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Die Rolle der Sinne und Gefühle in der Waldbrand-Forschung

Marvin Heine brennt fürs Feuer. Der Doktorand am Institut für Europäische Ethnologie erforscht Waldbrände aus einer ungewöhnlichen Perspektive. In seinem Dissertationsprojekt möchte er herausfinden, welche Rolle Sinne und Gefühle bei Umweltgefahren spielen und wie die kollektive Wahrnehmung von Menschen, die Brände hautnah erlebt haben, Präventions- und Managementstrategien beeinflussen.

Das gewonnene Wissen soll in die Praxis einfließen und helfen, Wandbrände besser in den Griff zu bekommen. „Ich möchte klimaangepasste Wege finden, die helfen, die Waldbrandkrise nicht nur materiell, sondern auch kulturell zu bewältigen“, sagt der Wissenschaftler, der selbst gerne Zeit in der Natur verbringt. Seine Forschungsfrage lautet: „Inwieweit und auf welche Weise führt die sensorische und affektive Wahrnehmung von Waldbränden zu bestimmten Auffassungen und Umsetzungen von Katastrophenvorsorge- und -managementmaßnahmen?“ In dem Forschungsprojekt spielt auch der Kontakt zum nichtwissenschaftlichen Publikum eine Rolle: Heine möchte Menschen, die psychisch und physisch belastende Gefahrensituationen erlebt haben, helfen, diese besser zu bewältigen.

Recherche in Falkenberg

Der Nachwuchswissenschaftler lebte im vergangenen Jahr noch in Wien, wo er einen Master in Soziologie gemacht und bereits sein erstes Buch basierend auf seiner Abschlussarbeit vorgelegt hat. Jetzt ist er häufig im brandenburgischen Falkenberg und seiner Umgebung unterwegs. Im Sommer 2022 wütete dort ein Feuer bislang ungekannten Ausmaßes und brannte 800 Hektar Land nieder. Viele werden sich an die Berichterstattung und die eigenen Gefühle erinnern, haben das mediale „Hintergrundrauschen“, wie Heine es nennt, wahrgenommen.

Betroffener: Herzrasen auch bei Grillgeruch

Heine arbeitet mit Forschungsmethoden aus der Soziologie und Anthropologie der Sinne. Seine ethnografische Untersuchung in Brandenburg ist breit angelegt. Er ist schon dabei mit Anwohner:innen, Feuerwehrleuten, Politiker:innen und Aktivist:innen zu sprechen. Ihn interessieren ihre Eindrücke, Empfindungen und Emotionen. Bei einem seiner ersten Besuche in Falkenberg führte ihn ein Betroffener durch sein eigenes niedergebranntes Waldstück und erinnerte sich an die heißen Tage im Sommer 2022, an Hitze, Ruß- und Aschegeruch sowie die bedrohlichen Geräusche der Hubschrauber über ihm. „Der Mann bekommt auch heute noch Herzrasen, wenn er den Geruch eines Grills wahrnimmt“, berichtet Heine, der mit den betroffenen Menschen mitläuft und ihren Erinnerungen als teilnehmender Beobachter zuhört und mit der Kamera aufnimmt. Ebenso begleitete er den damals zuständigen Stadtbrandmeister durch das zerstörte Waldgebiet, sprach mit der Pastorin des Ortes und wohnte einer Bürgerversammlung bei. „Auf der Bürgerversammlung diskutierten rund 250 Teilnehmende, darüber welche Maßnahmen gut gelaufen sind und wie Prävention und Reaktion auf Waldbrände in Zukunft aussehen könnte.“ Wie Menschen eine Gefahrensituation sensorisch wahrnehmen, kann in Abhängigkeit von einer Vielzahl sozio-historischer Faktoren sehr unterschiedlich sein. „Diese kulturell ausgehandelten und individuell bedingten Wahrnehmungsmodalitäten prägen das Verhalten und die Reaktionen während einer Krise und beeinflussen auch das Notfallmanagement", erklärt der Wissenschaftler.

Wie gehen Kalifornien und Spanien mit Waldbänden um?

Das Waldbrandrisiko in Brandenburg hat seit den 1990er Jahren signifikant zugenommen, insbesondere die letzten Jahre waren von extremer Trockenheit und einem hohen Risiko von Waldbränden begleitet. Während die Region noch Handlungsstrategien entwickeln muss, ist die San Francisco Bay Area in Kalifornien aufgrund ihrer spezifischen Vegetation und des mediterranen Klimas schon jahrhundertelang besonders anfällig für Landschaftsbrände. „Aber auch dort haben sich die Brände in den vergangenen Jahren aufgrund der globalen Erwärmung drastisch intensiviert und erfordern angepasste Strategien “, sagt Heine, der auch in Kalifornien zu kulturellen Aspekten forschen wird. Er plant zudem einen Forschungsaufenthalt in Spanien beim EU-Projekt „Pyrolife“, welches ein ganzheitliches, integriertes Management von Waldbränden in Europa und weltweit vorantreiben möchte.

Zusammenarbeit mit Ignacio Farías

Die sinnliche Wahrnehmung beschäftigt den gebürtigen Regensburger aber nicht erst seit seiner Dissertation, sondern war auch schon Thema in seinem Studium. Dabei stand ein Sinn im Mittelpunkt: Das Gehör. Heine war in Wien unterwegs und spitzte buchstäblich die Ohren, spürte den Klängen nach, die im häufig unangenehmen städtischen Rauschen untergehen. In seine Arbeit sind auch Publikationen von Ignacio Farías eingeflossen. Der Professor für Stadtanthropologie am Institut für Europäische Ethnologie der HU forscht unter anderem zum Einfluss von Schall-, Radio- und Hitzewellen auf zeitgenössische Städte und ihre ökologische Entwicklung. „Ich wollte unbedingt mit ihm zusammenarbeiten, habe mich mit einem eigenen Essay in Anlehnung an Farías’ ERC- Wavematters-Projekt über Wellen bei ihm beworben.“ Erfolgreich. Auch wenn es in seinen Dissertationsprojekt am Ende nicht explizit um Wellen geht, promoviert er nun bei dem Professor.

Programm für Nicht-Wissenschaftler:innen

Heine ist aber nicht nur die wissenschaftliche Arbeit wichtig. In Wien führte er regelmäßig „Soundwalks“ durch, Stadtspaziergänge, auf denen die Teilnehmenden lernen können, sich dem oft Überhörten bewusst zu werden und ihre Wahrnehmung von Stadtgeräuschen zu schärfen. Im brandenburgischen Falkenberg möchte Heine, der in seiner Freizeit auch künstlerisch arbeitet, den vom Feuer betroffenen Personen helfen, mit dem erfahrenen Leid umzugehen. „Ich plane kollaborative Storytelling-Workshops anzubieten, in denen sich Betroffene ihr Leid in unterschiedlichen Textformen von der Seele schreiben können.“

Autorin: Ljiljana Nikolic

Weitere Informationen

Publikation:Heine, Marvin: „Resonant Fabrics: Listening to Urban Worlds” (2023), transcript Verlag