Lebende Denkmale der Geschichte
Zwischen dem ehemaligen Hauptgebäude des Albrecht Daniel Thaer-Instituts in der Invalidenstraße 42 und dem Naturkundemuseum steht ein großer Maulbeerbaum. „In einem der Hörsäle haben wir seine Krone vor dem Fenster und während der Vorlesung sehen wir, wie Tauben und andere Vögel sich im Sommer über die Früchte hermachen", sagt Marcel Robischon. „Er hat eine sehr tief gefurchte graue Rinde und wirklich jedes Blatt weist eine andere Form auf." Manche haben einen Seitenlappen nach links oder nach rechts wie ein Fäustling, andere sind einfach, zweifach oder noch öfter eingeschnitten, manche spitzig, andere abgerundet.
Der Professor für Agrarökologie am Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der HU hat sich mit seinen Studierenden im Sommersemester mit der Vermehrung historischer Maulbeerbäume befasst. In der Langen Nacht der Museen sind die studentischen Arbeiten zu sehen. Das Studienprojekt ist Teil des interdisziplinären und hochschulübergreifenden Lehr-, Lern- und Forschungsprojekts „Agritecture", das die HU zusammen mit Lehrenden und Studierenden der Berliner Hochschule für Technik dem Thema der „Grünen Stadt" widmet.
Maulbeerbäume in Berlin
Auf der Langen Nacht der Museen sind die Arbeiten der Studierenden beider Hochschulen zu sehen. Die von HU-Studierenden vermehrten Bäumchen sind neben den Fotografien und Collagen der BHT-Studierenden im Hugenottenmuseum ausgestellt. Denn die französischen Glaubensflüchtlinge waren es, die den Maulbeerbaum von dessen Laub sich die Seidenraupen ernähren, nach Berlin und Brandenburg gebracht haben. In der Hoffnung auf eine eigenständige Produktion des kostbaren Materials ließ Friedrich Wilhelm I. die ersten Maulbeerbäume anpflanzen, sein Sohn Friedrich II sogar ganze Plantagen anlegen.
Heute stehen immer noch einige dieser historischen Maulbeerbäume in Berlin. „Wie durch ein Wunder haben sie selbst die Kriegswirren überlebt“, sagt Marcel Robischon. „An der Kirche in Zehlendorf etwa kann man drei sehr alte sehen, und einen auf dem Kirchhof in Alt-Lübars. Auch hier in der Nähe unseres Campus Nord, unweit der Friedrichstraße im Hof des alten Französischen Hospitals steht ein uralter Maulbeerbaum.“ Er soll rund 300 Jahre alt sein. Sehr junge Maulbeerbäume haben die Studierenden und der Forstwissenschaftler im Labor herangezogen. Die Nachkommen der Uraltbäume werden auch auf der Langen Nacht der Museen zu sehen sein.
Lebende Denkmale der Geschichte
Vom Gartenamt hatten die HU-Studierenden das Schnittgut eines historischen Maulbeerbaums geschenkt bekommen und haben es zum Austreiben gebracht. Dafür haben sie nicht einfach Stecklinge genommen, weil das zu viel Material der wertvollen Bäume verbraucht. „Wir bilden Agrar- und Gartenbauwissenschaftler aus. Vegetative Vermehrungstechniken, mit denen man aus einem großen alten Baum einen neuen, genetisch identischen heranziehen kann, sind im Pflanzenbau wichtig“, sagt Marcel Robischon.
Die Studierenden haben aber nicht nicht einfach Stecklinge genommen, weil das zu viel Material der wertvollen Bäume verbraucht. Sie haben die In-Vitro-Technik erlernt und dafür einen Mikrosteckling in einem geschlossenen, sterilen Raum im Glas eingesetzt, auf einem gallertartigen Nährmedium, das aussieht wie ein klarsichtiger Wackelpudding. „Das muss sehr sorgfältig gemacht werden. Die Studierenden haben diese Technik eingeübt und können sie nun auch in Zukunft einsetzen.“ Denn viele Zierpflanzen werden über genau diese Methode vervielfältigt. Dafür reicht schon eine einzige, zuvor sterilisierte Knospe. „Wenn man es richtig macht, bilden sich Wurzeln, die Knospe bricht auf und der Spross wächst zu einer ganzen Pflanze heran“, sagt Marcel Robischon. Aus den erfolgreichen Kulturen der HU-Studierenden entstehen neue Maulbeerbäume für Berlin, als lebende Denkmale der Geschichte der hugenottischen Seidenfabrikanten.
Maulbeerbaumstadt: Pop-Up-Ausstellung im Hugenottenmuseum
Die Ausstellung „Maulbeerbaumstadt“ im Hugenottenmuseum Berlin präsentiert Fotografien, Collagen und Pflanzen zur Geschichte der Seide. Die gezeigten Arbeiten thematisieren historische und moderne Aspekte der Seidenproduktion und -verarbeitung sowie die Vermehrung historischer Maulbeerbäume. Die weiße Maulbeere ist die Grundlage für die Zucht des Seidenspinners, da die Raupe sich ausschließlich von den Blättern dieses Baumes ernährt. Entstanden sind die Arbeiten im interdisziplinären Projekt „Agritecture“ mit Studierenden der Berliner Hochschule für Technik und des Fachgebiets Agrarökologie der Humboldt-Universität. Die Ausstellung ist ab dem 24. August (Lange Nacht der Museen) bis zum 12. Oktober zu sehen.
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