nicht genau sagen, wieso es diese Unterschiede zwischen den Probanden gab. Aber wir wissen jetzt, dass Prozesse im medialen präfrontalen Cortex möglicherweise der Schlüssel für die Frage sind, warum manche Probanden neue Lösungswege leichter entdecken als andere.  

Haben Ihre Probanden diesen Prozess bewusst miterlebt?

Im Nachhinein konnten uns alle Probanden sagen, ob sie die Regel bemerkt und benutzt haben. Interessanterweise aber war es zu dem Zeitpunkt, an dem das Gehirn damit begann, die Farbe zu verarbeiten, nicht allen Probanden bewusst, dass sie bald die Farb-Regel entdecken und nutzen würden. Dass wir so deutliche Hirn-Signale gefunden haben, die die Veränderung der Strategie schon Minuten vorher anzeigen, hat uns schon überrascht.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Lernforschung?

Die Frage, wie Aufmerksamkeit und Lernen interagieren, hat in den letzten Jahren an Beachtung gewonnen. Unsere Befunde zeigen, dass der mediale präfrontale Cortex eine wesentliche Rolle dabei hat, den Einfluss von möglicherweise unbewusst Gelerntem auf unsere Aufmerksamkeit zu regulieren.

Kann uns Ihre Beobachtung auch im Alltag nützen oder gelten die Ergebnisse eher für Prüfungs- und Laborsituationen?

Ich denke, dass es manchmal hilfreich sein kann, eine bekannte Lösung für ein Problem außer Acht zu lassen und das Ganze noch einmal unvoreingenommen zu betrachten. Gerade wenn man schon eine Lösung gefunden hat, übersieht man oft, dass es eine bessere geben könnte.

Weitere Informationen

Das Interview mit Neurowissenschaftler Nicolas Schuck ist am 29. April 2015 auf der HU-Sonderseite in der Berliner Zeitung erschienen. Das Interview führte Roland Koch.

Originalpublikation

Schuck NW, Gaschler R, Wenke D, Heinzle J, Frensch PA, Haynes J-D, Reverberi C (2015): Medial Prefrontal Cortex Predicts Internally Driven Strategy Shifts. Neuron 86: 331-340.

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