„Das Exzellenzcluster verteidigt eine interdisziplinäre Idee von Universität im weitesten Sinn“
Prof. Bredekamp,
Foto: Barbara Herrenkind
Herr Prof. Bredekamp, fünf Jahre Exzellenzcluster „Ein Interdisziplinäres Labor. Bild Wissen Gestaltung“ – welches Projekt hat Sie besonders fasziniert?
Bredekamp: Wir haben bereits in einem Vorläufer-Projekt begonnen, die Frage der Bildaktivität, also der Eigentätigkeit von kulturellen Erzeugnissen insbesondere am Bild, zu untersuchen und zu fragen, wie diese mit dem Körperschema der Biologie und auch der Philosophie zusammenwirkt. Wir sehen Bilder nicht als Abbilder an, die lediglich etwas wiedergeben, sondern gewissermaßen als etwas Lebendiges: Die Welt kommt uns entgegen, als solche, aber vor allem auch in den Artefakten. Das heißt, wir sind nicht Herr im Haus, wir werden selbst von einer Kraft vorangetrieben, ohne dass wir sie steuern können.
Was bedeutet das das für den Begriff von Kultur?
Bredekamp: Es handelt sich um eine weitreichende Neubestimmung von Kultur, die die Welt als Produkt unserer nur eingeschränkten Wahrnehmung definiert. Unser Ausgangspunkt ist von dem leider verstorbenen Philosophen John Michael Krois mitentwickelt worden. Es geht um die Anerkennung, dass wir im Wechselspiel von Gehirn, Körper, Gesten, Handlungen und Gestaltungen, und dem, das uns als Geformtes entgegentritt, die Welt wie im Echolot, als „affordance“, wahrnehmen. Das anthropologisch und biologisch angelegte Körperschema der Biologie und die Philosophie des „Extended Mind“ kommen hier zusammen. Hier hat vor allem die Biologie einen starken Anknüpfungspunkt gefunden. Wir glauben, gemeinsam mit der Psychologie den bildaktiven und körperschematischen Charakter dessen, was uns entgegenkommt, experimentell bewiesen zu haben. Das ist eine wirkliche Entdeckung.
Wolfgang Schäffner
Foto: Kerstin Kühl |
BWG 2014
Herr Schäffner, Interdisziplinarität wird im Cluster großgeschrieben, welche Disziplinen waren für Sie als Geistes- und Medienwissenschaftler interessant?
Schäffner: Mein Interesse richtet sich vor allem auf Raum als materiale Strukturen und Architekturen. Zentral ist die Zusammenarbeit mit Architekten, Gestalterinnen aber auch Materialforschern, mit Physik und Biologie. Wir haben als einen gemeinsamen Gegenstand Strukturen gefunden, die die Frage von Architektur und von Material ganz neu denken lassen. Dabei ist meine Arbeit als Historiker und Theoretiker auch unmittelbar im Labor angekommen. Das war immer mein Traum, denn dies verändert das Denken, sowohl aus geistes- wie auch aus naturwissenschaftlicher Perspektive. Das führt zu einer neuen Geistes- und Materialwissenschaft, die in sich eine Vielzahl von Disziplinen enthält. Mit dem Materialwissenschaftler Peter Fratzl als drittem Sprecher markieren wir diesen Weg ganz explizit. Genau das war das Ziel der Clusters.
Warum ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit so wichtig?
Schäffner: Komplexe Probleme lassen sich nicht in den Grenzen eines einzelnen Fachs lösen. Die Universität ist notwendigerweise nach Disziplinen organisiert, die sehr spezialisiert sein können und müssen. Gemeinsame Räume, in denen alle diese verschiedenen Expertisen zusammenarbeiten, gibt es aber eigentlich nicht. In unserem Cluster haben wir über 40 Disziplinen, die bei uns ganz eng zusammenarbeiten. Ihre gegenseitige Fremdheit ist längst verloren gegangen, da sie an Fragestellungen arbeiten, die für sie alle zentral sind.
Bredekamp: Vor allem englischsprachige Kollegen sind immer wieder überrascht über die Selbstverständlichkeit, in der wir im Labor zusammenarbeiten. Das ist, denke ich, das wichtigste Ergebnis. Das Exzellenzcluster verteidigt eine interdisziplinäre Idee von Universität im weitesten Sinn, die zunehmend bedrängt, vielleicht auch bekämpft wird. Unsere Zauberformel ist, die spezifischen Fachkenntnisse nicht etwa zu verkleinern, sondern vertiefen zu wollen, um die Zusammenarbeit zu garantieren.
Was ist daraus konkret entstanden?
Bredekamp: Es ist uns gelungen, ein Vertrauen über die Fach- und auch über die Kulturgrenzen hinweg zu schaffen. Daraus ist etwas entstanden, was den Kulturbegriff insgesamt – wie er seit der Antike existiert – verändert. Die Konzeption der toten Materie als passiv und der organischen Materie als aktiv ist uns zum Problem geworden. Und für mich kommt auf die erfrischendste Weise Leibniz mit Macht als Avantgarde zurück, insofern er in allen Sphären der Gestaltung, selbst bis in die scheinbar anorganische Welt hinein, eine Kraft der Eigenaktivität erkannte.
Stichwort Gestaltung. Warum ist sie wichtig?
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Foto: Matthias Heyde
Schäffner: Die Herausforderung war, Gestaltung als wesentlichen Bestandteil der interdisziplinären Grundlagenforschung zu etablieren. Was heißt das? Wir untersuchen etwa Prozesse wie Schneiden, Falten oder Filtern, die man als Bauhaus-artiges Ensemble von Praktiken sehen kann, die aber gegenwärtig völlig neu erfunden werden. Etwa beim Schneiden in der Chirurgie, wo sich physische und virtuelle Verfahren überlagern, wird die Verbindung von theoretischen, historischen und gestalterischen Fragen zur Notwendigkeit fürs Gelingen.
Was bedeutet Ihre Forschung für den Alltag eines Chirurgen?
Schäffner: Die Chirurgie ist durch die Einbeziehung von virtuellen Techniken zurzeit dabei, sich völlig neu zu erfinden. Das Szenario des Skalpells und der Hand verändert sich radikal, da das Operationsfeld durch eine virtuelle Bildführung überlagert wird und der Chirurg in einem Bild navigiert aber tatsächlich in einem physischen Körper schneidet. Diese Konstellation eröffnet völlig neue Möglichkeiten für das Verhältnis von Bild und Materialität des Körpers. Diese Fragen zusammen mit Disziplinen zu entwickeln, die normalerweise nicht im OP agieren, ist ein wichtiger Input unseres Clusters in die Chirurgie. Mit der Charité können wir diese Dinge an einem Ort machen, an dem die Chirurgie eine große Geschichte geschrieben hat.
Video: BWG
Das Cluster ist seit 2016 unter dem Dach des Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik angesiedelt? Welche Idee verbirgt sich hinter dieser Fusion?
Bredekamp: Diese Zusammenführung hat eine lange Vorgeschichte, die mit der Ausstellung Theatrum Naturae et Artis im Martin-Gropius-Bau im Jahr 2000 begann, die ich gemeinsam mit dem Mathematiker Jochen Brüning gestalten konnte. Das Helmholtz-Zentrum ist immer ein Organ gewesen, das die Sammlungen mitbetreut. Hier ist auch der Vorläufer des Clusters angesiedelt gewesen und so war es nur logisch, dass der Cluster die Union vollzogen hat.
Schäffner: Das Helmholtz-Zentrum war der Ort, an dem der Antrag für den Exzellenzcluster entstand und es ermöglicht jetzt, Bild Wissen Gestaltung als ein interdisziplinäres Zentralinstitut mit Fakultätscharakter in die Struktur der Universität zu überführen.
Die Fragen stellte Ljiljana Nikolic.
Über das Exzellenzcluster
Der Exzellenzcluster Ein Interdisziplinäres Labor. Bild Wissen Gestaltung hat am 7. Juli 2017 sein fünfjähriges Bestehen mit Präsentationen gefeiert. Das Interdisziplinäre Labor ist ein Zusammenschluss aus Geistes-, Natur- und Technikwissenschaften, der Medizin und der Gestaltungsdisziplinen Design und Architektur. Mehr als 25 verschiedene Disziplinen erforschen hier grundlegende Gestaltungsprozesse der Wissenschaften.
Kontakt
Claudia Lamas Cornejo
Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung. Ein Interdisziplinäres Labor“
der Humboldt-Universität zu Berlin
Leiterin Public Relations & Fundraising
Tel.: 030 2093-66258
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