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„CETA muss demokratisch legitimiert sein“

Die Abgabe ihrer Souveränität beim Thema internationaler Handelspolitik fällt vielen EU-Staaten — vor allem Deutschland und Frankreich — schwer. Über die Frage, warum das Verhandlungsmandat der EU beim Thema Freihandelsabkommen umstritten ist, klärt HU-Prof. Dr. Nikolaus Wolf auf.

Prof. Dr. Nikolaus Wolf, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften leitet das Institut für Wirtschaftsgeschichte. Er beschäftigt sich mit Außenhandel in einer langfristigen Perspektive und beobachtet die laufenden Diskussionen um Freihandelsabkommen.

Am 19. September wurde auf einem Parteikonvent der SPD die Beschlussgrundlage für das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada festgelegt. Zwei Drittel aller SPD-Mitglieder stimmten dafür. Was erhofft sich Europa dadurch?

Nikolaus Wolf: Einerseits muss man sehen, dass die Relevanz Europas in der Weltwirtschaft schrumpft, ebenso die der USA und Kanadas. Europa ist klein, und noch kleiner sind einzelne Staaten wie Deutschland oder Frankreich. Dies geschieht schon deshalb, weil sich andere Teile der Welt sehr gut entwickeln. Europa muss also dafür sorgen, dass es seine strategische Bedeutung behält, beispielsweise durch Abkommen mit anderen Staaten wie den USA oder Kanada. Die kleinteiligen Probleme innerhalb Europas erhöhen die Gefahr, dass man international an Bedeutung verliert. Ein Freihandelsabkommen kann dazu beitragen, Europas Einfluss auf die internationale Handelspolitik zu sichern.

Auf der anderen Seite gibt es bei modernen Handelsabkommen ein Demokratiedefizit, weil es schon lange nicht mehr allein um Zölle geht, sondern um Regulierungen und Standards, die viele Lebensbereiche betreffen. Die Frage, wie man eine globale Wirtschaft regulieren soll — wenn der politische Prozess im Wesentlichen nationalstaatlich organisiert ist — bleibt offen.

Welche Vorteile bringt der Freihandel?

Prinzipiell bietet der Freihandel Vorteile für alle Handelspartner. Er bietet Möglichkeiten zur Spezialisierung und zur Produktivitätssteigerung. Es gibt auch klare empirische Belege dafür, dass eine Liberalisierung des Handels zum wirtschaftlichem Wachstum beiträgt.

Allerdings gibt es dabei Gewinner und Verlierer, was in den letzten Jahrzehnten immer deutlicher wurde. Das hat damit zu tun, dass die globale Wirtschaft heute anders funktioniert als noch vor 30 Jahren. Häufig sind international agierende Konzerne — die „Multinationals“ — in vielen Ländern und Geschäftsbereichen gleichzeitig aktiv. Dabei lassen sich Industrie und Dienstleistungen nicht immer klar trennen. Diese großen Unternehmen profitieren oft viel stärker als andere von einer Liberalisierung. Zugleich ist in den letzten Jahrzehnten die internationale Arbeitsteilung und die Auslagerung von Dienstleistungen in unabhängige Unternehmen immer weiter vorangeschritten. Der Dienstleistungsbereich, der eng mit der Industrie verzahnt ist, hat sich als eigener Sektor herausgebildet. Ein internationales Handelsabkommen muss sich demzufolge stärker auf die Regulierung von Dienstleistungen konzentrieren als früher.

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Abbildung: Prof. Dr. Nikolaus Wolf

Warum fällt es uns so schwer, über europäische Handelspolitik zu diskutieren?

In Europa ist die moderne Demokratie mit der Entwicklung zum Nationalstaat verbunden. Demokratie braucht eine Öffentlichkeit, die es außerhalb des Nationalstaats nicht gibt. Es wäre wünschenswert, wenn es tatsächlich gelänge, supranationale demokratische Strukturen zu entwickeln. TTIP befindet sich aber noch eine Stufe darüber. Die Europäer müssten sich erstmal selbst einigen, um sich gegenüber einem starken Verhandlungspartner wie den USA auf internationaler Ebene durchzusetzen. Da besteht berechtigterweise die Sorge, dass das kein europäisch-demokratisches Ergebnis produzieren wird, sondern eines, dass ganz stark gesteuert wird von einigen wenigen, die da durchblicken: Lobbygruppen und großen Konzernen. Das ist ein sehr reales Problem.

Allerdings ist bei TTIP auch nicht klar, ob die Bevölkerung das Verhandlungsmandat vollständig den Verhandlungsführern überlassen möchte. Die EU-Kommission hat den Auftrag, Handelspolitik zu betreiben, weil es Gemeinschaftsaufgabe ist. Doch diese Art von Handelspolitik, über die wir reden, spielt wie gesagt in so viele Lebensbereiche hinein - Wettbewerbsrecht, Investorenschutz, Umweltstandards – dass sich die Frage nach dem Mandat neu stellt.

Noch ein Punkt ist wichtig: bei einem solch umfassenden Freihandelsabkommen müssen die sogenannten Outsider (Drittstaaten, die nicht beteiligt sind) mit Hilfe von Ursprungslandregelungen daran beteiligt werden, um negative Auswirkungen zu vermeiden. Das ist gerade für Afrika wichtig. Angesichts des anhaltenden Migrationsdrucks aus den afrikanischen Ländern erscheint mir dies für Europa von fundamentaler Bedeutung.

Wer profitiert langfristig von solchen Abkommen?

Primär große Konzerne, wovon einige in Europa und Deutschland angesiedelt sind. Allerdings könnten auch viele internationale ausgerichtete mittelständische Betriebe in Deutschland profitieren. Nach der Übernahme von Monsanto könnte Bayer durch seine übermäßige Marktmacht massiven Einfluss auf die Struktur in der Landwirtschaft global ausüben. Gleichzeitig könnte es aber auch eine Chance sein, diesen Einfluss der deutschen Politik in eine positive Trendwende zu verwandeln. Generell gilt aber, dass der Sektor der Landwirtschaft besonders stark in Mitleidenschaft gezogen wird und ein Druck zu einer verstärkten „Industrialisierung der Landwirtschaft“ besteht. Wichtig ist, dass die Politik überhaupt die Regelkompetenz über die Wirtschaft behält und diese beispielsweise nicht durch private Schiedsgerichte ausgehebelt wird.

Wie bewerten Sie die massiven Proteste gegen die aktuellen Freihandelsabkommen?

TTIP und CETA einfach als Werk des Bösen ablehnen ist sicher falsch. Allerdings muss eine öffentliche Diskussion darüber stattfinden. Die neuen Entwicklungen der Weltwirtschaft erfordern dringend auch andere Rahmenbedingungen, über die debattiert werden müssen. Wir brauchen internationale Kooperationen, jedoch ohne das politische Mitspracherecht zu riskieren. Eine Institution auf supranationaler Ebene wie einen internationalen Handelsgerichtshof wäre erstrebenswert, aber sie muss demokratisch legitimiert sein. CETA könnte ein erster Schritt dorthin sein.

Das Interview führte Markus Lemke

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Prof. Dr. Nikolaus Wolf
Humboldt-Universität zu Berlin

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