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Fernab vom Forschungs-Mainstream

Interview mit Freigeist-Preisträgerin Saskia Schäfer

Die Politik- und Regionalwissenschaftlerin Dr. Saskia Schäfer hat das „Freigeist-Fellowship“ der Volkswagen-Stiftung erhalten. Ihr besonders innovatives Forschungsprojekt „Secularity, Islam and Democracy in Indonesia and Turkey“ wird mit 975.500 € gefördert. Im Interview geht es um das geförderte Projekt, für das sie am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) forschen wird.

Saskia Schäfer
Dr. Saskia Schäfer, Foto: privat

Frau Schäfer, zunächst herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung. Was genau wollen Sie mit ihrem Forschungsprojekt untersuchen?

Die Türkei und Indonesien wurden lange Zeit als Musterbeispiele für muslimische Demokratien gepriesen — bis es in der Türkei zu einer dramatischen Wende in der demokratischen Entwicklung kam. Auch in Indonesien ist es mindestens zu einer Stagnation der Demokratisierung gekommen. Diese Entdemokratisierungsprozesse will ich untersuchen. Konkret will ich mir die Kräfte ansehen, die die Entdemokratisierung in Indonesien und der Türkei vorantreiben. Dabei will ich mich sowohl auf religiöse Autoritäten als auch auf politische und wirtschaftliche Eliten konzentrieren. Die Mainstream-Politikwissenschaft hat diese beiden Seiten oft nicht gemeinsam betrachtet.

Warum sehen Sie sich gerade Indonesien und die Türkei an?

Indonesien und die Türkei machen ein Fünftel aller Muslime weltweit aus, Indonesien ist das viertgrößte Land der Welt. Es ist ein wahnsinnig spannendes Land, das in großen Teilen der politikwissenschaftlichen Forschung aber eine Unbekannte ist. In der Türkeiforschung werden kultur- und sozio-ökonomische Fragen auf beeindruckende Art und Weise miteinander verbunden. Indem ich Indonesien mit der Türkei vergleiche, erhoffe ich mir, Kenntnisse aus den Regionalstudien mehr in die etablierten Forschungsfächer zu tragen.

Das „Freigeist-Fellowship“ wird für Forschungsprojekte vergeben, die sich vom Forschungs-Mainstream absetzen und bewusst risikoreiche Forschungsfragen angehen. Was macht ihr Projekt so außergewöhnlich?

In der Politikwissenschaft wird häufig nicht so viel Wert auf Feldforschung gelegt wie das in den Regionalstudien der Fall ist. Andererseits findet in den Regionalstudien gerade ein großer Aufbruch statt: Es wird mehr über Nationalstaaten und Regionen hinausgedacht. Dass ich in dem Projekt zwei so unterschiedliche Regionen vor dem Hintergrund ihrer Entdemokratisierung betrachte, ist für ein regionalwissenschaftliches Projekt ungewöhnlich. Die Türkei wird hierzulande oft vor allem im Verhältnis zur EU betrachtet.

Und inwiefern ist Ihre Forschungsfrage risikoreich?

Das Risiko besteht darin, dass das Projekt auch scheitern kann: Es könnte sich beispielsweise herausstellen, dass man beide Länder doch nicht so gut vergleichen kann. Wichtig an dem Projekt ist für mich, dass ich mich darin nicht zwischen der regionalen Expertise und dem großen Vergleich entscheiden möchte. Forschende aus den Regionalwissenschaften haben oft einen sehr detaillierten Blick auf eine spezielle Region, sodass sie am Ende den Vergleich mit anderen Regionen schwierig finden. Forschende aus den Politikwissenschaften dagegen suchen oft den großen Vergleich und vernachlässigen dabei die sprachliche Genauigkeit, die die Regionalwissenschaften auszeichnen - in meinem Projekt will ich beides verbinden.

Wie lange wird das Projekt laufen und wofür werden Sie die Mittel von knapp einer Million Euro nutzen?

Das Projekt ist auf fünf Jahre angesetzt. Die Summe finanziert in erster Linie die Stellen der Beteiligten und soll den drei Doktorandinnen und Doktoranden Feldforschung und Konferenzreisen ermöglichen. Außerdem will ich Konferenzen abhalten: Ich plane, internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammenzubringen, die zu beiden Ländern forschen, die sich aber selten begegnen, obwohl sich ihre Fragestellungen teilweise sehr ähneln.

Wird es in dem Projekt Kooperationen mit anderen Instituten der Humboldt-Universität geben?

Ich möchte gerne mit dem Institut für Sozialwissenschaften zusammenarbeiten, weil ich glaube, dass beide Seiten von der jeweilig anderen Perspektive sehr profitieren können. Aber auch über die Grenzen der Humboldt-Universität hinaus werde ich kooperieren. Ich habe an der Freien Universität an der Berlin Graduate School of Muslim Cultures and Societies promoviert, die eng mit der Humboldt-Universität zusammenarbeitet. Dieses starke Netzwerk an regionalwissenschaftlicher Expertise in Berlin will ich auch für mein Projekt nutzen.

Die Fragen stellte Anne-Sophie Schmidt.

Weitere Informationen

Pressemitteilung der HU vom 17. September 2018
Volkswagen-Stiftung