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„Für die Berliner Graffitikunst war die Mauer prägend“

Internationale Tagung zu Kunst- und Kritikformen in Städten. Interview mit Kunstprofessorin Ilaria Hoppe

Der öffentliche Raum, seine Nutzung und Ausgestaltung sowie die Machtverhältnisse, die sich darin spiegeln, sind schon seit der Studienzeit die Themen von Ilaria Hoppe, Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Oft interessieren sie dabei geschlechtsspezifische Fragestellungen. Für ihre Promotion im Jahr 2004 untersuchte sie anhand der Medici-Villa Poggio Imperiale in Florenz, wie deren Außen- und Innenarchitektur auf die Macht der Herrscherfamilie wirkten und wie – anders herum – die Macht und der Reichtum die visuelle Dekoration des Gebäudes beeinflussten, um eine weibliche Herrschaft in Szene zu setzen.

Für den 15. bis 16. Juli 2016 hat sie zusammen mit dem Kunsthistoriker Ulrich Blanché von der Universität Heidelberg die internationale öffentliche Tagung Urban Art: Creating the Urban with Art am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der HU organisiert.

Im Interview erklärt die Professorin, warum es bei Urban Art um gesellschaftliche Teilhabe geht und welche Rolle die Berliner Mauer für die Graffiti-Kunst in Berlin spielte.

Beginnen wir mit den Begrifflichkeiten: Der Begriff Street Art für künstlerische-politische Flächengestaltungen in einer Stadt ist weitestgehend bekannt. Warum sprechen Sie und Ihre Kollegen nun von Urban Art?

Man geht an das Phänomen mittlerweile ganzheitlicher heran. Der Begriff Street Art hat eine starke Verbindung zur Straße und eben zu Oberflächen. Das, was wir aber jetzt sehen, sind mehr als Graffiti, Cut-Outs oder sonstige Gestaltungen, die eine Trägerfläche brauchen. Urban Art umfasst beispielsweise auch unerlaubte Begrünungsaktionen oder das Erschaffen von temporären Aufenthaltsorten.

Warum ist es wichtig, Urban Art zu erforschen?

Alternativtext
Prof. Dr. Ilaria Hoppe
Abbildung: Barbara Herrenkind

Urban Art entsteht aus dem Leben einer Stadt heraus. Sie ist Ausdruck von Urbanität, also des sozialen, historischen und stadtplanerischen Gefüges. Gleichzeitig wirkt Urban Art auf die Stadt und ihre Bewohner zurück, sie beeinflusst wie wir unsere Städte wahrnehmen – und wie wir uns letztendlich damit identifizieren.

Es besteht eine Wechselwirkung. Wir untersuchen also nicht so sehr die Einzelwerke als Kunst an sich, sondern Kunst und künstlerische Praktiken in der Fülle ihrer Erscheinungen und in ihrem jeweiligen Kontext.

Hieraus ergibt sich eine interdisziplinäre Betrachtungsweise. Kunsthistoriker, Designer, Architekten, Stadtplaner, Soziologen und Ethnologen bringen ihre jeweiligen Perspektive ein. Ziel ist eine überfachliche Betrachtungsweise, die das Phänomen breit belichtet, sodass wir es gemeinsam besser verstehen können.

Worum geht es konkret auf der Tagung?

Es geht, grob gesagt, um Urbanität. Darum, wie auch immer geartete kreative Prozesse, Aktionen und Proteste Urbanität erschaffen. Es liegt in der Natur von Urban Art, dass sie schwer fassbar und damit schwer beschreibbar ist. Hierin liegt aber auch die Faszination, sich mit ihr zu beschäftigen.

Um die Annäherung zu erleichtern, setzten wir Urban Art in Beziehung zu Themen wie Digitalisierung, Rezeption oder territoriale Markierung. Dazu werden internationale Experten, aus Genf, Jerusalem, Palermo oder New York sprechen und miteinander diskutieren.

Urban Art prägt heute das Image von vielen Großstädten. Wie kam es zu dieser rasanten Ausbreitung?

Ich erinnere mich, wie verblüfft ich war, als ich 2001 aus Italien zurückkam. An den Wänden Berlins tauchten Bilder auf (vor allem Cut-Outs, Stencils und Sticker). Ab 2003 setzte ein regelrechter Boom in der Flächengestaltung in Friedrichshain, Kreuzberg, Mitte und Prenzlauer Berg ein. Hier gab es eben noch viele ungenutzte und weitestgehend unkontrollierte Flächen.

Urban Art Maus
Urban Art in Berlin
Abbildung: Bargel & Kirstein

Für die rasante Ausbreitung der Urban Art sehe ich vor allem zwei Einflüsse: die Ausbreitung des Web 2.0. und Sharing-Platformen. Sie wirken wie ein Katalysator in der Produktion, Verbreitung und Rezeption dieser oft auch gesellschaftskritischen und protesthaften Ausdrucksform.

Zum anderen gab es fließende Übergänge zu verschiedenen politischen Strömungen und die Städter sind kritischer und aufmerksamer geworden, was die Nutzung und Bebauung ihrer Stadt betrifft. Die Menschen wollen mehr mitbestimmen, und nicht einfach vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Dieses Bedürfnis findet in den vielen Facetten der Urban Art Ausdruck.

Es geht bei der Urban Art also um Teilhabe …

Ja, um Teilhabe an der Gestaltung und Nutzung des städtischen Raums. Die Stadt ist ein soziales Gefüge, das gerade durch seine Vielfalt zum urbanen Erlebnis wird. Man will nicht mehr nur hinnehmen, akzeptieren und konsumieren, sondern mitgestalten und partizipieren.

Eine weitere Funktion kann das Kennzeichnen von Territorien sein. Bestimmte soziale – vielleicht auch rivalisierende Gruppen – kennzeichnen ihr Gebiet. Oft ist das im Kontext von Sport der Fall. Hier rückt der künstlerische Gehalt meist in den Hintergrund.

Was unterscheidet die Urban Art in den Städten dieser Welt? Welches besondere Merkmal hat die Szene in Berlin?

Der Unterschied liegt in der Sprache, im Wortwitz, den Anspielungen auf die Gegebenheiten vor Ort, nicht so sehr in den Gestaltungsmitteln oder den Stilen. Die sind international.

Für die Berliner Graffitikunst war die Mauer extrem prägend, als Thema aber auch als Fläche. Heute ist das Image Berlins eng mit den Graffiti auf den Mauerresten verbunden. Sie werden als Postkarte in die Welt geschickt.

Welche Entwicklung wird die Street Art nehmen. Welche Tendenzen gibt es?

Street Art hat sich immer weiter entwickelt und war oft Vorreiter bestimmter Entwicklungen wie der Digitalisierung der Städte. Die letzten Trends zeigen deutlich weiter in diese Richtung. Außerdem gibt es Projekte, die sich global ausdehnen und immer mehr Festivals, die sich an ganz unterschiedliche Altersgruppen wenden. Schließlich nimmt die Legalisierung deutlich zu; viele Kommunen nutzen bewusst die positiven Effekte von Urban Art, wie Kommunikation und Partizipation.

Seit 2016 vertritt Ilaria Hoppe am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der HU als Professorin den Lehrstuhl für Neuere Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt Moderne.

Das Interview führte Christin Bargel, Pressereferentin HU Berlin

Urban Art: Creating the Urban with Art

15.-16. Juli 2016 (ganztägig)
Humboldt-Universität zu Berlin
Dorotheenstraße 26
Hörsaal 207

Die Tagung ist öffentlich, eine Anmeldung nicht erforderlich.

Kontakt

Prof. Dr. Ilaria Hoppe

Institut für Kunst- und Bildgeschichte
Humboldt-Universität zu Berlin

Tel.: 030 2093-66235
Ilaria.hoppe@culture.hu-berlin.de

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