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"Ich bin eine Art Historikerin der Gegenwart"

Sharon Macdonald tritt Alexander von Humboldt-Professur an

Abb.: Sven Müller (Humboldt-Stiftung)

Abbildung: Sven Müller (Humboldt-Stiftung)

Sharon Macdonald hat ihre Alexander von Humboldt-Professur an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) angetreten. Sie untersucht, wie Kuratoren während der Vorbereitung von Ausstellungen arbeiten und wie alltägliche Museumsarbeit funktioniert.

Sharon Jeanette Macdonald promovierte 1987 an der University of Oxford. 1996 wurde sie Lecturer an der University of Sheffield, wo sie 2005 eine Professur für Kulturanthropologie erhielt. Von dort wechselte sie 2006 an die University of Manchester und 2012 an die University of York. Als Humboldt-Forschungsstipendiatin hielt sich Macdonald zwischen 2000 und 2007 mehrmals an der Universität Erlangen-Nürnberg und der HU auf. In China war sie 2011 Gastprofessorin an der Peking University.

Frau Macdonald, Sie waren schon 2007 als Humboldt-Forschungsstipendiatin an der HU. Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass Sie mit einem der höchst dotierten deutschen Forschungspreise wiederkehren werden?

Dass ich als Alexander von Humboldt-Professorin wiederkomme, hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen. Es ist etwas ganz Besonderes für mich, vor allem, weil nicht so viele ausländische Wissenschaftler in Deutschland Professoren sind. Ich bin sehr gerne in Deutschland und wäre schon damals gerne noch ein bisschen geblieben, um hier zu forschen.

Welches Projekt hat Sie damals an die HU geführt?

Ich habe mein Buch „Difficult Heritage“ über den Umgang mit Nazibauten in Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg zu Ende geschrieben, in dem ich mich mit der Beziehung von Kulturerbe, Identität und materieller Kultur beschäftige. Am Institut für Ethnologie der HU sind einige Kollegen, mit denen ich mich zu diesem Thema austauschen konnte. Außerdem gibt es auch in Berlin Bauten wie das Olympiastadion, das Holocaust-Mahnmal oder Projekte wie die Topografie des Terrors, die ich für meine Überlegungen spannend fand.

Was hat Sie an dem Thema gereizt?

Mich interessierte, wie eine Stadt und ein Land mit einer Vergangenheit umgehen, die nicht glorreich ist. Ich wollte wissen: Was macht man mit einem schwierigen Erbe, Bauten wie dem Reichsparteitagsgebäude und anderen, die in der Stadtlandschaft nicht zu übersehen sind? Wenn man genau hinschaut, dann zeigt sich oft, was man nicht erwartet hat. Ein Beispiel: Es wird oft gesagt, dass vor den 1960ern nichts getan wurde, und die Gebäude einfach für andere Zwecke genutzt wurden. Das stimmt so nicht, es gab auch damals schon Ideen, mit Geschichte umzugehen.

Sie sind Museumswissenschaftlerin und Sozialanthropologin, wie geht das zusammen? In dem einen Fach stehen Objekte im Mittelpunkt, in dem anderen Menschen.

Ich mache keine richtige Objektforschung, meine Museumsforschung hat hauptsächlich mit Menschen zu tun. Mich interessiert, wie alltägliche Museumsarbeit funktioniert. Wie und warum treffen Kuratoren und ihre Mitarbeiter bestimmte Entscheidungen und welche Konsequenzen haben diese? Worin bestehen die Herausforderungen, wo liegen die Hürden? Wie werden die Besucher eine unkonventionelle Darstellungsform oder eine beabsichtigte Infragestellung verstehen? Kann es zu Missverständnissen kommen? Was sind Vorteile und Nachteile, wenn man es trotzdem macht? Das sind einige Fragen, die wir mit unterschiedlichen Methoden in unseren Feldforschungen untersuchen.

Sie erhalten 3,5 Millionen durch die Alexander von Humboldt Stiftung und haben fünf Jahre Zeit, sie auszugeben. Wofür werden Sie das Geld einsetzen?

Das Geld wird vor allem in Personal fließen: Wir werden Doktoranden, Postdoktoranden, Mitarbeiter für das Zentrum für Kulturerbe- und Museumsforschung (Centre for Anthropological Research into Museums and Heritage) einstellen. Das Zentrum werden die HU, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Museum für Naturkunde am Institut für Europäische Ethnologie gründen. Es ist eine wunderbare Chance, so eine Forschergruppe aufzubauen und die nächste Forschergeneration auf den Weg zu bringen. Es ist auch eine phänomenale Möglichkeit, eine große Feldforschung darüber zu machen, was in den Berliner Museen zurzeit passiert. Wir blicken dabei aber auch auf andere Standorte. Wir möchten die Museumsarbeit verstehen und arbeiten an unseren Büchern und Publikationen, und ich hoffe, dass wir auch in den Entwicklungen präsent sein werden und mitteilen können, wenn wir andere Möglichkeiten der Präsentation sehen.

Was möchten Sie in den fünf Jahren erreichen?

Unsere Forschung konzentriert sich vorrangig auf das Museum für Islamische Kunst, das Museum für Naturkunde, in beiden finden bis 2019 Umbauarbeiten statt, und auf das Humboldt-Forum, das ebenfalls 2019 fertig werden soll. Wir werden den Entwicklungsprozess der Ausstellungen begleiten, auch wenn dieser zum Teil schon weit fortgeschritten ist, und wollen dabei auch neue Forschungsmethoden entwickeln. Geplant ist auch ein neuer Studiengang für Masterstudierende und ein Programm für Doktoranden. Soweit ich weiß, gibt es in Deutschland nur wenige Studiengänge im Bereich der Kulturerbe- und Musemsforschung aus anthropologischer Sicht.

An welche neuen Methoden denken Sie?

Ein Kollege hat beispielsweise eine Methode entwickelt, bei der Menschen durch die Stadt gehen und erzählen, was sie dabei sehen und denken. So eine Methode könnte man auch für Museen entwickeln.

Sie werden auch mit Neil MacGregor, der die Leitung der Gründungsintendanz des Humboldt-Forums übernommen hat, zusammenarbeiten. Haben Sie ihn schon getroffen?

Ja, wir haben miteinander gesprochen. Er hat gute Ideen und bringt viel Erfahrung mit. Es ist spannend, mitzuverfolgen, was dort passieren wird. Meine Rolle sehe ich als eine Art Historikerin der Gegenwart. Mein Team und ich haben die Möglichkeit, nicht nur ins Archiv zu gehen und Bücher zu lesen, sondern können auch mit den verantwortlichen Menschen sprechen. Das ist wichtig, denn manchmal ist im Nachhinein gar nicht so klar, was zu bestimmten Entscheidungen geführt hat, was die ehrlichen Gründe waren. Es ist ganz selten, dass man als Wissenschaftler so einen Prozess begleiten kann und wichtig, um für zukünftige Projekte daraus zu lernen.

Das Projekt Humboldt-Forum gerät regelmäßig in die Kritik, städteplanerisch, architektonisch, finanziell – auch wegen des kolonialen Erbes der ethnologischen Sammlungen. Wie sollte man mit Letzterem umgehen?

Es gibt darauf nicht die eine richtige Antwort. Ich finde auch, dass die Diskussion zu diesem Thema allgemein recht grob geführt wird. Es geht um unterschiedlichste Ausstellungsstücke, unterschiedliche Länder, es ist wichtig, miteinander in Kontakt zu treten, zu kommunizieren. Manchmal werden Ausstellungsstücke zurückgegeben, das ist häufig bei sterblichen Überresten der Fall, wie im Fall der Maori-Köpfe, die an Neuseeland zurückgegeben wurden. In anderen Fällen werden Ausstellungsstücke formal wiedergegeben, verbleiben aber teilweise dort, wo sie sind und umgekehrt. Manchmal ergeben sich spannende Projekte daraus, weil man anfängt, die Sammlungen gemeinsam zu erforschen. Man gibt nicht nur etwas zurück, sondern alle bekommen etwas.

Die HU wird sich im Humboldt-Forum auf 6000 Quadratmetern mit dem Humboldt-Lab präsentieren. Die Vision ist, eine offene Universität zu verwirklichen. Das Publikum soll ganz nah an Wissenschaftsprozessen und interdisziplinärer Forschung beteiligt werden. Wie gefällt Ihnen die Idee?

Ich finde, dass so etwas im Humboldt-Forum sehr gut wäre. Es ist auch eine Chance, etwas Neues, Innovatives zu machen und Forschung nicht nur auf altmodische Art zu zeigen, etwa auf Tafeln. Universitätsmuseen haben nicht die üblichen Beschränkungen wie andere Ausstellungen, die super schick und perfekt sein müssen, sie können experimenteller sein und sollten auch mal schwierig oder provokant sein dürfen.

Worauf achten Sie, wenn Sie selbst ein Museum besuchen?

Mich interessieren gute Ideen, interessante Fragen und Perspektiven. Heute stehen so viele neue Medien zur Verfügung, man muss nicht immer nur mit Objekten, Vitrinen oder Tafeln arbeiten. Ein Museumsbesuch kann auch eine soziale Erfahrung sein, indem beispielsweise fremde Leute etwas zusammen machen. Das Museum für Weltkultur in Göteborg beispielsweise greift unkonventionelle Themen und experimentelle Präsentationsarten auf. Das gefällt mir. Ich finde es auch wichtig, Fragen der Dreidimensionalität und Multisensorialität stärker in die Überlegungen miteinzubeziehen.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Ich tanze sehr gerne. Es ist immer ein besonderes Erlebnis, im Monbijou Theater zu tanzen – am Ufer der Spree und im Schatten des Bode-Museums. Traumhaft!

Das Interview führte Ljiljana Nikolic.

Weitere Informationen

Dieser Text erschien in der Beilage "Humboldt-Universität" am 10. Oktober 2015 im Tagesspiegel.

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