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Fliegende Schuhe und goldene Schweine in der Prager Weihnachtszeit

Wer denkt, dass unsere tschechischen Nachbarn die Weihnachtszeit ähnlich verbringen wie wir, hat nicht ganz Unrecht. Sie haben aber auch eine unglaubliche Vielfalt an besonderen Bräuchen. Bachelor-Student Tomáš Novotný von der Prager Karls-Universität, einer Partner-Universität der HU, beschreibt ein paar von ihnen.
Der Autor ist verkleidet als Geschenk und zeigt Daumen hoch

Bachelor-Student Tomáš Novotný von der
Prager Karls-Universität. Foto: privat

Die Weihnachtszeit beginnt bei uns spätestens, wenn am 5. Dezember der Heilige Nicholas, der Teufel und ein Engel die Kinder besuchen. Sie müssen ein Gedicht aufsagen und versprechen, im nächsten Jahr artig zu sein, dann gibt es Süßigkeiten. Am Weihnachtstag selbst wird den Kindern erzählt dass sie, wenn sie bis zum Abend kein Fleisch essen, ein goldenes Schwein sehen werden. Zum Mittagessen gibt es dehalb meistens vegetarische Gerichte, wie Houbový Kuba, Altes Böhmisches Kuba“, das aus Gerste und Pilzen gemacht wird.

Schnitzel verdrängt Fisch

Abends wird dann Fischsuppe serviert, gefolgt von Kartoffelsalat und gebratenem Karpfen. Ein paar Karpfengräten werden unter jeden Teller gelegt, was jedem für das kommende Jahr genug Geld bringen soll. Viele Familien haben den Karpfen aber durch Schnitzel ersetzt, weil nicht alle Fisch mögen. Niemand darf vom Tisch aufstehen, bevor alle fertig gegessen haben – das würde Unglück bedeuten. Das Christkind bringt die Geschenke, in manchen Familien auch den Weihnachtsbaum. Nach der Aufregung des Tages gucken wir oft Märchen im Fernsehen und essen „chlebíček“, kleine Brote mit Kartoffelsalat, Ei oder Schinken und meistens Knoblauchaufstrich.

Die Welt erkunden oder sterben

Eine schöne Weihnachtstradition ist es, kleine Boote aus Walnussschalen zu Wasser zu lassen. Man zündet eine kleine Weihnachtskerze an, tropft etwas Wachs in die Nussschale und drückt die Kerze an. Die Kerzen dürfen aber nicht zu lang sein, sonst kentert die Nuss. Die Boote mit den brennenden Kerzen werden ins Wasser gesetzt – das geht auch in der Badewanne. Wenn das Boot am Rand bleibt, wird der Eigentümer das ganze Jahr zu Hause verbringen. Wenn das Boot in die Mitte des Wassers treibt, wird er oder sie in die Welt aufbrechen.
Ein anderer Brauch, der kaum Zeit in Anspruch nimmt und normalerweise positiv stimmt: Einen Apfel halbieren. Man schneidet den Apfel nach dem Weihnachsessen senkrecht zum Stiel durch und zeigt allen die Hälften. Wenn das Innere mit dem Kerngehäuse sternförmig aussieht, werden sich in einem Jahr alle gesund wiedersehen. Wenn sich aber die Form eines Kreuzes zeigt, wird eine/r der Anwesenden krank werden oder sterben. Man braucht aber keine Angst vor dem Apfelschneiden zu haben.

Der letzte Brauch, an den ich mich erinnere, ist, dass junge Frauen sich mit dem Rücken zur Tür stellen und einen Schuh über ihren Kopf nach hinten Werfen. Wenn der Schuh mit Hacken zur Tür landet, werden sie zu Hause bleiben. Wenn der Schuh zur Tür zeigt, werden sie heiraten und ausziehen.

Morgens zur Kirche 

Meine Familie befolgt viele der alten Bräuche nicht mehr, aber am Morgen des 24. Dezember gehen wir immer in die Kirche für das Bethlehemlicht (Das Licht unserer Kerzen leuchtet symbolisch den Weg nach Bethlehem). Ich bin traurig, dass ich wegen der Pandemie in diesem Jahr nicht in Pilsen, wo ich herkomme, mit Freunden oder meinen Großeltern über die Weihnachtsmärkte gehen und Glühwein trinken kann. Vielleicht nächstes Jahr wieder!“

Tomáš Novotný studiert im Bachelor Politikwissenschaft und Public Policy an der Karls-Universität in Prag. Im Rahmen des Central European Network for Teaching and Research in Academic Liasion (CENTRAL) fördern die HU, die Karls-Universität und drei weitere Hochschulen die akademische Zusammenarbeit in Zentraleuropa, vor allem die Kooperation des wissenschaftlichen Nachwuchses.