Presseportal

Weihnachten – Warum wir uns beschenken und was Charles Dickens damit zu tun hat

Weihnachten ist das Fest, an dem man seine Familie und seine Freunde gerne und reichlich beschenkt. Aber, woher kommt diese Tradition? Welche Bedeutung haben Geschenke und seit wann beschenken sich Menschen zu Weihnachten? Ruth Conrad, Professorin für Praktische Theologie an der Theologische Fakultät, hat Antworten auf diese Fragen
Alternativtext

 

Warum gibt es an Weihnachten Geschenke? Zunächst einmal: Weil Weihnachten ein Familienfest ist. Mit dem Beginn der bürgerlichen Moderne, an der Wende zum 19. Jahrhundert zieht das Weihnachtsfest in das bürgerliche Wohnzimmer ein. Familie, Verwandte und Freunde treffen sich. Man schmückt einen Baum, genießt ein großes Essen und tauscht Geschenke aus. Im Austausch der Geschenke inszeniert man die familiären und freundschaftlichen Beziehungen: Wer bekommt wieviel? Wer bekommt was von wem? Wer erfährt außerordentliche Wertschätzung, wer wird womöglich vergessen? Geschenke symbolisieren immer auch Hierarchien und haben verpflichtenden Charakter. Auf diesen Zusammenhang hat der Anthropologe Marcel Mauss in seinem großen Essay "Die Gabe" hingewiesen. Auch heute wird schnell gerechnet: Welches Geschenk ist mehr wert? Was muss ich zurückgeben? Das erwiderte Geschenk muss größer, teurer, origineller, extravaganter als das erhaltene sein. Vielleicht erklärt dies in Teilen auch den Umschlag der Geschenk- in eine Konsumpraxis. 

Bis ins 18. Jahrhunderte hinein brachte Nikolaus die Geschenke

Freilich – bei Kindern machen wir eine Ausnahme. Kinder werden einseitig beschenkt. Ihnen entsteht keine Verpflichtung. Höchstens wird als Gegenleistung „Bravsein“ erwartet. Bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts wurden Kinder zur Weihnachtszeit beschenkt. Zunächst freilich vom Nikolaus. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein war er der Gabenbringer. Um die Frömmigkeit stärker auf Christus, das eigentliche Weihnachtsgeschenk, zu fokussieren, wanderte die Kinderbescherung Richtung Weihnachten: in protestantischen Gegenden kam nun der Weihnachtsmann, in katholischen das Christkind.

Die Geschenke-Ethik ist durch eine Erzählung von Dickens inspiriert

Wir machen aber nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Bedürftigen eine Ausnahme von der Wechselseitigkeit. Weihnachten ist Charity-Time. Manche Menschen verschenken Geld – meist gegen eine Spendenquittung, andere verschenken Zeit und Engagement, zum Beispiel  beim Verkauf von Selbstgemachtem für einen guten Zweck – oft im Tausch gegen ein gutes Gewissen. Erzählerisch begründet hat diese Moralität von Weihnachten Charles Dickens in seiner 1843 erschienen Weihnachtserzählung "A Christmas Carol". Die Erzählung lässt sich als säkularisierte Bekehrungspredigt lesen: Der reiche, aber geizige Ebenezer Scrooge muss in der Nacht vor Weihnachten träumend, an der Hand von Geistern eigene und fremde, vergangene, gegenwärtige und künftige Notlagen durchleiden. Er sieht sein eigenes, schreckliches Ende voraus. Am Weihnachtsmorgen erwacht er geläutert und mit einem großzügigen und mitfühlenden Herzen. Diese Erzählung war ein wesentlicher und erfolgreicher Impuls für die Ausbildung einer weihnachtlichen Geschenke-Ethik. Der Verzicht auf Wechselseitigkeit ist teilweise aber auch ambivalent. Er kann paternalistische, hierarchische Züge haben. Man tut lieber etwas für die Armen, anstatt mit ihnen …!

Religiöser Hintergrund

Last, but not least symbolisiert die weihnachtliche Geschenkpraxis den religiös-theologischen Grundgedanken von Weihnachten: Im Zentrum von Weihnachten steht die Geburt eines Kindes, das Geschenk eines neuen Lebens, die Geburt des Jesus von Nazareth. In ihm erkennt der christliche Glaube ein Geschenk Gottes an die Menschen, genauer: die Gabe des Erlösers. Diese Gabe symbolisiert die Liebe Gottes zu den Menschen, seine Wertschätzung des Menschlichen. Der Mensch kann diese nicht erwidern, nur dankbar und freudig empfangen – weil Geschenke eben Freude machen sollen.

Autorin: Prof. Dr. Ruth Conrad