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Mehr als ein „Grünes Klassenzimmer“

Auf der Internationalen Gartenausstellung Berlin informiert ein Modellprojekt erstmals über landwirtschaftliche Berufe. Das Thaer-Institut der Humboldt-Uni wirkt mit

Grüne Workcamps auf der IGA Berlin
Die Teilnehmer lernen viel über Natur und die Grünen Berufe.
Foto: Matthias Heyde

Schon von weitem ist der Wolkenhain, der milchfarbene, futuristische Aussichtsbau der Internationalen Gartenausstellung (IGA), zu sehen. Ihn passieren die Gondeln einer 30 Meter hohen Seilbahn, die sich über das gesamte Gelände – die auf 40 Hektar erweiterten und nun doppelt so großen Gärten der Welt und den neuen, 60 Hektar umfassenden Kienbergpark in Marzahn-Hellersdorf – erstreckt. Seit Mitte April und noch bis Mitte Oktober werden hier vor allem Gartenkunst und Landschaftsarchitektur geboten, aber auch Umweltbildung, und zwar auf dem IGA-Campus. Rund 300 Auszubildende, Jugendliche und Schüler suchen den interaktiven Lernort zwischen Kienbergpromenade und Wuhleteich täglich auf, sechs Themenbereiche stehen zur Auswahl.

Den größten bilden die IGA-Workcamps zu den Grünen Berufen. Dafür haben sich die IGA Berlin 2017 GmbH, die staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau (LVG) Heidelberg und die Humboldt-Universität zu Berlin als führender Partner zusammengetan. Wie Campus-Leiter André Ruppert erklärt, sei Umweltbildung bei Gartenschauen kein neues Thema, „oft gibt es ein ‚Grünes Klassenzimmer’ oder eine Kräuterführung, aber wir wollten es moderner angehen“. Er führt aus: „Wir wollten nicht nur ein Programm auf die Beine stellen, sondern auch internationalen Austausch haben und lebenslanges Lernen thematisieren – so kamen wir auf die Workcamps.“ 2015 wurde der entsprechende Antrag gestellt, jetzt fördern der Europäische Sozialfonds und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit das Modellprojekt zur Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung mit rund 1,4 Millionen Euro.

Interdisziplinärer Ausstausch bei den IGA-Workcamps

Grüne Workcamps auf der IGA Berlin
Die HU-Wissenschaftler mit Umweltministerin
Dr. Barbara Hendricks. Foto: Matthias Heyde

Wissenschaftlich angesiedelt sind die Workcamps bei der Fachdidaktik Agrar- und Gartenbauwissenschaften am Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften, Marcel André Robischon ist hier seit 2013 Juniorprofessor und seit 2014 Fachgebietsleiter, sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Dieter Franz Obermaier leitet das Projekt. Ihn beschäftigt vor allem die Schere zwischen den technischen Entwicklungen und den ursprünglichen Aufgaben in der Landwirtschaft. „Sie geht immer weiter auseinander“, so der Didaktiker, „auch weil unsere Berufsausbildung in der Technikvermittlung spitze ist. Aber diese Kühe, Schweine und Mikroorganismen – gehören die nicht auch dazu?“, scherzt er. Es sei manchmal merkwürdig, wie wir mit diesen lebendigen Wesen umgehen, als wären sie Motoren, und es dränge sich die Frage auf, „ob das noch Landwirtschaft ist, und ob wir diese Form wollen“, so Obermaier.

Theoretisch reflektiert und praktisch ausprobiert werden diese und andere Fragen sowie deren Vermittlung in den Workcamps. Diese bestehen wiederum aus einzelnen Modulen, an deren Durchführung das gesamte achtköpfige IGA-Team der HU beteiligt ist. „Den größten Teil übernehmen aber die sechs studentischen Mitarbeiter“, erläutert Prof. Robischon. „Denn es geht ja auch um ihre Lern- und Bildungsprozesse und nicht nur um die der Teilnehmer, zumal die Hälfte von ihnen Lehramtsstudenten sind.“ Unter ihnen sind nicht nur angehende Agrar- und Gartenbauwissenschaftler, sondern auch Chemiker oder Geografen, was für einen regen interdisziplinären Austausch sorgt, von dem letztlich auch die Teilnehmenden profitieren, denn, so Robischon, „wir bieten hier Möglichkeiten, sich bei der Berufswahl zu orientieren.“

Flaschengärten und Zauneidechsenhabitate

Grüne Workcamps auf der IGA Berlin
Flaschengärten blühen ohne menschliche Hilfe. Foto: Matthias Heyde

Konkret treffen sich die Studierenden auf dem IGA-Campus mit zwölf bis 20 Teilnehmern im Alter von 15 bis 25 Jahren für mindestens drei Tage, dazu kommen Freizeitprogramm und Übernachtung. Eine von ihnen ist Lena Karwen, gemeinsam mit den Gruppen legt sie Flaschengärten an, „geschlossene Systeme mit vielen Kreisläufen wie Photosynthese und Stoffwechsel, die ohne menschliche Hilfe funktionieren“, so die Masterstudentin. Sie erzählt, dass auf dem Campus Nord sogar ein über zehn Jahre alter Flaschengarten steht. In einem anderen Modul baut Manuela Hager Zauneidechsenhabitate. Die Tiere brauchen „ein bisschen Sand, um Eier legen zu können, ein paar Steine, die sich aufheizen, und Versteckmöglichkeiten“. Dazu müsse die Gruppe prüfen, wie der Stand der Sonne sei, ob es genug zu fressen gebe, was sich anhand von Fraßspuren vertilgter Insekten herausfinden lasse. „Und natürlich sollte das Habitat nicht direkt am Weg liegen“, weiß Hager. Das Feedback sei „durchweg positiv“, berichtet die Studentin. „Oft gibt es eine 180-Grad-Wende: Vorher wissen die Leute gar nicht, was ein Habitat ist – hinterher können sie sich vorstellen, in der Landwirtschaft zu arbeiten.“

Auch aufgrund dieses Erfolgs sollen die Workcamps Grüne Berufe weiterentwickelt werden. „Wir wollen mit dem Modellprojekt in die nächste Runde, und wir wollen, dass sich die ganze Campus-Idee auf Bundes- und Landesgartenschauen etabliert“, so Obermaier. Prof. Robischon würde die Camps gerne international umzusetzen, dazu gebe es gute Kontakte nach Frankreich, Italien und China. Bis dahin stehen eine Selbst- und eine Fremdevaluation an, letztere übernimmt das auf Lern- und Bildungsprozesse spezialisierte TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen der Universität Ulm. Unberührt davon bleibt das Umweltbildungszentrum am Wuhleteich erhalten, die Kinder und Jugendlichen vor Ort können es dauerhaft nutzen.

Autor: Michael Thiele

Weitere Informationen

Webseite Grüne Workcamps

Kontakt

Prof. Dr. Marcel Robischon

Lebenswissenschaftliche Fakultät der HU
Projektleiter IGA-Workcamps (HU-intern)

Tel.: +49 (0)30-2093-6571
robischm@hu-berlin.de