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„Der Islam ist immanenter Bestandteil Europas“

Die Doktorandin Adela Taleb erforscht, wie muslimische Akteure in europäischen Institutionen agieren

Muslima Colourbox

Muslimische Frauen. Abbildung: colourbox.de

Adela Taleb ist Stipendiatin im strukturierten Promotionsprogramm „Religion, Wissen, Diskurse“, das aus Mitteln der Exzellenzinitiative gefördert wird. In ihrer Doktorarbeit untersucht sie durch das Prisma „Europäischer Islam“ verschiedene Regulierungsmechanismen innerhalb der Europäischen Union.

Frau Taleb, wie aktiv vertreten Muslime ihre Anliegen in der EU?

Im Bereich Minderheiten und Religion hat sich in der EU spätestens seit dem Vertrag von Lissabon 2009 viel getan. Es gibt immer mehr muslimische Verbände und Organisationen, die auf europäischer Ebene agieren. Ich möchte wissen, wie es diesen muslimischen Akteuren gelingt, Themen auf die politische Agenda zu setzen oder auf andere Weise Einfluss zu nehmen und auch, wie sie mit den wichtigsten EU-Institutionen interagieren.

Warum untersuchen Sie das Thema gerade aus dem Blickwinkel des Islam?

Die Linse Islam ist sehr aufschlussreich: Auf diesem Gebiet werden derzeit viele Grundwerte der Europäischen Union besonders intensiv verhandelt und elementare Begriffe wie Demokratie, Europäische Staatsbürgerschaft oder Macht beständig modifiziert. Das sagt nebenbei auch sehr viel darüber aus, was wir aktuell unter „Europäischer Kultur“ verstehen.

Wie kann man den Begriff definieren?

Es gibt Werte wie beispielsweise Meinungs und Religionsfreiheit, Menschenrechte und Demokratie, denen sich die Europäischen Institutionen verschrieben haben. Aber die eigene Kultur als fix zu betrachten, ist hochproblematisch. Denn der Begriff der „Europäischen Kultur“ ist genauso diskursiv wie der des „Europäischen Islam“. Europa hat allein in den letzten hundert Jahren große ökonomische Umbrüche erlebt und auch politisch hat sich vieles fundamental verändert – Frauenrechte sind hierfür ein gutes Beispiel. Als Anthropologin ist es für mich wichtig, den Blick immer wieder auch auf Randerzählungen und Vergessenes zu richten.

Was übersehen wir?

Ein Beispiel: Als Frankreich die Römischen Verträge unterzeichnete, war es noch eine Kolonialmacht. Mit Algerien gehörte also auch ein afrikanisches Land am Anfang zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Wenn man das weiß, kann man auch ganz andere Begriffe bezüglich Europa in die Waagschale werfen – Menschenrechtsverletzungen, Krieg, Besatzung und Gewalt waren damals prägende Elemente der Europäischen Kultur und auch heute gibt es problematische, weniger positive Assoziationen. Das zeigt beispielsweise ein Blick auf die aktuelle Flüchtlingskrise und das, was wir als „Festung Europa“ bezeichnen.

HU-Doktorandin Adela Taleb
Adela Taleb, Abbildung: privat

Was heißt das für die heutige Debatte?

Es wäre der aktuellen Debatte sicherlich zuträglich, wenn sich die Menschen öfter klar machen würden, dass das, was man als eigen und statisch wahrnimmt, ebenso immer ein Prozess des Aushandelns und Definierens ist. Hierbei sind kollektive Vorstellungen entscheidend, die es ebenfalls zu hinterfragen gilt.

Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff „Europäischer Islam“ verwenden?

Je nachdem, welche Zielgruppe man befragt, kann das Konzept sehr unterschiedliche Elemente beinhalten. In meiner Arbeit möchte ich keine nationalen Vergleichsstudien betreiben, also beispielsweise den Islam in Frankreich mit dem Islam in England vergleichen. Ich untersuche, welche grenzüberschreitenden institutionalisierten Verbindungen es gibt. Exemplarisch analysiere ich zu diesem Zweck eine Jugendorganisation mit Sitz in Brüssel. Es handelt sich dabei um einen Dachverband, der 35 muslimische Organisationen aus 20 verschiedenen Nationen vereint und die Interessen junger Muslime innerhalb der EU vertritt.

Mit welchen Themen befasst sich dieser Dachverband?

Zurzeit ist der antimuslimische Rassismus eine alltägliche Erfahrung, die sehr viele Muslime machen. Bei Treffen diskutieren die jungen Erwachsenen dann beispielsweise, wie sich der Zugang zum Arbeitsmarkt für Frauen mit Kopftuch in den jeweiligen Ländern gestaltet und überlegen, wie man solchen Ausgrenzungsmechanismen auf EU-Ebene entgegenwirken kann.

Wie gehen die Mitglieder dabei vor?

Insbesondere mit Veranstaltungen, die den interreligiösen und interkulturellen Austausch fördern. Durch Schulungen will die Organisation Muslimen und Nicht-Muslimen außerdem Werkzeuge an die Hand geben, um Islamophobie zu erkennen und dagegen vorzugehen. In einem weiteren Arbeitsbereich der sich „Civic Engagement and Active Citizenship“ nennt, geht es darum, das Interesse junger Muslime zu wecken, sich als europäische Staatsbürger aktiv in die Zivilgesellschaft einzubringen – beispielsweise mit Aktionen zu Umweltschutz.

Gibt es eine Schnittmenge an Gemeinsamkeiten, die man unter den Begriff „Europäischer Islam“ fassen kann?

Mit Sicherheit. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass die islamische Kultur in Europa sehr heterogen ist. Aus diesem Grund ist der Dachverband so spannend: Dort kommen junge Muslime aus vielen Nationen mit ganz unterschiedlichem Erfahrungsschatz zusammen. Besonders interessant ist in diesem Fall, dass viele Mitglieder aus Osteuropa, beispielsweise aus Bosnien und Herzegowina oder Albanien, stammen. Sie haben eine ganz andere Perspektive, die meistens von den westlichen Wahrnehmungen überlagert wird, die den Diskurs um Europa dominieren. Hier wird der Islam in aller Regel mit Migration assoziiert. In Teilen von Osteuropa hingegen ist der Islam schon sehr lange präsent. Wer fragt, ob der Islam zu Europa gehört, stellt daher die falsche Frage. Der Islam ist immanenter Bestandteil Europas und nicht etwa erst durch Zuwanderung aus der Türkei oder den ehemaligen französischen Kolonien hierhergekommen.

Ist es nicht problematisch, Menschen ausschließlich einer bestimmten Gruppe zuzuordnen?

Ja. Denn neben Muslim oder Muslima identifizieren sich diese Menschen natürlich auch noch als vieles andere: als Frau, Hobbyreiterin, Jurist oder jüngste Schwester. In Bezug auf Minderheiten schwingt häufig die Vorstellung von einer homogenen Mehrheit mit, von der die als Minderheit klassifizierte Person als abweichend konstruiert wird. Dadurch fixieren und reduzieren sich die vielfältigen Identifikationsmöglichkeiten eines Individuums allerdings auf einen Teilaspekt. Genau deswegen finde ich es interessant zu fragen, warum sowohl die Jugendlichen in der NGO, die ich untersuche, als auch die EU-Akteure Islam als die Hauptidentifikationsdimension wählen.

Das Interview führte Katja Riek

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